Ennio Morricone (2015) in der Festhalle Frankfurt © Sven-Sebastian Sajak
Quelle: Deadline
Ennio Morricone, der legendäre italienische Filmkomponist, dessen unvergessliche Klänge die Werke zahlreicher berühmter Regisseure über viele Jahrzehnte geprägt haben, ist am Montag in einer Klinik seiner Heimatstadt Rom gestorben. Er war 91 Jahre alt. Morricone erlitt vergangene Woche einen Sturz und brach sich dabei den Oberschenkelknochen. Er wurde daraufhin ins Krankenhaus eingeliefert und starb an Komplikationen in Folge seines Sturzes.
Unzählige Nachrufe wurden bereits über Morricone und sein Vermächtnis geschrieben, und viele weitere werden folgen. Doch auch der Maestro selbst schrieb vor seinem Tod einen eigenen einseitigen Nachruf, den sein Anwalt Giorgio Assumma vor der Klinik an Journalisten verteilt hat. Dieses fing an mit den Worten "Ich, Ennio Morricone, bin tot". In dem Schreiben widmete er den besonders schmerzlichen Abschied seiner Ehefrau Maria Travia, mit der er seit 1956 64 Jahre lang verheiratet war, und äußerte sein Bedauern darüber, sie nun verlassen zu müssen. Er bedankte sich bei seinen engsten Freunden, seinen Kindern und Enkelkindern und schrieb: "Ich hoffe, sie verstehen, wie sehr ich sie geliebt habe."
Wo fängt man bei der Beschreibung des Werdegangs dieser Ikone überhaupt an? Es gibt viele großartige Schauspieler oder Filmschaffende, doch nur eine Handvoll, die wirklich die Bezeichnung der "besten aller Zeiten" verdienen. Ennio Morricone war einer von ihnen. In der Geschichte der Filmmusik hat höchstens John Williams ein vergleichbares filmisches Erbe vorzuweisen wie Morricone.
Musik lag Morricone im Blut. Sein Vater spielte als Trompeter in verschiedenen Orchestern. Als Sechsjähriger schrieb Morricone bereits seine ersten Kompositionen. Die Eltern erkannten sein Talent und schickten ihn an das Konservatorium von Santa Cecilia, wo er das vierjährige Ausbildungsprogramm in nur sechs Monaten abgeschlossen hat. In den Fünfzigern schrieb der junge Morricone Musik fürs Radio und Fernsehen, und arbeitete bereits als Ghostwriter für andere Komponisten an Filmen. Seinen ersten offiziellen Filmscore schrieb er 1961 für die Kriegskomödie Zwei in einem Stiefel (OT: Il federale) von Luciano Salce. Nur wenige Jahre später bestimmte ein Treffen mit Sergio Leone den Verlauf seiner Karriere. Zwischen 1964 und 1966 komponierte er die ikonische, stilbildende Musik für Leones Dollar-Trilogie (Für eine Handvoll Dollar, Für ein paar Dollar mehr, Zwei glorreiche Halunken). Es gab kein Budget für ein großes Orchester, doch aus Not machte Morricone Tugend und setzte ungewöhnliche Töne wie Peitschenhiebe, Maultrommeln, Pistolenschüsse und Pfiffen in die Musik der Filme ein. Zwei glorreiche Halunken war als Kind meine erste Begegnung mit Morricones Musik. Dessen legendäre Hauptmusik ist für mich bis heute eins der besten Musikstücke, die je fürs Kino geschrieben wurden.
Die Zusammenarbeit zwischen Morricone und Leone setzte sich mit Spiel mir das Lied vom Tod und Es war einmal in Amerika fort. Weitere legendäre italienische Regisseure, mit denen Morricone mehrfach zusammengearbeitet hat, waren u. a. Dario Argento (The Stendhal Syndrom, Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe), Giuseppe Tornatore (Cinema Paradiso, Die Legende vom Ozeanpianisten, Der Zauber von Malèna) und Sergio Corbucci (Kopfgeld: Ein Dollar, Die Grausamen).
Als die Dollar-Trilogie die USA erreichte, ließ der Ruf Hollywoods nicht lange auf sich warten. Da Morricone nicht gerne geflogen ist, hat er die Musik in aller Regel weiterhin in Rom komponiert. Für seine Komposition zu Terrence Malicks In der Glut des Südens (OT: Days of Heaven) erhielt Morricone seine erste Oscarnominierung. Die zweite würde acht Jahre auf sich warten lassen und erfolgte für Roland Joffés Die Mission. Auch diese hat Morricone verloren, obwohl sie zu seinen besten Kompositionen überhaupt gehört. Von seinen Oscar-Niederlagen verärgerte sie Morricone am meisten, da er gegen Herbie Hancock Jazz-Arrangement für Bertrand Taverniers Um Mitternacht verloren hat, und Morricone dem Score vorgehalten hat, hauptsächlich auf bereits existierende Stücke zurückzugreifen.
Im Laufe seiner weiteren Karriere schrieb Morricone u. a. die Musik von John Carpenters Das Ding aus einer anderen Welt (OT: The Thing), Mike Nichols' Wolf, Barry Levinsons Bugsy, Oliver Stones U-Turn, Brian De Palmas Die Unbestechlichen (OT: The Untouchables), Wolfgang Petersend In the Line of Fire, Roman Polanskis Frantic und viele weitere. Einer der größten Liebhaber von Morricones Musik in Hollywood ist Kultregisseur Quentin Tarantino, der Morricones Werk bereits in Kill Bill eingearbeitet hat. Eigentlich wollte er, dass Morricone die Musik zu Inglourious Basterds schreibt, aus terminlichen Gründen ist die Zusammenarbeit jedoch nicht zustandegekommen. Für Django Unchained schrieb Morricone das Lied "Ancora Qui", und bei Tarantinos Kammerspiel-Western The Hateful 8 kam es endlich zur lang ersehnten Kollaboration der beiden, wobei Morricones unheilvolle Melodie definitiv dazu beigetragen hat, dass der Film mein persönlicher Tarantino-Favorit geworden ist.
Nachdem er zuvor nach fünf erfolglosen Nominierungen mit einem Ehren-Oscar ausgezeichnet worden war, gewann Morricone 2016 für The Hateful 8 endlich seinen ersten und einzigen "richtigen" Oscar im Wettbewerb und wurde mit 87 Jahren zum ältesten Academy-Award-Gewinner aller Zeiten. Neben In der Glut des Südens und Die Mission war Morricone zuvor für Die Unbestechlichen, Bugsy und Der Zauber von Malèna nominiert. Er hat insgesamt drei Golden Globes in seiner Karriere gewonnen: für Die Mission, Die Legende vom Ozeanpianisten und The Hateful 8.
Nur wenige Wochen vor seinem Oscarsieg hatte ich das Privileg, Morricone bei einem Konzert in Köln live zu erleben, ein Abend der zu den schönsten in meinem Leben als Filmfan gehört und eins der besten Geburtstagsgeschenke ist, die ich je erhalten habe.
Seinen finalen Score komponierte Morricone für den 2016 erschienenen La corrispondenza von Giuseppe Tornatore. Im Laufe seiner Karriere schrieb Morricone insgesamt mehr als 500 Scores fürs Kino und Fernsehen. Ein Artikel wie dieser deckt natürlich nur einen winzigen Bruchteil seines Lebens und seiner Karriere ab. Doch bevor ich noch mehr Worte verliere, entlasse ich Euch einfach mit der Musik, die Morricone letztlich unsterblich gemacht hat:
https://youtu.be/h1PfrmCGFnk