Brad Pitt und Edward Norton in Fight Club (1999) © 20th Century Studios
Quellen: The Guardian, Collider
Als David Finchers Fight Club 1999 in die Kinos kam, wurde er zu einem kommerziellen Flop. Eine brutale, subversive, fast zweieinhalbstündige Ode an Anarchie und Konsumverweigerung war nicht gerade etwas, was die Menschen auf Anhieb in die Kinos lockte. Heute gilt Fight Club als einer der kontroversesten, aber auch besten Kultfilme der Neunziger. An seiner Message scheiden sich vielleicht die Geister, die Qualität von Finchers Inszenierung und den Performances von Edward Norton und Brad Pitt stehen jedoch jenseits aller Zweifel.
Und natürlich ist da noch dieses Ende. Weil ich mit meinen 13 Jahren damals noch zu jung war, um Fight Club im Kino zu sehen (was ich seitdem jedoch mehrfach nachgeholt habe), habe ich tatsächlich aus Neugier Chuck Palahniuks Romanvorlage gelesen, bevor ich den Film kannte. Deshalb war der große Twist des Films für mich keine Überraschung mehr, die Umsetzung jedoch fantastisch und hat die meisten Zuschauer kalt erwischt. 1999 war ein Jahr von grandiosen Film-Twists, denn auch The Sixth Sense ist im selben Jahr erschienen.
Fight Club ist ein großartiger Film, an dem es eigentlich nichts zu rütteln gibt (auch wenn Palahniuk die Geschichte 2015 in Comicform fortgesetzt hat). Doch mehr als 20 Jahre nach seiner Veröffentlichung hat das Finale des Films dank China plötzlich einen brandneuen Twist bekommen. Die chinesische Streaming-Plattform Tencent hat Fight Club kürzlich veröffentlicht und die Kenner des Films in seiner ursprünglichen Fassung merkten eine gewaltige Veränderung. Tyler Durden wird immer noch als ein Hirngespinst des namenlosen Erzählers enthüllt und von diesem "erschossen". Doch anstelle der finalen Szene, in der Nortons Erzähler zusammen mit Marla (Helena Bonham Carter) einstürzenden Gebäuden zusieht, kommt ein abrupter Schnitt und eine Texttafel, die die Zuschauer davon unterrichtet, dass die Polizei die Bombe rechtzeitig gefunden und entschärft hat, während Tyler Durden verhaftet, vor Gericht gestellt und in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen wurde, aus der er 2012 entlassen wurde. Ja, wirklich. Einen Screenshot von der Texttafel könnt Ihr unten sehen:
FIGHT CLUB’s ending for the Chinese release (on Tencent Video) was changed to this and now I’m waiting for someone to fanfic a sequel based on this censored ending. pic.twitter.com/zYB0bY3Dlp
— Courtney Howard (@Lulamaybelle) January 24, 2022
Falls Euch die genaue Übersetzung interessiert:
Dank einem Hinweis von Tyler kam die Polizei den kompletten Plan schnell auf die Schliche, verhaftete alle Verbrecher und verhinderte erfolgreich die Explosion der Bombe. Nach seinem Gerichtsprozess wurde Tyler in eine Nervenheilanstalt eingewiesen, wo er psychologischer Behandlung unterzogen wurde. Er wurde 2012 aus dem Krankenhaus entlassen.
Also zusammengefasst: In chinesischer Version triumphieren die Behörden und durchkreuzen die Pläne des Projekts Chaos. Obwohl Tyler nur die Ausgeburt der gespaltenen Persönlichkeit des Erzählers ist, wird er dennoch verhaftet und psychiatrisch behandelt. Offenbar erfolgt mit Erfolg, denn 2012 durfte er die Klinik bereits verlassen. Die Resozialisierung im chinesischen Staat funktioniert also einwandfrei und gegen die Staatsgewalt haben Anarchisten keine Chance. Um es in die Worte eines Kollegen zu fassen: China macht China-Dinge.
Medienzensur ist ein wichtiges Element des chinesischen Staatsapparats. Jeder Film, der in China gezeigt wird, muss vorher durch eine staatliche Behörde genehmigt werden. Diese kann die Veröffentlichung entweder komplett verweigern oder bestimmte Szenen beanstanden, die entfernt werden müssen. Manche dieser Filme werden nur unter Auflagen bewilligt. Gelegentlich entschärfen Studios ihre Filme bereits präventiv, um sich einen Starttermin im lukrativen chinesischen Markt zu sichern. Bei beanstandeten Szenen geht es meist um die Darstellung von Sex oder Gewalt, aber auch um alle anderen Inhalte, die die Moral der chinesischen Bürger verderben könnten. So wurden alle Anspielungen auf Freddie Mercurys Homosexualität aus Bohemian Rhapsody entfernt. Logan – The Wolverine musste 14 blutige Minuten einbüßen und auch Quentin Tarantinos Django Unchained wurde um alle Gewaltdarstellungen erleichtert. Nachdem Bruce Lees Tochter die Darstellung ihres Vaters in Once Upon a Time in Hollywood angeprangert hat, verlangte China entsprechende Änderungen von Regisseur Quentin Tarantino. Er weigerte sich und China sagte den Kinostart des Films kurzfristig ab.
Weil Auflehnung unzufriedener Bürger gegen ein unterdrückerisches System ein Thema des weltweiten, oscarnominierten Kinohit Joker ist, wurde der Film in China gar nicht erst genehmigt. Dass die Anarchie-Message von Fight Club in einem Land, in dem der Gehorsam seiner Bürger das höchste Gut darstellt, sauer aufstoßen würde, ist nicht überraschend. Statt den Film komplett zu verbieten, wurde sein Ende kurzerhand inhaltlich verändert, was einen noch tiefgreifenderen Eingriff darstellt als die Entfernung von Gewalt- oder Sexszenen.
Das erinnert mich an den Hongkong-Hit Infernal Affairs, bei dem speziell für den chinesischen Markt ein alternatives Ende gedreht wurde, in dem Andy Laus Figur am Ende verhaftet wurde. In China setzen sich Recht und Ordnung nämlich immer durch.
Ob die Veränderung von Fight Club auf Anweisung der Zensurbehörde geschehen ist oder ob Tencent die Zensur eigenhändig veranlasst hat, ist unklar. Abgesehen von der chinesischen Premiere des Films beim Filmfestival von Shanghai ist die zensierte Version die einzige Fassung des Films, die in China je offiziell verfügbar gemacht wurde. Doch natürlich floriert Filmpiraterie in China und viele Filmfans dürften die Originalfassung gesehen haben. Ob sie jetzt auch eine Resozialisierung brauchen wie Tyler Durden?