Mike Nichols mit Julia Roberts am Set von Hautnah (2004) © Columbia Pictures
Wer hat Angst vor Virginia Woolf, Die Reifeprüfung, Die Waffen der Frauen, The Birdcage, Hautnah… Hinter all diesen Filmen steckt der gleiche kreative Kopf, Mike Nichols. Seit über 40 Jahren ist der in Berlin geborene Sohn jüdischer Eltern, die 1938 in die USA emigrierten, ein fester Bestandteil der Regie-Elite Hollywoods. Vergangene Nacht ist Nichols im Alter von 83 überraschend verstorben und Hollywood hat damit dieses Jahr eine weitere Legende verloren.
Nichols gehört dem elitären Kreis von lediglich 12 EGOT-Gewinnern an. Gemeint sind damit Personen, die die vier größten Preise aus den Bereichen Film, Musik, Fernsehen und Theater gewinnen konnten – den Emmy, den Grammy, den Oscar und den Tony. Insgesamt 15 dieser Preise (darunter neun Tonys, einen Oscar, einen Grammy und vier Emmys) hat er gewonnen, für zahlreiche weitere war er nominiert. Bereits mit 30 gewann er für seine Comedy-Performance bei "An Evening With Mike Nichols And Elaine May" den Grammy. Für seine erste Kino-Regie Wer hat Angst vor Virginia Woolf? gab es eine Oscarnominierung. Der Film gewann insgesamt fünf Oscars und war für acht weitere nominiert. Nur ein Jahr später landete er mit Die Reifeprüfung (OT: The Graduate) nicht nur seinen größten Erfolg, startete die Karriere von Dustin Hoffman und gewann dafür den Regie-Oscar, sondern er erschuf auch einen prägenden Film für eine ganze Generation, der auch nach fast 50 Jahren nichts von seiner Kraft verloren hat. Allein schon Simon & Garfunkels Soundtrack bleibt bis heute Kult. Weitere Oscarnominierungen folgten für Die Waffen der Frauen, Silkwood und, als Produzent, für Was vom Tage übrig blieb. Mit The Birdcage – Ein Paradies für schrille Vögel legte er in den Neunzigern einen seiner größten kommerziellen Erfolge hin.
Doch obwohl es kaum zu glauben ist, war Nichols als Theaterregisseur noch erfolgreicher als im Kino. Seine Affinität zum Theater konnte man auch schon daran merken, dass viele seiner Kinofilme Adaptionen von Bühnenstücken waren. Mit "The Odd Couple – Ein seltsames Paar", "Barefoot in the Park", "Plaza Suite" und "Monty Python’s Spamalot" feierte er am Broadway Riesenerfolge. Erst 2012 gewann Nichols für eine Neuaufführung von "Der Tod eines Handlungsreisenden" seinen neunten Tony Award.
Seine großen Erfolge im Fernsehen feierte er erst in der letzten Dekade, mit dem Fernsehfilm Wit und der Miniserie "Angels in America", die ihm mehrere Emmys einbrachten.
Während Nichols bis zuletzt im Theater sehr aktiv blieb und damit wohl seiner größten Leidenschaft folgte, wurden seine Kinofilme immer rarer. Lediglich drei Kinofilme produzierte er seit 2000 – den Flop Good Vibrations, die unterschätzte Theaterstück-Adaption Hautnah (OT: Closer) und die Politsatire Der Krieg des Charlie Wilson mit Tom Hanks und Julia Roberts. Der letzte kam 2007 in die Kinos. An dieser Stelle würde ich gerne Hautnah hervorheben, der meiner Meinung nach nicht nur zu den besten Filmen seines Jahres, sondern zu den besten des letzten Jahrzehnts gehörte und deutlich mehr Anerkennung verdient hätte, als er bekam.
Vor seinem Tod wurde Nichols mit mehreren neuen Filmprojekten in Verbindung gebracht, darunter Masterclass, einen HBO-Film über Maria Callas, basierend auf dem gleichnamigen Theaterstück von Terrence McNally.
Nichols hinterlässt ein großes Erbe an die Filmfans, die hoffentlich auch seine weniger bekannten Werke wie Biloxi Blues, Catch-22 und Sodbrennen für sich entdecken werden.