Quelle: NYFCC
Es ist 1. Dezember und die Oscar-Saison läuft langsam aber sicher an. Nachdem kürzlich die Nominierungen für die diesjährigen Independent Spirit Awards einen ersten Ausblick auf die Favoriten unter den "kleineren" Filmen dieses Jahres gegeben haben, sind es die Kritiker des New York Film Critics Circle (New Yorker Verband der Filmkritiker), die im dritten Jahr in Folge als erste große Rezensenten-Vereinigung ihren Senf zum Oscar-Rennen dazugeben. Die seit 1935 verliehenen Preise gehören zu den ältesten Auszeichnungen, die eine US-amerikanische Filmkritikergruppe jährlich vergibt und dabei stehen die Stimmen des NYFCC nicht selten im Einklang mit den Oscarnominierungen (wenn auch weniger häufig mit den tatsächlichen Siegern). Man darf dabei allerdings nicht vergessen, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen den Kritikerpreisen und den Oscars gibt, da keinerlei Schnittmenge zwischen den Wählern existiert. Nichtsdestotrotz beeinflussen natürlich die Kritikerpreise die allgemeine Wahrnehmung des Oscar-Rennens und geben einen Überblick darüber, was in einem Jahr besonders beliebt ist.
Während die Auszeichnungen für Zero Dark Thirty und American Hustle in den vergangenen beiden Jahren ein klein wenig überraschend waren und es durchaus andere Kandidaten hätten sein können, ist der diesjährige Gewinner Boyhood eine ziemlich logische Sache. Boyhood gewann nicht nur den Preis als "Bester Film", sonder auch für seine Regie (Richard Linklater) und seine Nebendarstellerin (Patricia Arquette). Ein ähnliches Muster für die beiden Hauptpreise erwarte ich bei den meisten anderen Kritikergruppen dieses Jahr auch. Ob Boyhood auch bei den Oscars der Top-Kandidat sein wird, ist noch unklar, dass die Kritiker auf den Film abfahren (auch wenn unsere eigene Autorin nicht dazu gehört), steht außer Frage. Auf dem Kritiken-Aggregationsportal Metacritic erreiche Boyhood die einzigartige perfekte Durchschnittswertung von 100/100. Boyhood wird zweifelsohne in dieser Oscar-Saison wie eine Dampfwalze durch die Kritikerpreise rollen, doch ob die Mitglieder der Academy von dem 12 Jahre lang gedrehten Film ebenso angetan sein werden, ist eine andere Frage.
Einen Überblick über die diesjährigen Gewinner des New York Film Critics Circle seht Ihr unten:
Bester Film
Boyhood
Beste Regie
Richard Linklater (Boyhood)
Bester Hauptdarsteller
Timothy Spall (Mr. Turner – Meister des Lichts)
Beste Hauptdarstellerin
Marion Cotillard (Zwei Tage, eine Nacht, The Immigrant)
Bester Nebendarsteller
J.K. Simmons (Whiplash)
Beste Nebendarstellerin
Patricia Arquette (Boyhood)
Bestes Drehbuch
Wes Anderson (Grand Budapest Hotel)
Beste Kamera
Darius Khondji (The Immigrant)
Bester Animationsfilm
The LEGO Movie
Bester Dokumentarfilm
CitizenFour
Bester ausländischer Film
Ida
Bester Debüt-Film
The Babadook
_____________________________________________________________________________
Dass The Babadook als Horrorfilm den Preis für das beste Filmdebüt gewinnen konnte, ist sehr beeindruckend, auch wenn ich den Film selbst leicht enttäuschend fand. Ein sehr gutes Vorzeichen ist der Sieg als "Bester Hauptdarsteller" für Timothy Spall in Mike Leighs Mr. Turner – Meister des Lichts. Diese Auszeichnung gewann Spall auch in Cannes, doch die Befürchtung ist groß, dass er angesichts der enormen Konkurrenz in der Kategorie dieses Jahr untergehen könnte. Seit 1994 kam es jedoch nur zweimal vor, dass der Gewinner des Preises als "Bester Hauptdarsteller" bei den NYFCC bei den Oscars nicht nominiert wurde (Paul Giamatti für Sideways und Robert Redford für All is Lost). Die Auszeichnung für Spall ist ein wichtiger Schritt nach vorne für ihn in diesem Oscar-Rennen. Schwerer wird es Marion Cotillard haben, die hier zwar für Zwei Tage, eine Nacht und The Immigrant ausgezeichnet wurde, jedoch bei den Oscars schlechtere Chancen haben wird. Sie wurde schließlich bereits für eine noch mehr gefeierte Performance in Der Geschmack von Rost und Knochen übergangen. Hingegen kann ich mir gut vorstellen, dass J.K. Simmons und Patricia Arquette zu den Favoriten in ihren Kategorien sein werden.
Morgen gibt die National Board of Review, einer der wichtigsten Filmkritiker-Verbände der USA, ihre Auszeichnungen für die besten Filme und Schauspieler des Jahres bekannt und wir werden noch mehr Gespür für den Verlauf des diesjährigen Oscar-Rennens bekommen. Wir sind gespannt!