Betty Gilpin in The Hunt © 2019 Universal Pictures
Quellen: Universal Pictures, Indiewire
Vor wenigen Tagen haben zwei Einzeltäter in einem Zeitraum von 24 Stunden in Dayton, Ohio und El Paso, Texas insgesamt 31 Menschen bei Amokläufen erschossen. Der Dayton-Amokläufer wurde von der Polizei erschossen; der Täter von El Paso wurde verhaftet und offenbarte seine rechtsextreme Motivationen. Es war wieder eine dunkle Stunde für die USA, doch leider Gottes auch eine von sehr, sehr, sehr vielen in den letzten Jahren.
Wie jedes Mal nach einem Amoklauf entfachten die furchtbaren Taten in den USA erneut die Diskussion über die laxen Waffengesetze. Deren Verschärfung würde natürlich nicht den Hass stoppen, doch sie würde es den Möchtegern-Amokläufern schwer machen. Und natürlich fanden sich wieder – insbesondere in den republikanischen Kreisen – diejenigen, die das Ganze wieder einmal auf Medien, allen voran gewalttätige Videospiele, schoben. Das El-Paso-Massaker ereignete sich in einem Walmart, wenige Tage zuvor wurden in einem anderen Walmart in Mississippi zwei Mitarbeiter erschossen. Wie hat Walmart reagiert? Die Werbung für Videospiele wurde aus allen Filialen in Texas und Mississippi entfernt. Waffen werden in diesen Supermärkten weiterhin verkauft.
Nicht nur Videospiele werden jedoch in Zeiten wie diesen verteufelt, auch Kinofilme kriegen ihr Fett ab. Ins Kreuzfeuer der konservativen Medien und von Donald Trumps Twitter-Account geriet Universals Actionthriller The Hunt. Zugegeben, das Timing für einen Film, in dem die reiche Elite arme Leute entführt und aus Spaß jagt, ist, gelinde gesagt, nicht ideal. Universal begann erst kürzlich mit der Werbekampagne für den Film, den zuvor niemand auf dem Schirm hatte, und erregte damit große Aufmerksamkeit. Der Trailer ähnelte der The-Purge-Reihe. Kein Zufall, denn auch The Hunt stammt aus der Low-Budget-Horrorschmiede Blumhouse.
Nicht dass die Idee von Menschen, die Unterprivilegierte aus Spaß jagen, neu sei. Sie hat ihren Ursprung in Richard Connells Kurzgeschichte "Das grausamste Spiel" von 1924. Adaptiert wurde es erstmals 1932 als Filmklassiker Graf Zaroff – Genie des Bösen (OT: The Most Dangerous Game) fürs Kino. Es folgten mehrere Neuverfilmungen sowie lose Adaptionen, darunter Surviving the Game mit Ice T und John Woos Harte Ziele von Jean-Claude Van Damme. The Hunt sollte jedoch eine satirische Komponente haben und dem modernen Amerika einen Spiegel vorhalten. So sollten die Jäger in dem Film – entgegen den Erwartungen – reiche Liberale sein, die in ihren Augen entbehrliche Republikaner jagen. Inszeniert wurde der Film von Craig Zobel (Compliance) und anhand seiner bisherigen Filme bezweifle ich stark, dass The Hunt geschmacklose Exploitation ist.
Doch werden wir es je erfahren? Vielleicht, aber vorerst nicht. Universal hat den Film, der Ende September in den USA anlaufen sollte, ersatzlos vom Startplan gestrichen. In Deutschland war der Starttermin für den 28. November angesetzt. Bereits kurz nach den Amokläufen stoppte Universal die Vermarktung des Films im Fernsehen, um nicht pietätslos zu erscheinen. Zur Streichung der Veröffentlichung gab es von Universal das folgende Statement: (aus dem Englischen)
Nachdem Universal bereits die Marketingkampagne für The Hunt pausiert hatte, hat das Studio nach reifer Überlegung beschlossen, die Pläne, den Film zu veröffentlichen, abzusagen. Wir stehen zu unseren Filmemachern und werden weiterhin Filme in Zusammenarbeit mit mutigen und visionären Schöpfern vertreiben, wie denjenigen, die an diesem satirischen Thriller gearbeitet haben, aber wir verstehen auch, dass jetzt nicht die richtige Zeit ist, diesen Film zu veröffentlichen.
Glückwunsch. Das Problem der Waffengewalt ist hiermit offiziell gelöst. Jegliche weitere Überlegungen zur Überarbeitung der Waffengesetze sind natürlich überflüssig…
Fox News und Trump haben sich natürlich ganz besonders an der Kontroverse durch den Film ergötzt und warfen Hollywood Rassismus vor, weil in dem Film vermeintlich Republikaner gejagt werden (die jetzt scheinbar eine eigene Rasse sind). Natürlich war es auch enorme kostenlose Werbung für den Film, wäre er doch veröffentlicht worden. Man könnte meinen, Universal habe sich dem Druck der Politik gebeugt. Doch das Online-Portal Indiewire berichtet, dass es noch vor Trumps Tweets Pläne gab, den Starttermin zu streichen. Banner und Plakate für den Film wurden auf dem Studiogelände von Universal mehrere Tage vor der Bekanntgabe der Startabsage abgenommen, was in aller Regel ein Zeichen dafür ist, dass der Film nicht veröffentlicht wird. Weil jedoch die öffentliche Ankündigung erst später folgte, sieht es nun so aus, als habe Universal lediglich auf den Druck der Medien und des US-Präsidenten reagiert.
Das Stichwort in Universals Statement ist jedoch "richtige Zeit". Universal spricht aktuell nicht vom Verschieben des Starttermins, sondern von dessen Streichung. Es gibt dennoch jeden Grund, davon auszugehen, dass das Studio The Hunt nicht auf immer und ewig vergraben wird. Vergleichbare Fälle gab es schon in Vergangenheit. Arnold Schwarzeneggers Collateral Damage wurde wegen der Terroranschläge vom 11. September um mehrere Monate nach hinten verschoben. Gangster Squad wurde nach dem Amoklauf bei der Mitternachtsvorstellung von The Dark Knight Rises nach hinten verschoben, weil in einer der Filmszenen in einem Kinosaal Feuer eröffnet wurde. Die Szene wurde aus dem Film herausgeschnitten und eine andere wurde stattdessen gedreht. Das letzte prominente Beispiel der Selbstzensur war Sonys Komödie The Interview. Infolge von Terrordrohungen seitens nordkoreanischer Hacker gegen alle Kinos, die den Film zeigen, verzichtete Sony auf einen breiten Kinostart. Lediglich kleinere Independent-Kinos spielten den Film mit James Franco und Seth Rogen, der am gleichen Tag direkt über Video-On-Demand veröffentlicht wurde. Alle diese Filme wurden jedoch trotz der Kontroversen früher oder später veröffentlicht und ich habe keine Zweifel, dass auch The Hunt das Licht der Welt erblicken wird. Wann und auf welchem Medium, das bleibt noch offen.
Betty Gilpin ("GLOW") spielt die Hauptrolle in The Hunt als eine entführte Frau, die sich erfolgreich zu Wehr setzt. Oscargewinnerin Hilary Swank (Million Dollar Baby) verkörpert die Erfinderin des tödlichen Spiels. Emma Roberts ("American Horror Story") spielt eine der Gejagten.
Eins ist sicher: Wer vor Universals Startabsage von dem Film noch nicht gehört hat, kennt ihn jetzt auf jeden Fall. Neugierig? Hier ist der Trailer:
https://youtu.be/x8IifEu67yU