Liebe Filmfutter-fans und Oscar-begeisterte Cineasten,
willkommen zum zweiten und üblicherweise längsten Teil unserer ausführlichen Vorschau auf die Hauptkategorien der 87. Academy Awards. Diesmal widme ich mich den vier Schauspielkategorien. Als Grundlage für meine Tipps dienen mehrere "Vorläufer"-Auszeichnungen und -Nominierungen. Am wichtigsten sind dabei die Nominierungen der Schauspielergewerkschaft Screen Actors Guild, die vergangenen Monat verkündet wurden. Doch wie ich bereits in dem damaligen Artikel erklärt habe, weichen die Oscarnominierungen in der Regel bei etwa 5 von 20 Nominees hier ab; eine komplette 1:1-Übereinstimmung hat es noch nie gegeben und es wird sie auch dieses Jahr nicht geben. Das liegt unter anderem an dem Abstimmungsverfahren ab, da die 2100 SAG-Wähler aus über 100,000 Mitgliedern jährlich per Zufall bestimmt werden und es daher auch sein kann, dass es keine Überschneidung mit den Academy-Mitgliedern gibt. Nichtsdestotrotz sind die SAG-Nominierungen hochsignifikant als Prädiktoren späterer OscarnomInierungen und wer hier nicht genannt wurde, muss sich erst einmal hocharbeiten und kann eigentlich zwangsläufig nie als absolut sicherer Kandidat gelten.
Doch nicht nur die SAG wird als Prädiktor herangezogen, auch die Nominierungen der Golden Globes, der BAFTA, der BFCA und die relevanten Kritikerpreise ziehe ich zu meiner Analyse hinzu. Last, but not least gehört auch eine gute Portion von Bauchgefühl zu der Sache dazu, denn auch Sympathien und Status in Hollywood sowie die Gesamtposition der jeweiligen Filme im Oscar-Rennen spielen bei den Nominierungen eine gewaltige Rolle.
Schauen wir uns doch zu Beginn erst einmal die Nominierungen der Screen Actors Guild Awards an:
Bester Hauptdarsteller
Steve Carell (Foxcatcher)
Benedict Cumberbatch (The Imitation Game)
Jake Gyllenhaal (Nightcrawler)
Michael Keaton (Birdman)
Eddie Redmayne (Die Entdeckung der Unendlichkeit)
Beste Hauptdarstellerin
Jennifer Aniston (Cake)
Felicity Jones (Die Entdeckung der Unendlichkeit)
Julianne Moore (Still Alice)
Reese Witherspoon (Wild – Der große Trip)
Rosamund Pike (Gone Girl)
Bester Nebendarsteller
Robert Duvall (Der Richter – Recht oder Ehre)
Ethan Hawke (Boyhood)
Edward Norton (Birdman)
Mark Ruffalo (Foxcatcher)
J.K. Simmons (Whiplash)
Beste Nebendarstellerin
Patricia Arquette (Boyhood)
Keira Knightley (Naomi Watts)
Emma Stone (Birdman)
Meryl Streep (Into the Woods)
Naomi Watts (St. Vincent)
Während sich seitdem in den Kategorien "Bester Hauptdarsteller" (die dieses Jahr über alle Maßen voll ist) und "Beste Nebendarstellerin" einiges getan hat, stehen die beiden anderen Kategorien weitgehend fest. In jenen geht es vor allem um die Belegung des fünften Platzes. Schauen wir uns doch die Kategorien einzeln genauer an:
Beste Nebendarstellerin
Die Siegerin der Kategorie ist eindeutiger als in jeder anderen Schauspielkategorie dieses Jahr. Patricia Arquettes Leistung in Boyhood wurde fast überall bislang ausgezeichnet und wie der Film selbst, ist sie nicht aufzuhalten. Zwei junge Damen haben sich neben ihr ebenfalls als sichere Nominees etabliert. Interessant ist, dass keine der drei sicheren Kandidatinnen bislang je für einen Oscar nominiert wurde. Weiter unten herrscht jedoch noch ein harter Kampf um die verbleibenden zwei Plätze in den Nominierungen. Eins kann ich auf jeden Fall garantieren – die Oscarnominierungen werden hier von den Noms der SAG auf jeden Fall abweichen.
Sichere Kandidatinnen
Patricia Arquette (Boyhood) – Wie bereits oben erwähnt, ist Patricia Arquette nicht nur eine todsichere Kandidatin für eine Oscarnominierung für ihre sehr authentische Performance in Richard Linklaters ambitioniertem Drama Boyhood, sie ist auch die unangefochtene Favoritin für den Sieg. Der Film selbst, auf den wir noch im dritten Teil unserer Vorschau ausführlich eingehen werden, ist ebenfalls klarer Oscarfavorit, doch trotz dieser Tatsache ist er eigentlich "nur" in drei Kategorien der Top-Kandidat im Moment – Film, Regie und eben Nebendarstellerin. Arquettes Darbietung ist das Herz des Films und sowohl Kritiker als auch Industrievertreter sind sich einig: es ist ihr Jahr. Vergangenen Sonntag gewann sie bereits den Golden Globe für ihre Arbeit, Nominierungen der BAFTAs, der Screen Actors Guild und der Critics Choice Awards von der BFCA hat sie ebenfalls erhalten (und wird diese höchstwahrscheinlich auch gewinnen). Neben J.K. Simmons und Michael Keaton it es Patricia Arquettes Name, der bislang bei so gut wie jeder Preisverleihung zumindest unter den Nominierten, meist aber unter den Siegern zu lesen war. Die Filmkritiker von Chicago, New York, Toronto und Los Angeles (hier sogar als "Beste Hauptdarstellerin") sowie zahllose andere zeichneten sie bereits aus. Wenn sie nicht nominiert wird, sollte man eine interne Untersuchung der Oscars einleiten, denn dann ist etwas gewaltig schiefgegangen. Wird es aber nicht, sie ist drin.
Emma Stone (Birdman) – Die bezaubernde Emma Stone hat mit Rollen wie im Oscarkandidat The Help bereits seit einer Weile auf ihre erste Oscarnominierung hingearbeitet und mit Birdman wird es nun endlich soweit sein. Gewinnen konnte sie für ihre Performance (die auch eine klassische "Oscar-Szene" beinhaltet) bislang nicht viel, da Patricia Arquette in dieser Kategorie fast alle Auszeichnungen eingesammelt hat, doch sie wurde überall nominiert, wo es wirklich zählt: SAG, BFCA, BAFTAs und die Golden Globes. Der Filmkritikerverband von Boston wählte sie tatsächlich als Gewinnerin und die Kritiker von Washington, San Francisco, Houston und Chicago haben sie nominiert. Birdman ist ein "Schauspielerfilm", in dem der gesamte Cast zur Höchstform aufläuft. Zwar liegt Stone in dieser Hinsicht noch deutlich hinter ihren Kollegen Michael Keaton und Edward Norton, wird aber auf jeden Fall auf der Welle der Begeisterung für den Film mitgetragen. Die Tatsache, dass sie zu den sympathischsten jungen Hollywood-Stars gehört, schadet natürlich auch nicht.
Keira Knightley (The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben) – Neun Jahre ist es her, dass Keira Knightley für ihre tolle Performance in der Jane-Austen-Verfilmung Stolz und Vorurteil für einen Oscar nominiert wurde. Auch wenn Knightley seitdem in zahlreichen Prestigefilmen und potenziellen Oscarkandidaten (darunter Abbitte und Die Gräfin) mitgewirkt hat, ließ sie die Academy kalt. Das wird sich dieses Jahr jedoch ändern, denn mit The Imitation Game ist sie erstmals seit Abbitte in einem wirklich starken Oscaranwärter zu sehen und da die Nebendarstellerin-Kategorie weniger überfüllt ist als die der Hauptdarstellerin damals bei Abbitte, wird sie mit ziemlicher Sicherheit nominiert werden – auch wenn ihre Performance im Schatten von Benedict Cumberbatch steht. Wie schon Emma Stone, hat sie bislang kaum etwas gewonnen (mit der Ausnahme des Filmkritikerpreises aus Phoenix), wurde jedoch bei allen relevanten Awards (SAG, BFCA, BAFTAs, Golden Globes) nominiert. Die Oscars werden folgen, doch Knightley wird sich wohl weiter gedulden müssen, bis sie gewinnt.
Wahrscheinliche Kandidatinnen
Jessica Chastain (A Most Violent Year) – Vor vier Jahren kannte niemand in Hollywood Jessica Chastain. Heute gehört sie als eine der fleißigsten Schauspielerinnen Hollywoods (mit einem unglaublich konsistent gutem Geschmack, was die Auswahl ihrer Filme betrifft) zu den gefeiertsten Vertreterinnen ihrer Zunft und hat mit Rollen in Filmen wie The Tree of Life, The Help, Zero Dark Thirty und den diesjährigen Interstellar und A Most Violent Year die weltweite Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Zwei Oscarnominierungen gab es für sie bereits und trotz des verspäteten Beginns ihrer Karriere, wird sie schon sehr bald als eine für einen Oscarsieg überfällige Schauspielerin gelten. Gewinnen wird sie dieses Jahr gegen Arquette nicht, doch obwohl die Schauspielergewerkschaft sie nicht nominiert hat, stehen ihre Chancen auf eine Oscarnominierung sehr gut. Sie ist jedenfalls die beste Chance von J.C. Chandors Film auf eine Oscarnominierung. Sowohl die BFCA als auch die Golden Globes haben sie nominiert. Die National Board of Review zeichnete sie sogar als "Beste Nebendarstellerin" aus (einer der drei Preise, die der Film von der NBR bekommen hat) und zahlreiche Filmkritikerverbände haben sie nominiert. Es ist aber auch Chastains momentaner Status als eine stets zuverlässig phänomenale Schauspielerin, die ihr bei den Nominierungen helfen sollte, ebenso wie ihre starken Darbietungen in Interstellar und Das Verschwinden von Eleanor Rigby, für die sie zwar keine Oscarnominierungen bekommen wird, die aber dazu beitragen, dass sie in den Köpfen der Oscar-Wähler bleiben wird.
Meryl Streep (Into the Woods) – Meryl Streep und die Oscars: die unendliche Geschichte. Wird Streep für ihre Performance im Disney-Musical Into the Woods ihre 19. Oscarnominierung erhalten? Das ist gut möglich, auch wenn die Darbietung weit von den Highlights ihrer Karriere entfernt ist. Die SAG, die Golden Globes und die BFCA haben sie jedenfalls nominiert, während die Filmkritikerverbände sie fast gänzlich ignoriert haben. Streep liefert zweifelsohne die stärkste Performance ihres Films ab und letztendlich ist ihr Hauptargument die Tatsache, dass sie Meryl Streep ist. Doch es könnte sich auch gegen sie wenden. Mittlerweile hat sie den Oscar schon dreimal gewonnen und vielleicht wird die Academy nicht mehr so geneigt sein, eher zweitrangige Performances von ihr zu nominieren. Ich habe hier ein Bauchgefühl, dass obwohl sie auf Papier als sehr wahrscheinlich aussieht, es so enden könnte wie bei Emma Thompson in Saving Mr. Banks letztes Jahr, da der Film selbst nicht gerade viel Beachtung während der Oscar-Saison erhalten hat. Es wird jedoch niemanden überraschen, wenn Streeps Name morgen vorgelesen wird.
Weitere Anwärterinnen
Rene Russo (Nightcrawler) – Hier ist eine Kandidatin, mit der zu Beginn des Oscar-Rennens eigentlich niemand gerechnet hat und die erst später als mögliche Anwärterin hervorging. Die meisten konzentrierten sich im Hinblick auf Nightcrawler auf Jake Gyllenhaals phänomenale Performance, doch nach und nach wurden die Filmkritikerverbände auf sie aufmerksam. In San Diego gewann sie, in Los Angeles belegte sie den zweiten Platz. Den größten Erfolg feierte sie mit der BAFTA-Nominierung. Dort setzte sie sich gegen Meryl Streep und Jessica Chastain durch. Die Oscars lieben Comeback-Geschichten und in Nightcrawler spielt Russo ihre erste erinnerungswürdige Rolle seit Die Thomas Crown Affäre vor 15 Jahren. Ihr Zusammenspiel mit Gyllenhaal ist fantastisch. Letzten Endes wird es aber darauf ankommen, wie sehr die Academy sich für den Film insgesamt erwärmt und die Anzeichen dafür stehen nach den Nominierungen der Produzentengewerkschaft und der BAFTAs eigentlich ganz gut.
Laura Dern (Wild – Der große Trip) – Vor Beginn der Oscar-Saison galt Laura Derns Performance noch als eine sehr wahrscheinliche Oscaranwärterin gehandelt, doch im Gegensatz zu Filmen wie The Imitation Game und Birdman, in denen die Nebendarstellerinnen auf einer Welle der Begeisterung für den Film selbst mitgetragen werden, schlug Wild im Oscar-Rennen selbst nicht so ein und es ist Reese Witherspoons Performance, die alle Augen auf sich zieht. So hat Dern zwar mehrere Nennungen von Filmkritikerverbänden erhalten, doch keiner der wichtigen Oscars-Vorläufer (wie Golden Globes oder SAG) hat sie nominiert. Eine Überraschung wäre immer noch möglich, jedoch eher unwahrscheinlich.
Naomi Watts (St. Vincent) – Naomi Watts' Nominierung seitens der Screen Actors Guild war eine Kuriosität, mit der niemand gerechnet hat. In meinen Augen absolut verdient, doch nicht viele sehen das so, denn nach der SAG folgte keine einzige Nennung ihres Namens im gesamten Oscar-Rennen. Wäre sie nicht von der Schauspielergewerkschaft erwähnt worden, hätte ich sie vermutlich nie in Betracht gezogen für diese Vorschau und auch jetzt tue ich das vor allem wegen der Vollständigkeit. Eine wirkliche Chance hat sie nicht, die SAG-Nom war vermutlich eine glückliche Fügung.
Carrie Coon (Gone Girl) – Wenn es mit rechten Dingen zugehen würde, wäre Carrie Coon eine deutlich stärkere Kandidatin im Oscar-Rennen, denn obwohl Rosamund Pike natürlich die beste Performance des Films von David Fincher bietet, ist Coon als Schwester von Ben Afflecks Figur das Herz des Films und dessen einziger wirklich sympathischer Charakter. Doch abgesehen von den Filmkritikerverbänden von St. Louis, Phoenix und San Diego wurde sie bislang nirgends nominiert und außer die Academy liebt Gone Girl über alle Maßen, werden die Oscars sie ebenfalls nicht nominieren.
Carmen Ejogo (Martin Luther King – Der Marsch von Selma) – Wie im Falle aller anderen Oscarchancen von Selma steht auch bei Carmen Ejogo ein Fragezeichen. Als Martin Luther Kings Frau ist ihre Rolle perfektes Oscar-Material, doch bislang gab es für sie lediglich eine Nominierung von den Independent Spirit Awards.
Außenseitertipp
Tilda Swinton (Snowpiercer) – Hier ist ein Fall, bei dem die Kritikergruppen die Performance lieben, die aber von der Academy vermutlich aufgrund des Genres und des zu "kleinen" (im kommerziellen Sinne) Films schlicht übergangen werden wird. Die BFCA hat Swinton überraschend nominiert und in Las Vegas gewann sie den Preis der Filmkritiker für die Rolle, in der sie jede ihrer Szenen an sich reißt. Snowpiercer hat zumindest den Vorteil, dass der Film als erster seine Screener an die Academy-Mitglieder verschickt hat. Doch andererseits hat es letztes Jahr Mud auch nicht geholfen und jener Film erhielt trotz blendender Kritiken keine einzige Oscarnominierung. Sollte die Oscargewinnerin aber dennoch nominiert werden, wäre es eine willkommene Überraschung.
Vorhersage:
Patricia Arquette (Boyhood)
Emma Stone (Birdman)
Keira Knightley (The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben)
Jessica Chastain (A Most Violent Year)
Rene Russo (Nightcrawler)
Bester Nebendarsteller
Im Gegensatz zur "Beste Nebendarstellerin"-Kategorie ist es hier sehr wahrscheinlich, dass die Schauspielergewerkschaft alle fünf Oscar-Nominees bereits korrekt vorhergesagt hat. Zumindest vier davon sind bereits seit Monaten in Stein gemeißelt und der Kampf wird nur noch um den fünften Platz ausgetragen. Ein weiterer Unterschied: die meisten Kandidaten hier können bereits auf mindestens eine (in einigen Fällen auch mehrere) Oscarnominierungen zurückblicken. Der aktuelle Favorit wird allerdings ebenfalls erstmals nominiert werden.
Sichere Kandidaten
J.K. Simmons (Whiplash) – Der o. g. Favorit ist natürlich J.K. Simmons aus dem Sundance-Gewinner Whiplash. Seine Performance, in der er mit seinen Beleidigungen gegenüber seinen Schülern am Musik-Konservatorium R. Lee Ermeys Gunnery Sergeant Hartman aus Full Metal Jacket die Schamesröte ins Gesicht treiben würde, gehört zu den denkwürdigsten und kraftvollsten des Jahres. Sie ist, um es im Fachjargon auszudrücken, sehr "showy". Das bedeutet, dass die Darbietung alles andere als subtil und dadurch perfekt aud die Oscars zugeschneidert ist. Doch sie ist auch eben verdammt gut und verleiht der Figur mehr Nuancen als man anfangs vermuten würde. Simmons hat sich über Jahre als ein stets sehr guter Charakterdarsteller in Nebenrollen bewiesen (u.a. in Jason Reitmans Juno und in Burn after Reading von den Coen-Brüdern), dessen Darbietungen die Filme immer bereichern. Mit Whiplash ist es nun seine Zeit, im Rampenlicht zu stehen. Einen Golden Globe gewann er für die Rolle bereits, mögliche Auszeichnungen von der SAG, der BAFTA und der Broadcast Film Critics Association stehen noch aus. Die Filmkritiker von New York, Los Angeles, Chicago, Boston und Las Vegas sowie zahlreiche andere zeichneten seine Performance aus, die in dieser Oscar-Saison vermutlich nach Patricia Arquettes Darbietung die zweitmeisten Preise eingeheimst hat. Der Oscar sollte folgen, insbesondere da auch Whiplash selbst im Rennen an Fahrt kontinuierlich zunimmt.
Edward Norton (Birdman) – Wenn irgendjemand auch nur den Hauch einer Chance hat, Simmons seinen verdienten Oscar wegzuschnappen, dann ist es Edward Norton, dessen zügellose Performance in Birdman seine beste schauspielerische Leistung seit American History X darstellt. Er wurde für diese von der National Board of Review und den Filmkritikern von San Francisco ausgezeichnet, während er in Los Angeles den zweiten Platz belegt hat. Noch viel wichtiger sind in diesem Kontext jedoch seine Nominierungen bei den Golden Globes, den BAFTAs, der BFCA und der SAG. Norton ist mit Sicherheit drin.
Ethan Hawke (Boyhood) – Hawke ist in einer ähnlichen Position wie Norton und wurde ebenfalls von allen wichtigen Prädiktoren (BFCA, SAG, BAFTA, Golden Globes) genannt. Dazu kommt noch, dass er Teil des diesjährigen Favoriten für "Bester Film" ist und das wirkt sich in der Regel immer positiv auf die Chancen der Schauspieler des Films aus. Es sieht ganz so aus als würde Hawke 13 Jahre nach Training Day seine zweite Oscarnominierung als Schauspieler erhalten (in der Zwischenzeit wurde er als Co-Autor von Before Sunset und Before Midnight nominiert).
Mark Ruffalo (Foxcatcher) – Auch der vierte im Bunde, Mark Ruffalo, wurde bei allen bisherigen großen Preisverleihungen nominiert (ich sagte es doch, die Kategorie ist vorhersehbar!). Foxcatcher ist auf jeden Fall ein "Schauspieler-Film" und Ruffalo hat die besten Chancen auf eine Nominierung aus dem Cast.
Wahrscheinliche Kandidaten
Robert Duvall (Der Richter – Recht oder Ehre) – David Dobkins Gerichtsthriller/Familiendrama Der Richter feierte im Rahmen des Toronto Filmfestivals ohne viel Jubel Premiere und hinterließ weder bei den Kritikern noch am Box-Office einen bleibenden Eindruck, doch ob es nun am Veteranen-Status des Schauspielers oder an mangelnder Konkurrenz liegt, wurde Robert Duvalls Performance als resoluter Richter unter Mordverdacht während der Oscar-Saison aus der allgemeinen Vergessenheit herausgeholt und sowohl bei den Golden Globes als auch von der Schauspielergewerkschaft SAG nominiert. Lediglich die BAFTA wehrte sich gegen die Anerkennung einer Performance aus einem mittelprächtigen Film. Duvall wurde bislang sechsmal für den Oscar nominiert und gewann ihn einmal. Wenn es dieses Jahr zu einer siebten Nominierung kommt, wird es aber vor allem an einem Mangel an visibler Konkurrenz gelegen haben. So ganz glaube ich aber noch nicht ganz daran. Duvall wurde von der SAG und der BFCA bereits für seine Performance in Am Ende des Weges vor einigen Jahren nominiert, zog bei den Oscars aber den Kürzeren.
Weitere Anwärter
Josh Brolin (Inherent Vice – Natürliche Mängel) – Josh Brolin ist ein toller Schauspieler, der in Paul Thomas Andersons Inherent Vice angeblich eine fantastische Performance abliefert. Das Problem besteht jedoch darin, dass den Film nicht viele mögen und auch nicht viele gesehen haben. Für eine Nominierung seitens der BFCA und mehrerer Kritikerverbände hat es gereicht, doch Nennungen seitens der größeren Industriepreise blieben aus und der schwache Status des Films selbst hilft auch nicht weiter. Andererseits hat die Academy sich in Vergangenheit bereits sehr wohlwollend gegenüber den Schauspielern aus Paul Thomas Andersons Filmen gezeigt. Boogie Nights, Magnolia, There Will Be Blood und The Master ernteten insgesamt sieben Nominierungen für ihre Darsteller und Darstellerinnen, darunter waren auch einige Überraschungen wie die Nennung von Amy Adams in The Master. Daher will ich Josh Brolin noch nicht ausschließen, insbesondere wenn die Academy-Wähler keinem Durchschnittsfilm wie Der Richter eine Nom geben wollen.
Christoph Waltz (Big Eyes) – Christoph Waltz ist der Hauptdarsteller von Tim Burtons Biopic Big Eyes und wurde auch als Hauptdarsteller bei den Golden Globes nominiert, doch das hält Harvey Weinstein nicht davon ab, ihn als "Bester Nebendarsteller" im Oscar-Rennen zu pushen, denn nur hier hat er eine eventuelle Chance auf eine Nennung, da das Feld der Kandidaten nicht so voll ist. Schließlich war Waltz ja auch in Django Unchained auf jeden Fall ein Hauptdarsteller, erhielt aber den Nebendarsteller-Oscar. Insgesamt glaube ich aber, dass die Rezeption des Films nicht positiv genug und Waltz' Figur zu karikaturhaft ist, um eine Oscarnominierung zu erhalten.
Tom Wilkinson (Martin Luther King – Der Marsch von Selma) – Als Präsident Lyndon B. Johnson ist Tom Wilkinsons Rolle perfektes Material für eine Oscarnominierung, doch ich sehe hier das gleiche Problem, wie in anderen Kategorien für den Film – es ist nach aktueller Lage (= komplette Abwesenheit bei anderen Industriepreisen aufgrund mangelnder Screener) einfach unmöglich, den Oscarerfolg des Streifens korrekt vorherzusagen. Es kann sein, dass Selma morgen für drei seiner Schauspieler Oscarnominierungen einheimst, es kann aber auch sein, dass niemand nominiert wird oder, im schlimmsten Fall, der Film wie Der Butler letztes Jahr abschneidet (sprich: gar keine Oscarnominierungen). Man muss also Wilkinson im Hinterkopf behalten, doch es spricht aktuell nichts direkt für seine Nominierung.
Außenseitertipp
Steve Carell (Foxcatcher) – Hier ist einer der interessantesten Fälle des diesjährigen Oscar-Rennens. Es geht um die Frage nach Hauptdarsteller oder Nebendarsteller und wie es manchmal so ist, ist diese Grenze bei Steve Carells gefeierter Performance in Foxcatcher verschwommen. Vermarktet wird er als Hauptdarsteller und wurde auch als solcher von den Golden Globes und der SAG nominiert – nicht aber von der BAFTA, die ihn gemeinsam mit Mark Ruffalo in die "Bester Nebendarsteller"-Kategorie steckte. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Academy eher mit der BAFTA d’accord geht, was die Kategorisierung angeht. So wurde Kate Winslet von den Golden Globes, der BFCA und der Screen Actors Guild 2009 für Der Vorleser als "Beste Nebendarstellerin" ausgezeichnet, gewann aber den Oscar später als "Beste Hauptdarstellerin" (Wo auch die BAFTA sie eingeordnet hat). Tatsächlich liegt Carells beste Chance auf eine Nominierung nicht in der äußerst kompetitiven Hauptdarsteller-Kategorie, sondern als Nebendarsteller. Außerdem gibt es zahlreiche Präzedenzfälle, in denen noch deutlichere Hauptrollen als Nebenrollen deklariert wurden (siehe Jamie Foxx in Collateral oder Jennifer Connelly in A Beautiful Mind).
Vorhersage:
J.K. Simmons (Whiplash)
Edward Norton (Birdman)
Ethan Hawke (Boyhood)
Mark Ruffalo (Foxcatcher)
Steve Carell (Foxcatcher)
Beste Hauptdarstellerin
Hier ist der Wettbewerb vor allem um den letzten Platz, denn die Top 4 Kandidatinnen stehen mittlerweile nach der Bekanntgabe der BFCA-, der SAG– und der Golden Globe-Nominierungen so ziemlich fest.
Sichere Kandidatinnen
Julianne Moore (Still Alice) – Mit vier erfolglosen Nominierungen zwischen 1997 und 2002 gilt Julianne Moore als einer der Schauspielerinnen, die für eine Auszeichnung schon lange überfällig sind. Für ihre Performance in A Single Man wurde ihr eine Nennung verwehrt, doch als eine an Alzheimer erkrankte Uni-Professorin in Still Alice ist sie die große Favoritin dieses Jahr, die es zu schlagen gilt. Der Film selbst ist ziemlich klein und die Rezensionen sind zwar solide, jedoch nicht außerordentlich, doch Moores Performance soll fantastisch sein und es herrscht ein allgemeiner Konsens, dass ihre Zeit bei den Oscars endlich gekommen sei. Die Golden Globes haben sie bereits prämiert, ebenso wie die Filmkritiker von Chicago, San Francisco und Washington. In Los Angeles und Toronto belegte sie den zweiten Platz, während die National Board of Review sie als "Beste Hauptdarstellerin" ausgezeichnet hat. Besonders wichtig sind jedoch die Nominierungen seitens der SAG, der BAFTA und der BFCA. Es wird wohl ihre fünfte Oscarnominierung sein, die Moore endlich zur Trophäe führen wird.
Rosamund Pike (Gone Girl) – Wäre es nicht Julianne Moores Jahr, dann wäre Rosamund Pike als psychopathische und doch nuancierte Amazing Amy aus David Finchers Gone Girl die klare Favoritin der Saison gewesen. Unter den Kritikern scheint sie es jedenfalls zu sein. Sie gewann mehr Kritikerpreise als Moore, u. a. in Florida, Phoenix, St. Louis, Detroit und Austin, doch dort wo es darauf ankommt, wird sie ihr vermutlich unterliegen. Nichtsdestotrotz haben die Globes, die BAFTAs, die BFCA und die SAG sie nominiert und nachdem Fincher bereits Rooney Mara eine Oscarnominierung mit Verblendung bescheren konnte, wird auch seine neuste Hauptdarstellerin mit Sicherheit in die Endauswahl kommen.
Reese Witherspoon (Wild – Der große Trip) – Hätte Witherpsoon für Walk the Line nicht bereits einen Oscar gewonnen, wäre sie für ihre Performance in Wild – Der große Trip vermutlich die Favoritin für den Sieg gewesen. Die Rolle hat alles – tragischen Verlust, Drogensucht, Selbstentdeckung, eine wahre Geschichte und eine positive Botschaft! Regisseur Jean-Marc Vallée verhalf mit Dallas Buyers Club letztes Jahr Matthew McConaughey und Jared Leto zum Oscarglück und wird für die zweite Nominierung für Witherspoon sorgen. Mittlerweile dürfte so gut wie jeder Schauspieler Hollywoods mit ihm zusammenarbeiten wollen. Demnächst versucht er endlich den Oscarfluch von Amy Adams zu brechen.
Felicity Jones (Die Entdeckung der Unendlichkeit) – Eddie Redmayne erntet zwar noch mehr Lob für Die Entdeckung der Unendlichkeit, doch für mich ist Felicity Jones' zurückhaltende und sehr nuancierte Performance die wahre Offenbarung in dem Film. Im Gegensatz zu Redmayne hat sie leider gar keine Chance auf den Sieg (ihre drei Hauptkonkurrentinnen haben auf jeden Fall bessere Karten), aber nach den Nominierungen der SAG, der BAFTAs, der Golden Globes und der BFCA führt kein Weg an einer Oscarnominierung vorbei.
Wahrscheinliche Kandidatinnen
Amy Adams (Big Eyes) – Seit ihrem Durchbruch mit Junebug im Jahre 2005 wurde Amy Adams bereits fünfmal für den Oscar nominiert. Das bedeutet fünf Nominierungen in neun Jahren, die letzte davon erfolgte für American Hustle und war ihre erste Nennung als "Beste Hauptdarstellerin". Die zweite (und damit ihre sechste Nominierung insgesamt) könnte dieses Jahr folgen. Auf Papier klang Tim Burtons Biopic Big Eyes über die Malerin Margaret Keane als der Film, für den Adams endlich die goldene Statue gewinnen könnte, doch letztlich fiel er schlechter aus als erhofft und wird keinen Eindruck im Oscar-Rennen hinterlassen. Adams' Performance soll zwar stark sein, jedoch nicht herausragend genug, um im Rennen neben Moore, Pike, Witherspoon und Jones auf gleicher Augenhöhe mitzumischen. Ihr großer Vorteil ist aber, dass nach diesen vier Favoritinnen das Rennen sehr offen ist und ihr Film sowie ihre Rolle noch das größere Profil hat. Die Academy mag Adams offensichtlich (sie wurde ohne vorherige SAG-Nominierung letztes Jahr für American Hustle nominiert) und sie gewann am Sonntag den Golden Globe (ihren zweiten in Folge), was aber auch an schwacher Konkurrenz in der "Komödie/Musical"-Kategorie lag. Die einzige weitere nennenswerte Nominierung, die sie erhalten hat, war von den BAFTAs. Eigentlich keine tollen Voraussetzungen für eine Oscarnominierung, doch wie gesagt, das Feld ist weit und breit offen und ihre größte Konkurrentin Jennifer Aniston spielt in einem Film mit noch deutlich schwächeren Kritiken mit (den zudem auch niemand eigentlich gesehen hat, außerhalb von Festivals).
Weitere Anwärterinnen
Jennifer Aniston (Cake) – Als Jennifer Aniston für das winzige Indie-Drama Cake von der Schauspielergewerkschaft im Dezember nominiert wurde, musste ich feststellen, dass ich von dem Film zuvor noch nichts gehört oder gelesen habe. Das erscheint vielen vielleicht nicht ungewöhnlich, passiert mir aber äußerst selten, da ich das Filmgeschäft und insbesondere das Oscar-Rennen sehr aufmerksam mitverfolge. Die Tatsache, dass Cake völlig an mir vorbeigegangen ist, liegt weniger an meiner mangelnden Aufmerksamkeit und mehr an der Tatsache, dass von diesem Film wirklich kaum jemand davor gehört hat. Er wurde fast ausschließlich im Rahmen mehrerer Festivals gezeigt und erhielt nicht gerade glühende Rezensionen. Eine Ausnahme stellte jedoch Anistons seltene dramatische Performance dar. Aniston witterte die Gelegenheit, endlich als seriöse Darstellerin Anerkennung zu bekommen und warf sich Hals über Kopf ins Selbst-Marketing mit zahlreichen Promoauftritten zu dem Film. Es scheint funktioniert zu haben, denn auch die Golden Globes und die BFCA haben sie nominiert. Das war’s dann auch, denn außerhalb dieser drei – der Globes, der BFCA und der SAG – tauchte ihr Name nirgends, aber auch wirklich nirgends auf. Das ist schon kurios, denn sie hat drei der vier wichtigsten Prädiktoren abgedeckt (nur BAFTA fehlt, wo der Film nicht innerhalb der Deadline für potenzielle Kandidaten lag). Nichtsdestotrotz glaube ich nicht wirklich an eine Performance (existiert dieser Film wirklich?!). Ich sehe hier Parallelen zu Nicole Kidmans Nominierungen für The Paperboy. Sie erhielt Nennungen von der Schauspielergewerkschaft und den Golden Globes, doch bei den Oscars tauchte ihr Name nicht auf. Auch in jenem Fall handelte es sich um eine sehr bekannte Schauspielerin in einem winzigen Film, der nicht einmal gut rezensiert wurde.
Hilary Swank (The Homesman) – Hilary Swank ist irgendwie ein seltsamer Fall in Hollywood. Zwei Oscars hat sie bereits gewonnen – nach nur zwei Nominierungen. Doch trotz dieser Auszeichnungen bleibt sie dem Mainstream weiterhin eher weniger bekannt und steht selten im Rampenlicht. Sowohl nach ihrem ersten Oscar (für Boys don’t cry) als auch nach ihrem zweiten (für Million Dollar Baby) tauchte sie ab. Doch gelegentlich kommt sie wieder wie aus dem Nirgendwo und liefert eine beeindruckende Performance ab – zuletzt für Betty Anne Waters und jetzt in Tommy Lee Jones' Western The Homesman. Die Filmkritiker von Phoenix und San Diego haben Swank für ihre bemerkenswerte Performance darin nominiert, doch alle anderen Preisverleihungen ließ sie kalt, was angesichts der wirklich starken Performance etwas überrascht. Doch Swank war schon immer für die eine oder andere Überraschung gut und ich schließe es nicht gänzlich aus, dass sie morgen auf der Liste der Nominierten stehen wird.
Emily Blunt (Into the Woods) – Eines Tages wird Emily Blunt eine Oscarnominierung erhalten – doch vermutlich nicht dieses Jahr. Fünfmal wurde sie bei den Golden Globes bereits nominiert (und gewann auch einmal). Zuletzt erhielt sie eine Globe-Nom für ihre Performance im Disney-Musical Into the Woods, doch es war die einzige Nennung während der Oscar-Saison, die diese Rolle bekommen hat, weshalb ich ihre Chancen stark bezweifle.
Mia Wasikowska (Spuren) – Okay, das ist reines Wunschdenken meinerseits, denn kaum jemand hat den Film gesehen und an den Oscar-Saison ist er nahezu komplett vorbeigegangen. Schade, denn sie hätte nicht weniger Beachtung verdient als Reese Witherspoon.
Außenseitertipp
Marion Cotillard (Zwei Tage, eine Nacht) – Die Oscargewinnerin wurde vor zwei Jahren bereits ungerechterweise für ihre kraftvolle Performance in Der Geschmack von Rost und Knochen um eine Nominierung gebracht – trotz zahlreicher Nominierungen und Auszeichnungen im Vorfeld. Mit Zwei Tage, eine Nacht von den Dardenne-Brüdern befindet sie sich noch mehr in einer Außenseiter-Position als damals, denn der Film ist noch kleiner und sie hat diesmal weder eine SAG-Nominierung noch eine Golden-Globe-Nominierung erhalten. Umso mehr lieben sie jedoch die Kritiker in dieser Oscar-Saison. Die Filmkritikerverbände von New York, Boston und San Diego zeichneten sie als "Beste Hauptdarstellerin" aus und die Kritiker von Chicago und Houston haben sie nominiert. Am wichtigsten ist aber wohl die Nominierung der Broadcast Film Critics Association als eine der größten Kritikergruppen der USA. Bedeutet das war für die Oscars? Leider nicht, doch da die Konkurrenz um den fünften Platz wirklich sehr schwach ist, macht die Academy ja vielleicht einmal etwas richtig und "entschädigt" Cotillard damit für die Auslassung vor zwei Jahren. Was ihr ebenfalls hilft, ist dass sie vergangenes Jahr auch im Drama The Immigrant eine denkwürdige und hochgejubelte Performance abgeliefert hat (u. a. prämiert von den Kritikern aus Toronto).
Vorhersage:
Julianne Moore (Still Alice)
Rosamund Pike (Gone Girl)
Reese Witherspoon (Wild – Der große Trip)
Felicity Jones (Die Entdeckung der Unendlichkeit)
Amy Adams (Big Eyes)
Bester Hauptdarstellerer
Wie bereits letztes Jahr ist keine Kategorie dieses Jahr bei den Oscars so umkämpft wie diese. Drei Kandidaten stehen für mich jenseits jedes Zweifels fest, aber darüber hinaus kämpfen bis zu zehn weitere Schauspieler um den Platz in der Sonne. Ich schätze die Tatsache, dass diese Kategorie Jahr für Jahr so überfüllt erscheint, spricht auch dafür, dass Männer in Hollywood weiterhin die besseren Rollen bekommen als Frauen. Interessant ist aber, dass für alle drei aktuell todsicheren Kandidaten es ihre erste Nominierung sein wird (wie auch bei den Frauen in der Nebendarstellerin-Kategorie).
Sichere Kandidaten
Michael Keaton (Birdman) – Schon nach der Veröffentlichung des allerersten Trailers zu Birdman, war klar, dass Michael Keaton als einer der Top-Kandidaten ins Oscar-Rennen gehen würde. In den letztens sechs Wochen hat sich nichts getan, um diesen Eindruck abzuschwächen. Ich sehe hier klare Parallelen zu Mickey Rourkes Rolle in The Wrestler – ein anerkannter Arthouse-Regisseur führt einen etwas in Vergessenheit geratenen Schauspieler aus der "Versenkung" heraus, mit einer Rolle, die auf den Mimen so gut passt, wie die Faust aufs Auge. Es ist die Rolle seines Lebens und hoffentlich wird er im Gegensatz zu Rourke dafür auch ausgezeichnet werden. Mit einem Sieg bei den Golden Globes (in der "Komödie/Musical"-Kategorie) hat er bereits gut vorgelegt und räumte bei den Kritikerpreisen (darunter in San Francisco, Boston, Washington, Phoenix und Chicago) ganz schön ab. Die nötigen Nominierungen von der SAG, der BAFTA und der BFCA hat er auch erhalten und wird in die Oscarnacht als Favorit gehen.
Eddie Redmayne (Die Entdeckung der Unendlichkeit) – Im knappen Kampf um Platz 2 im "Bester Hauptdarsteller"-Rennen hat Eddie Redmayne seit seinem Golden-Globe-Sieg die Nase knapp vorne. Die physisch wie schauspielerisch sehr fordernde Rolle als Stephen Hawking bietet sich dafür natürlich auch perfekt an und der Status des Films als ein starker Kandidat im Oscar-Rennen tut den Rest. Weitere wichtige Preise hat er bislang nicht gewonnen, was vor allem an Keatons übermächtiger Konkurrenz liegt, erhielt aber natürlich alle wichtigen Vorläufer-Nominierungen.
Benedict Cumberbatch (The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben) – Mit der geballten Macht von Harvey Weinstein, der britischen Fraktion der Academy und der Tatsache, dass sein Film zu den größten Oscarkandidaten dieses Jahr gehört, hinter sich, ist Benedict Cumberbatch eine sichere Nummer, was Oscarnominierungen angeht. Biopic? Check. Weltkrieg als Thema? Check. Homosexualität als Thema? Check. Großer kommerzieller Erfolg? Check. Britische Unterstützung? Check. Allgemein beliebter Schauspieler, der in den Medien sehr präsent ist? Check. Cumberbatch und The mitation Game haben sehr viel, was für sie spricht. Die Golden Globes, die BAFTA, die BFCA und die SAG nominierten ihn und die Oscars werden es ihnen nachmachen. In einem Jahr ohne Keaton hätte ich ihm auch große Siegchancen zugerechnet.
Wahrscheinliche Kandidaten
Jake Gyllenhaal (Nightcrawler) – Jake Gyllenhaals regelrecht gruselige Performance als Freelance-Journalist ohne moralische oder ethische Grundsätze ist mein persönlicher Favorit in dieser Kategorie, doch noch vor zwei Monaten habe ich sie und den Film nahezu komplett abgeschrieben, was die Oscarchancen betrifft. Zu Academy-unfreundlich, bitterböse und pessimistisch habe ich ihn eingeschätzt, doch siehe da, Qualität setzt sich manchmal doch durch. Gyllanhaal wurde von der BFCA, den BAFTAs, den Golden Globes und der SAG nominiert und gewann als einziger Schauspieler neben Michael Keaton sogar einige Kritikerpreise (z. B. in Houston, St. Louis und San Diego). Es gibt also auf jeden Fall leidenschaftliche Unterstützer des Schauspielers, aber auch der Film selbst schnitt mit einer PGA-Nominierung und einer BFCA-Nominierung als "Bester Film" überraschend gut ab. Das American Film Institute und die National Board of Review nahmen ihn in ihre Listen der besten 11 Filme des vergangenen Jahres auf. Ob der Film auch bei den Oscars in dieser Kategorie nominiert werden wird, blebt vorerst fraglich, doch der Weg zu seiner zweiten Osacarnominierung (nach Brokeback Mountain) sollte für Gyllenhaal eigentlich frei sein. Oder doch nicht? Immerhin hat sich letztes Jahr am Beispiel von Tom Hanks in Captain Phillips gezeigt, dass auch das Nominierungs-Quartett SAG/BAFTA/BFCA/Golden Globes einem keine Oscarnominierung garantiert und leider ist Gyllenhaals Position weniger stabil als die von Redmayne, Keaton und Cumberbatch, da deren Filme besser im Rennen liegen. Deshalb platzierte ich Gyllenhaal nicht ganz weit oben, doch seine Chancen stehen sehr gut.
Weitere Anwärter
David Oyelowo (Martin Luther King – Der Marsch von Selma) – Vor einem Monat hätte ich Oyelowo noch unter die sicheren Kandidaten oder zumindest unter die sehr wahrscheinlichen platziert, doch dann glänzte das Martin-Luther-King-Biopic bei den Nominierungen für fast alle Industriepreise, mit der Ausnahme der Golden Globes, durch Abwesenheit. Das Thema der nicht herausgeschickten Screener habe ich bereits mehrfach erwähnt und ich kann mir immer noch nicht erklären, was Paramount sich dabei gedacht hast, doch die Academy-Mitglieder haben den Film angeblich gesehen und wenn das der Fall ist, können sie es wirklich (insbesondere beim aktuellen politischen Klima in den USA) Oyelowos angeblich sehr überzeugende Performance als der legendäre Bürgerrechtler ignorieren? Zugegeben, auch Idris Elba wurde als Nelson Mandela letztes Jahr nicht nominiert, doch sein Film, Mandela – Langer Weg zur Freiheit, erhielt eher mittelmäßige Kritiken und Südafrika bleibt von der Thematik her doch weiter weg von Hollywood als ein Teil der US-Geschichte. Neben der Hollywood Foreign Press Association (die die Globes vergeben), nominierte auch die BFCA seine Performance, ebenso wie die Independent Spirit Awards und mehrere Filmkritikerverbände. Ich kann es mir eigentlich nicht ausmalen, dass die Academy ihn unter normalen Umständen ignorieren wird, doch bei der Oscar-Kampagne des Films ist etwas gewaltig schiefgegangen und könnte ihm zahlreiche Nominierungen kosten – oder auch nicht. Wir werden es morgen erfahren.
Bradley Cooper (Der Scharfschütze) – Wer hätte vor fünf Jahren noch gedacht, dass Bradley Cooper, der Nebendarsteller aus der TV-Serie "Alias – Die Agentin" und Comedy-Star aus Hangover die Chance haben würde, drei Jahre in Folge für einen Oscar nominiert zu werden (das hat zuletzt Renee Zellweger vor über zehn Jahren vollbracht). Nach Silver Linings und American Hustle kommt nun eine neue potenzielle Oscarrolle für Cooper – diesmal in einem Film der Filmlegende Clint Eastwood, der darin die Geschichte des tödlichsten Scharfschützen der US-Armee auf die Leinwand gebannt hat. Sehr häufig ist Coopers Name in dieser Oscar-Saison noch nicht gefallen. Weder die Golden Globes noch BAFTA oder die SAG haben ihn nominiert. Vorzuweisen hat er lediglich eine Nom seitens der BFCA. Doch eines spricht für ihn: sein Film nimmt gerade in den letzten Wochen an Fahrt auf. Eastwood wurde von der Regiegewerkschaft nominiert, der Film selbst erhielt sowohl eine WGA– als auch eine PGA-Nominierung und in seinem bislang limitierten Vertrieb in vier US-Kinos schreibt der Streifen seit drei Wochen sensationelle Zahlen und wird sicherlich zu einem Riesenhit, wenn er kommendes Wochenende breit anläuft – vermutlich mit mehreren Oscarnominierungen im Rücken. Auf dieser langsam aber sicher sich aufbauenden Welle der Begeisterung könnte auch Coopers Performance mitgetragen werden. Er kämpft auf jeden Fall ganz vorne um den letzten Platz auf der Liste und könnte Gyllenhaal oder Oyelowo eine Nominierung kosten.
Ralph Fiennes (Grand Budapest Hotel) – Ist Der Scharfschütze erst seit Neustem ein starker Oscarkandidat, ist es bereits länger klar, dass Wes Andersons Grand Budapest Hotel zu den großen Jungs gehört (der Sieg bei den Golden Globes hat es abermals bestätigt). Fiennes' Performance, seine vermutlich von der Kritik am meisten gejubelte seit Der englische Patient, geht dabei ein wenig unter, doch auch die BFCA und die BAFTA haben sie nominiert. Lediglich eine SAG-Nominierung blieb aus. Wenn Fiennes es doch in die Endauswahl schafft, dann wird das vor allem für die Stärke seines Films sprechen, doch momentan sieht es ganz so aus, als würde er das Opfer der unglaublichen Konkurrenz dieses Jahr werden.
Steve Carell (Foxcatcher) – Steve Carell leidet unter der "Hauptdarsteller oder Nebendarsteller"-Problematik dieses Jahr (siehe weiter oben) und obwohl die Oscar-Saison für ihn mit Noms von den Golden Globes und der Screen Actors Guild gut angefangen hat, geriet er bei den Kritikerpreisen in den Hintergrund und wurde von der BFCA nicht erwähnt, während BAFTA ihn in die Nebendarsteller-Kategorie verfrachtete, wo er immerhin deutlich bessere Chancen hat. Carell hat auch das Problem, dass sein Film während der Oscar-Saison entgegen früheren Erwartungen nicht ganz "zündete" und damit auch seinen Chancen nicht geholfen hat.
Oscar Isaac (A Most Violent Year) – Die Oscar-Saison hat für Oscar Isaac mit der Nennung von der NBR gut begonnen (dort teilte er sich den Hauptdarsteller-Preis mit Michael Keaton), doch weder seine Oscarchancen noch die des Films selbst materialisierten sich weiter nach dem Überraschungssieg des Films zum Auftakt des Oscar-Rennens. So ganz möchte ich ihn aufgrund der NBR-Nennung dennoch nicht rauslassen, doch es würde mich schon sehr wundern, wenn sein Name morgen auftaucht.
Joaquin Phoenix (Inherent Vice – Natürliche Mängel) – Die Academy mag Joaquin Phoenix und hat ihn bereits dreimal für den Oscar nominiert. Seine letzte Nominierung ergatterte er für den letzten Film von Paul Thomas Anderson (The Master). Das neuste Werk des Ausnahmeregisseurs brachte ihm zumindest eine Golden-Globe-Nominierung ein, doch ansonsten blieb er während der gesamten Oscar-Saison so gut wie unsichtbar.
Miles Teller (Whiplash) – Okay, ich hole hier wirklich sehr weit aus, aber falls die Academy an Whiplash einen Narren gefressen hat, wäre eine Nominierung von Tellers großartiger Performance (sein Zusammenspiel mit Simmons ist perfekt) denkbar.
Außenseitertipp
Timothy Spall (Mr. Turner – Meister des Lichts) – In Cannes gewann Spall für seine Performance als J.M.W. Turner den Darstellerpreis und die Oscar-Saison begann für ihn mit der vielversprechenden Auszeichnung von den New Yorker Filmkritikern. Doch dann folgte nichts, mit der Ausnahme einer Nominierung seitens des Filmkritikerverbands von San Francisco. Keine Nominierungen, keine Auszeichnungen für die monumentale Performance, die für Spalls Karriere vermutlich das darstellt, was Birdman für Michael Keatons ist. Anerkennung hätte er auf jeden Fall verdient, doch sogar die BAFTAs, die ihn fünfmal in Vergangenheit schon nominiert haben (zweimal davon für Filme von Mike Leigh), haben ihn ignoriert. Das Einzige, was momentan noch für ihn spricht, ist einfach die Stärke der Performance selbst und die Hoffnung, dass sie vielleicht, vielleicht genug Wähler beeindrucken konnte.
Vorhersage:
Michael Keaton (Birdman)
Eddie Redmayne (Die Entdeckung der Unendlichkeit)
Benedict Cumberbatch (The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben)
Jake Gyllenhaal (Nightcrawler)
David Oyelowo (Martin Luther King – Der Marsch von Selma)
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Jetzt fehlen uns nur noch zwei wirkich große Kategorien, denen wir uns in der letzten Ausgabe unserer Oscars-Vorschau zuwenden werden – "Beste Regie" und die häufig überraschungsreiche Königsklasse "Bester Film". Bleibt dran.
Bisherige Ausgaben:
Teil 1 (Bestes Originaldrehbuch, Bestes adaptiertes Drehbuch)