Liebe Filmfutter-Fans,
willkommen zum dritten und letzten Teil unserer ausführlichen Vorschau auf die Nominierungen der 87. Oscarverleihung. Bei der Vorhersage der Kategorien "Beste Regie" und "Bester Film" werden zahlreiche Prädiktoren herangezogen. Die wichtigsten sind natürlich wieder die Nominierungen der jeweiligen Gewerkschaften – die der Regisseure (DGA) und die der Produzenten (PGA). Sie sind für beide Kategorien relevant und zeigen, in Kombination, welche Filme besonders stark im Rennen liegen.
Doch auch die Golden-Globe-, die BAFTA– und die BFCA-Nominierungen spielen in diesem Zusammenhang auch eine Rolle. Im Falle von "Bester Film" werden alle Indikatoren betrachtet, denn eine starke Präsenz bei den Industriepreisen in technischen Kategorien (z. B. Nominierungen von den Verbänden der Cutter und der Kameraleute) deuten auch auf eine positive Rezeption des Films hin.
Zur Auffrischung sind hier noch die Nominierungen der Directors Guild of America:
Morten Tyldum (The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben)
Clint Eastwood (American Sniper)
Alejandro González Iñárritu (Birdman)
Richard Linklater (Boyhood)
Wes Anderson (Grand Budapest Hotel)
Außerdem haben sollte man sich auch die Nominierungen der Producers Guild of America noch einmal anschauen:
Birdman
Boyhood
Grand Budapest Hotel
Gone Girl
The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben
Foxcatcher
Die Entdeckung der Unendlichkeit
Nightcrawler
American Sniper
Whiplash
Da in der Kategorie "Bester Film" alle Mitglieder der Academy im Nominierungsprozess abstimmen und Schauspieler einen großen Anteil der Academy ausmachen, haben sich seit jeher auch die Ensemble-Nominierungen der Screen Actors Guild als gute Prädiktoren erwiesen. Seit 1995 hat kein Film bei den Oscars den Hauptpreis gewonnen, ohne zuvor für sein Ensemble von der Schauspielergewerkschaft nominiert gewesen zu sein. Hier sind die diesjährigen Noms für das "Beste Ensemble":
Boyhood
Birdman
Grand Budapest Hotel
Die Entdeckung der Unendlichkeit
The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass alle jeder einzelne dieser Filme und dieser Regisseure auch von der Academy nominiert werden, da es eine 1:1-Übereinstimmung nur sehr selten gibt. Im Folgenden schauen wir uns an, wer die besten Chancen hat und welche Überraschungen noch möglich sind.
Beste Regie
Seit 2013 stellt die Regie-Kategorie für mich ein Mysterium dar. Damals wurden weder Kathryn Bigelow (Zero Dark Thirty) noch Ben Affleck (Argo) von der Academy nominiert, obwohl sie während der Oscar-Saison alle erdenklichen Auszeichnungen abgeräumt haben. Bis heute bleibt es vermutlich der größte Schock, den ich bei der Bekanntgabe der Oscarnominierungen erlebt habe und macht eins klar – niemand ist wirklich sicher, wenn es um die wählerischen Regie-Mitglieder der Academy geht. Denn bei der Wahl der Nominierten stimmen in allen Kategorien (bis auf "Bester Film") nur die Vertreter des Bereichs ab (also Cutter für "Besten Schnitt", Schauspieler für die Darstellerkategorien, Regisseure für "Beste Regie" u. s. w.). Erst bei der zweiten Runde, in er die Sieger gewählt werden, stimmen alle für alles ab. Der Geschmack der Regisseure innerhalb der Academy ist sehr unvorhersehbar und gelegentlich geradezu irrational, wenn man die Oscar-Saison im Vorfeld der Nominierungen anschaut (man denke noch an die Auslassung von Christopher Nolan für Inception). Wie gesagt nichts ist sicher und meine aktuellen zwei Top-Kandidaten sind genau genommen nicht sicherer als Bigelow und Affleck es waren, als sie dann doch nicht nominiert wurden, aber ich nehme einfach an, dass es eine sehr merkwürdige, sich jeder Erklärung entziehende Ausnahme war. Ansonsten kann man die Vorhersagen ja auch gleich lassen.
Sichere Kandidaten
Alejandro González Iñárritu (Birdman) – Wie im Falle von Michael Keaton, war mir eine Oscarnominierung für Iñárritu ab dem Moment klar, als der Trailer für den Film debütierte. Birdman ist ein Film, der von seiner Regie nicht weniger getragen wird als von seinen Schauspielern und ist in vielerlei Hinsicht eine technische Meisterleistung. Iñárritu hat dieses Jahr das Pech gegen Richard Linklater anzutreten, der 12 Jahre an seinem Film gedreht hat und damit die Gunst aller Preisverleihungen auf seiner Seite hat. Das bedeutet, dass er zwar überall, wo es nur geht, nominiert wurde, aber nur in seltenen Fällen auch gewonnen hat. Die einzigen halbwegs bekannten Kritikerpreise, die Iñárritu abstauben konnte, waren von den Filmkritikerverbänden von St. Louis und Las Vegas. Ansonsten musste er sich mit zahllosen Nominierungen begnügen, darunter auch Nennungen seitens der Regiegewerkschaft, der BAFTA, der Golden Globes und der BFCA. Eine Oscarnominierung ist ihm gewiss und im Gegensatz zu der Nominierung für Babel auch im höchsten Maße verdient.
Richard Linklater (Boyhood) – Richard Linklater hat 12 Jahre lang an seiner Coming-Of-Age-Geschichte gedreht. Eigentlich könnte ich hier schon aufhören, denn mehr muss man über seine Arbeit an Boyhood wissen, um sich sicher zu sein, dass er nicht nur von den Oscars nominiert werden wird, sondern als klarer Favorit in seiner Kategorie während der Oscarnacht sein wird. Linklaters Position im Oscar-Rennen ist noch stärker als die von Boyhood selbst, doch beide sind weit vorne im Rennen um die Trophäen und scheinen momentan unaufhaltsam zu sein. Die Filmkritiker von Boston, Chicago, Los Angeles, New York, Washington, San Francisco und Toronto zeichneten Linklater für seine Arbeit an Boyhood aus. Eine solche Einheit unter den Kritikerverbänden ist einzigartig und spricht Bände über die Chancen des Films. Bei den Golden Globes gewann Linklater neben Patricia Arquette und dem Film selbst. Die Nominierungen der DGA, der BAFTA und der BFCA hat er ebenfalls in der Tasche und sehr bald werden aus diesen Nominierungen vermutlich Siege. Wenn Linklaters Name als Oscar-Nominee in der Regie-Kategorie nicht vorgelesen werden wird, werde ich das Oscar-Tippen vermutlich gänzlich aufgeben, denn dann herrscht nur noch reine Willkür.
Wahrscheinliche Kandidaten
Wes Anderson (Grand Budapest Hotel) – Mit einer BAFTA-, einer DGA-, einer BFCA- und einer Golden-Globe-Nominierung im Rücken, sollte Wes Anderson eigentlich als ein ebenso sicherer Kandidat gelten wie Linklater und Iñárritu, doch ich bleibe vorsichtig. Im Gegensatz zu den beiden anderen, haben zu Beginn der Oscar-Saison die meisten nicht damit gerechnet, dass Anderson und sein Film so präsent sein würden. Es steht außer Zweifel, dass der Streifen selbst bei den Oscars nominiert werden wird und Anderson hat hervorragende Chancen auf eine Regie-Nominierung, doch wenn ich an die Auslassungen von Bigelow und Affleck vor zwei Jahren denke und mir überlege, wen eine solche schockierende Wendung diesmal treffen könnte, dann ist es Anderson. Die Regie-Kategorie ist hart umkämpft dieses Jahr und obwohl es eigentlich sehr unwahrscheinlich erscheint – insbesondere nach der DGA-Nominierung – könnte Anderson unter Umständen doch übergangen werden.
Weitere Anwärter
Ava DuVernay (Selma) – Mit einer Nominierung von Ava DuVernay könnte die Academy Geschichte schreiben. Es wäre die fünfte Frau, die jemals in der Kategorie nominiert werden würde und die erste Afroamerikanerin. Eigentlich kann sich die Academy allein schon aus politischen Gründen diese Gelegenheit nicht entgehen lassen und dazu kommt noch, dass ihr Bürgerrechtsdrama auch verdammt gut sein soll. Das Problem: es ist schwer den Film vorherzusagen, da er aufgrund mangelnder Screener im Vorfeld von den verschiedenen Gewerkschaften und Verbänden kaum beachtet wurde. Daraus ergibt sich eine Schwierigkeit bei der Einschätzung des Films und dessen Chancen, doch DuVernay hat Nominierungen von der BFCA und den Golden Globes erhalten und wenn wirklich genug Academy-Mitglieder den Film gesehen habe, glaube ich, dass er besser abschneiden wird, als seine schwache Darbietung während der Oscar-Saison einige glauben lässt.
Damien Chazelle (Whiplash) – Bis vor Kurzem war Damien Chazelle mit seinem Regiedebüt und Sundance-Gewinner Whiplash noch der absolute Außenseiter-Kandidat, den ich jedoch nie aus den Augen verloren habe. Spätestens seit der Oscarnominierung für Benh Zeitlin für Beasts of the Southern Wild (ebenfalls ein kleiner Film, ein Regie-Erstling und ein Sundance-Gewinner) nehme ich solche Underdog-Filme, die sehr leidenschaftliche Fans haben, sehr ernst. Dass Chazelle tatsächlich ein nicht zu unterschätzender Kandidat ist, bestätigte dann kürzlich seine völlig unerwartete Nominierung bei den BAFTAs. Auch Whiplash selbst wird immer stärker und könnte heute eine der großen Überraschungen bei den Oscarnominierungen sein, mit bis zu 6-7 Nennungen. Unter den Regisseuren, die von der DGA nicht nominiert wurden, sehe ich ihn als stärksten Kandidaten.
James Marsh (Die Entdeckung der Unendlichkeit) – Eigentlich habe ich die ganze Zeit gedacht, dass Die Entdeckung der Unendlichkeit einer dieser absoluten "Schauspieler-Filme" sei, die zwar bei den Oscars nominiert werden und stark im Rennen sind, deren Regisseure aber eigentlich keine Beachtung bekommen (siehe auch The Help, Little Miss Sunshine oder The Kids Are All Right). Diese Wahrnehmung änderte sich ein wenig, als James Marsch von der BAFTA als "Bester Regisseur" nominiert wurde und sich dabei gegen Morten Tyldum (The Imitation Game) und David Fincher (Gone Girl) durchsetzte. Nicht nur sicherte das den Status des Films als Oscarkandidat, sondern brachte auch Marsh ins Rennen um die Regienominierung. Da ist er zwar immer noch relativ weit hinten, doch ganz schockierend wäre eine Nennung nicht mehr.
Morten Tyldum (The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben) – Tyldum ist definitiv in der engeren Auswahl, insbesondere da er von der Regiegewerkschaft nominiert wurde. Auf der anderen Seite wurde er sowohl von den Golden Globes als auch von den BAFTAs nicht nominiert. Die letzten beiden Plätze in dieser Kategorie sind sehr hart umkämpft und Tyldums Regie ist nicht "auffällig" genug, um automatisch als sicherer Kandidat zu gelten. Andererseits hilft es, dass sein Film momentan vermutlich der viertstärkste im Oscar-Rennen ist, von Harvey Weinstein massiv vermarktet wird und dazu noch ein großer kommerzieller Erfolg ist.
Dan Gilroy (Nightcrawler) – Dan Gilroys Erstlingswerk Nightcrawler hat während der Oscar-Saison schon deutlich besser abgeschnitten, als ich es für möglich gehalten hätte und wenn die Academy den Film wirklich liebt, könnte eine Überraschungsnom für Gilroy folgen. Ich denke aber, dass die Aufmerksamkeit sich stattdessen eher auf sein Drehbuch und die schauspielerischen Leistungen konzentrieren wird.
David Fincher (Gone Girl) – Die traurige Wahrheit ist, dass die Academy David Fincher nicht besonders zu mögen scheint. Erst wurde er vor vier Jahren zugunsten von Tom Hooper für seine fabelhafte Regie bei The Social Network nicht ausgezeichnet (eine Schande!) und nur ein Jahr später nominierte die Academy seine Arbeit an Veblendung nicht, obwohl er zuvor eine DGA-Nominierung erhalten hat und allgemein sehr viel Lob für seine Regie bekommen hat. Unter normalen Voraussetzungen sollte Gone Girl ihn zum dritten Mal auf die Liste der Oscar-Nominees befördern (nach Der seltsame Fall von Benjamin Button und The Social Network), doch während manche Filme wie American Sniper oder Whiplash in den letzten Wochen an Fahrt gewonnen haben, glitt Gone Girl immer mehr ab. Zunächst wurde er schockierenderweise vom AFI nicht unter die 11 besten Filme von 2014 gewählt, dann verweigerten die Golden Globes ihm eine "Bester Film"-Nominierung und kürzlich auch die BAFTAs. Die DGA nominierte Fincher diesmal ebenfalls nicht. Für ihn sprechen aber seine Nominierungen bei den Golden Globes und den Preisen der BFCA als Regisseur, aber auch die Tatsache, dass Gone Girl einer der kommerziell erfolgreichsten und deshalb auch bekanntesten Oscarkandidaten im diesjährigen Rennen ist. Ich befürchte jedoch, dass die Academy-Wähler im Bereich der Regie sich nicht davon beeindrucken lassen. Es wird eine knappe Sache sein für Fincher.
Clint Eastwood (American Sniper) – Der alte Mann kann es noch! Als die National Board of Review Clint Eastwood als besten Regisseur von 2014 für seine Arbeit an American Sniper gekürt hat, haben das die meisten (mich eingeschlossen) als eine besondere Vorliebe des Verbands für die Filmlegende abgetan. Schließlich wurde er vor fünf Jahren dort auch für seine Arbeit an Invictus ausgezeichnet, eine Nominierung, die später auch nicht zur Beachtung bei den Oscars führte. Auch der zweite Platz bei den Filmkritikern von Boston wurde als nicht sehr relevant erachtet. Eine Weile lang vergass man den Film und Eastwood während des Oscar-Rennens, insbesondere da Nominierungen von der SAG, den Golden Globes und relevante Nennungen von der BFCA ausblieben. Doch langsam aber sicher nahm der Film an Fahrt auf. Zunächst wurde er vom American Film Institute als einer der 11 besten US-Filme von 2014 benannt, später nominierte die Produzentengewerkschaft ihn als einen der zehn besten Filme des vergangenen Jahres. Der Verband der Cutter nominierte den Film (die Schnitt-Kategorie darf man an Relevanz nie unterschätzen). Doch der größte unerwartete Erfolg kam, als Eastwood vorgestern von der Regiegewerkschaft nominiert wurde. Das garantiert einem zwar keine Nominierung bei den Oscars (in der Regel werden vier von fünf DGA-Nominees auch bei den Oscars jährlich nominiert), ist jedoch ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Wie ein Phönix aus der Asche erhob sich American Sniper in den letzten Wochen und könnte Eastwood seine fünfte Regie-Nominierung einbringen. Schließlich hat er sogar eine Oscarnominierung für Letters from Iwo Jima bekommen, ohne zuvor von der DGA nominiert worden zu sein. Man darf Eastwoods Status in Hollywood und seine zahlreichen Bewunderer innerhalb der Academy und des Filmindustrie nicht unterschätzen.
Bennett Miller (Foxcatcher) – Miller habe ich der Vollständigkeit halber hier aufgenommen, doch sowohl eine Nominierung für ihn als auch für Foxcatcher selbst sind alles andere als sehr wahrscheinlich. Der Film ist einerseits zu klein (verglichen zu seinen bisherigen Werken Capote und Die Kunst zu gewinnen – Moneyball), spaltet die Zuschauer und Miller hat dieses Jahr deutlich mehr Konkurrenz als er zu der Zeit von Capote (für den er nominiert wurde) hatte.
Außenseitertipp
Angelina Jolie (Unbroken) – Die Academy mag berühmte Schauspieler, die Regisseure geworden sind (es sei denn, sie heißen Ben Affleck) und Angelina Jolie genießt einen Status in Hollywood, wie kaum jemand sonst. Ihr Film liest sich auf Papier wie ein perfekter Oscarkandidat (Zweiter Weltkrieg, wahre Geschichte, eine Geschichte über die Stärke der menschlichen Willenskraft und den Überlebenswillen!), doch die Kritiken sind nicht sonderlich positiv ausgefallen. Andererseits ist der Film zu einem großen Erfolg an den US-Kinokassen geworden und hat bei den Zuschauern eine sehr positive Mundpropaganda. Wenn Unbroken bei den Wählern genug Emotionen wecken kann und könnte ich mir vorstellen, dass Angelina Jolies zweite Regiearbeit mit einer Nominierung als "Bester Film", aber vielleicht sogar für die "Beste Regie" belohnt werden wird. Die Starpower der Oscargewinnerin würde in diesem Fall allerdings die größte Rolle spielen. Bei kaum jemand anderem als Regisseur des Films, hätte ich eine Nominierung angesichts mittelmäßiger Kritiken überhaupt in Erwägung gezogen, doch wenn es jemand schafft, den Kritiken zu trotzen, dann die mächtigste Frau in Hollywood.
Vorhersage:
Alejandro González Iñárritu (Birdman)
Richard Linklater (Boyhood)
Wes Anderson (Grand Budapest Hotel)
Ava DuVernay (Selma)
Damien Chazelle (Whiplash)
Bester Film
Nun sind wir bei der Königsklasse angelangt. Die Crux hier an der Sache ist, dass wir natürlich nach den aktuellen Regelungen der Academy nicht wissen, wie viele Nominees es geben wird. Um es auf die Liste der Nominierten zu schaffen, muss ein Film mindestens 5% der Platz-1-Stimmen auf den Wahlzetteln der Academy-Mitglieder erreicht haben. Insgesamt dürfen es zwischen fünf und zehn Nominees sein. Allerdings hat sich die Zahl neun in den vergangenen drei Jahren (seit der Einführung der neuen Regelung) etabliert und ich sehe keinen Grund, wieso sich das dieses Jahr ändern sollte. Falls es sich doch ändert, dann eher in die Richtung, dass es weniger sein werden, doch hier kann man nicht anders als lediglich raten.
Sichere Kandidaten
Boyhood – Die Golden Globes und die Filmkritiker von New York, Los Angeles, Chicago und zahlreichen anderen US-Städten haben Boyhood bereits als besten Film von 2014 ausgezeichnet. Aus den noch laufenden Nominierungen der BFCA, der BAFTA und der PGA werden vermutlich der eine oder andere Sieg noch werden. Boyhood führt das Oscar-Rennen als ein glasklarer Favorit an, wie wir ihn seit Tödliches Kommando – The Hurt Locker nicht mehr erlebt haben. Die Moral von der Geschichte – 12 Jahre in einen Film zu investieren, zahlt sich aus! Boyhood wird nicht sehr viele Oscarnominierungen erhalten, da er in den technischen Katehorien (außer "Bester Schnitt") keinen sonderlichen Eindruck gemacht hat. Momentan gehe ich von sechs Nennungen aus. Diverse andere Filme werden sicherlich mehr Nominierungen bekommen, doch das wird am Ende egal sein. Auch Departed – Unter Feinden haben seinerzeit fünf Nominierungen ausgereicht, um trotzdem als Favorit in die Oscarnacht zu gehen und die wichtigsten Preise abzuräumen und Boyhood hat eine noch deutlich stärkere Ausgangslage als Scorseses Film vor acht Jahren.
Birdman – Boyhood wird den Oscar gewinnen, alle anderen Filme sind nur froh, dabei zu sein. Doch immerhin ist Birdman auf jeden Fall dabei. Viele Preise hat er als "Bester Film" nicht gewonnen (geht ja auch nicht, wenn Boyhood überall abräumt), doch Nominierungen seitens der PGA, der DGA, der BAFTA, der Golden Globes, der BFCA und vier Nennungen von der Schauspielergewerkschaft sind mehr als genug. Birdman ist ein Film, der sowohl schauspielerisch als auch technisch punktet und hat beste Chancen mit den meisten Nominierungen heute davonzukommen. Schon bei den Nomoinierungen der Golden Globes, der BFCA und der SAG führte Birdman vor allen anderen Mitstreitern. Bis zu zehn Nominierungen halte ich für möglich und es besteht auch eine Chance, dass er insgesamt mehr Oscars gewinnen wird als Boyhood, auch wenn ihm der Hauptpreis verwehrt bleiben wird.
Grand Budapest Hotel – Der einzige Film, der Birdman bei der Anzahl der Nominierungen Konkurrenz machen kann, ist Grand Budapest Hotel, da er in nahezu jeder technischen Kategorie eine Nennung erhalten sollte. Was ihm an schauspielerischen Nominierungen fehlen wird, könnte Wes Andersons Film mit Nominierungen für seine Kamera, seine Filmmusik, den Ton u. s. w. wettmachen. Dass Grand Budapest Hotel im Rennen nicht schwächer als Birdman ist, zeigte sich, als der Streifen bei den Golden Globes sich gegen Iñárritus Film in der Kategorie "Bester Film (Komödie/Musical)" durchsetzte. Auch bei den BAFTAs gewann Grand Budapest Hotel mit 11 Nominierungen die Oberhand. Während der gesamten Oscar-Saison war Grand Budapest Hotel sehr präsent (erhielt u. a. Nominierungen von der ACE, der ASC, der WGA, der PGA und der DGA) und hat gegenüber Birdman und Boyhood den kleinen Vorteil, ein größerer finanzieller Hit (und damit ein Mainstream-Erfolg) zu sein.
The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben – Obwohl The Imitation Game dem ersten Anschein nach nicht zu den Top-3-Filmen im Rennen gehört, sollte man einen von Harvey Weinstein gepushten, britischen Film nicht unterschätzen. Weinstein hat bereits 2010 und 2011 dafür gesorgt, dass The King’s Speech und The Artist die Oscars gewannen. Während The Imitation Game es höchstwahrscheinlich nicht schaffen wird, ist der Film ein Platz in der Endauswahl sehr sicher, spätestens nachdem dessen Regisseur Morten Tyldum von der Regiegewerkschaft für seine Arbeit nominiert wurde. Doch auch die Nominierungen von der BAFTA, den Golden Globes, der PGA, der WGA und die Nennung von AFI und NBR als einer der Top-Filme von 2014 zeugen davon, dass der Streifen mit beiden Beinen auf dem Feld der diesjährigen Top-Kandidaten steht und wäre vermutlich auch nominiert gewesen, wenn es immer noch nur fünf Nominees in der Kategorie gäbe.
Die Entdeckung der Unendlichkeit – Die Entdeckung der Unendlichkeit hat eigentlich die gleichen Vorteile wie The Imitation Game und hat deshalb auch die gleichen Chancen. Es ist ein sehr "sicherer" Kandidat, in dem Sinne, dass der Film auf Nummer sicher spielt und eben einen sehr klassischen "Oscar-Bait"-Steifen darstellt, der eine ergreifende wahre Geschichte erzählt, sehr klassisch inszeniert ist und von zwei starken Performances getragen wird, die ebenfalls für Oscars nominiert sein werden. Zehn BAFTA-Nominierungen bestätigten endgültig, dass der Film an einer Oscarnominierung nicht vorbeigehen wird.
Wahrscheinliche Kandidaten
Whiplash – Seit seinem Sieg in Sundance galt Whiplash als ein kleiner Film, auf den man während der Oscar-Saison achten sollte. Schnell avancierte sein Nebendarsteller J.K. Simmons zum Favoriten in seiner Kategorie, doch anfangs zeigte sich nicht viel sonstige Unterstützung für den Film im Oscar-Rennen. Weder die Golden Globes haben ihn nominiert, noch wurde er von der NBR als einer der besten Filme von 2014 benannt – nicht einmal in der Unterkategorie "Independent-Filme". Das Blatt wendete sich jedoch mit der Nennung durch das American Film Institute und den darauffolgenden Nominierungen der BFCA. Einen ganz großen Treffer landete Whiplash, als dessen Regisseur Damien Chazelle von den BAFTAs überraschend nominiert wurde. Whiplash wurde immer stärker im Rennen und erhielt such einige weitere Nominierungen von den Industrieverbänden (darunter für seinen Schnitt). Die Nominierungen von der PGA und der WGA brachten ihn in die zweite Reihe der Kandidaten. Eine Nominierung ist nicht hundertprozentig sicher, doch sie ist sehr wahrscheinlich.
Gone Girl – Vor zwei Monaten hätte ich Gone Girl noch unter die sicheren Kandidaten platziert. Schließlich spricht vieles für den Film: tolle Rezensionen, ein starkes Einspielergebnis (was ihn zu einem der wenigen kommerziellen Hits unter den diesjährigen Nominees machen würde), David Fincher als längst überfälliger Regisseur, was Oscars betrifft, und die Tatsache, dass sowohl die Hauptdarstellerin des Films als auch dessen Drehbuch ganz vorne bei den Kandidaten in ihren jeweiligen Kategorien sind. Doch die Position des Films im Oscar-Rennen wurde in den letzten Wochen immer schwächer. Es fing damit an, dass das American Film Institute ihn nicht unter die Top-11-Filme von 2014 aufgenommen hat und die Golden Globes ihn zwar viermal nominierten, eine "Bester Film"-Nennung aber verweigerten. Auch die BAFTAs haben den Film lediglich zweimal nominiert. Dem gegenüber steht die Tatsache, dass Gone Girl sowohl von der BFCA als auch von der Produzentengewerkschaft als "Bester Film" nominiert wurde. Seit Verblendung (der von der PGA und der DGA nominiert wurde, aber den Einzug unter die Nominees bei den Oscars verpasste) bin ich etwas vorsichtiger bei Fincher-Filmen geworden, doch man kann nicht abstreiten, dass Gone Girl weiterhin ein starker Kandidat im Rennen bleibt.
Selma – Ein Film über den berühmten Bürgerrechtler Martin Luther King ist allein vom Thema her schon ein sehr wahrscheinlicher Oscaranwärter. Doch der Film behandelt nicht nur ein geschichtlich wie aktuell relevantes Thema, er ist laut den US-Kritiken auch noch verdammt gut. Eigentlich eine sichere Nummer für die Oscars, oder? Das Problem ist jedoch, dass Paramount die Screener zu dem Film nicht an die Mitglieder der Gewerkschaften oder anderer Industrieverbände versandt hat, sodass Selma während der Oscar-Saison nur sporadisch auftauchte und weder von der SAG noch von der PGA oder der BAFTA nominiert wurde. Lediglich die Nominierungen der Golden Globes und der BFCA sprechen dafür, dass der Film nicht vergessen wurde. Da die Academy-Mitglieder die Screener aber erhalten haben, sehe ich es als sehr unwahrscheinlich, dass der Film auch bei den Oscars ignoriert werden wird, doch es ist nach der Abwesenheit bei wichtigen Prädiktoren einfach unmöglich, ihn als sicher einzustufen.
Weitere Anwärter
American Sniper – Vor einem Monat sah es überhaupt nicht danach aus, als würde Clint Eastwoods Film über den tödlichsten Scharfschützen der US-Geschichte mit den großen Jungs im Oscar-Rennen mitspielen können. Von den Golden Globes gab es keine einzige Nominierung und auch die Schauspielergewerkschaft SAG erwähnte den Film bei ihren Preisen kein einziges Mal. Die Kritiken sind zwar solide, aber nicht überragend genug, um automatisch als ein starker Kandidat zu gelten. Doch gerade in den letzten 2-3 Wochen nimmt der Film mächtig an Fahrt auf. Zunächst erhielt er eine Nominierung von der Produzentengewerkschaft PGA, die Autorengewerkschaft nominierte das Drehbuch des Films und nun wurde sogar Clint Eastwood von der DGA als einer der fünf besten Regisseure von 2014 nominiert. Zudem erhielt der Streifen auch eine Nominierung vom Cutter-Verband, sodass es auch Unterstützung in den technischen Kategorien geben wird. Insgesamt kam dieser Film zu spät ins Oscar-Rennen rein, um jetzt auf Anhieb als ein sehr wahrscheinlicher Kandidat zu gelten, doch ich wäre keineswegs überrascht, wenn der Film nominiert wird.
Nightcrawler – Vor zwei Monaten hätte ich Nightcrawler niemals unter den potenziellen "Bester Film"-Kandidaten vermutet, obwohl ich den Film sehr mochte. Zu distanziert, kühl und pulpy für die Academy. Doch zu meiner großen Überraschung hat der Film während de Oscar-Saison bislang über den Erwartungen abgeschnitten. Sowohl das AFI als auch die Produzentengewerkschaft platzierten den Film unter den besten von 2014 und Nominierungen von der WGA und beim Verband der Cutter waren definitiv auch ein große Erfolge für den Film. Nichtsdestotrotz fällt es mir immer noch schwer daran zu glauben, dass er bei den ganz großen Jungs mitspielen darf. Weder die Golden Globes noch die BAFTAs waren dem Film besonders zugeneigt, sodass er definitiv Schwachstellen hat.
Foxcatcher – Foxcatcher hatte im Vorfeld der Oscar-Saison eines an Hype gehabt, doch dieser flaute angesichts von stärkeren Kandidaten im Rennen deutlich ab. Zwar schaffte der Film es auf die Listen der PGA, der AFI und der Golden Globes, doch schwache Box-Office-Zahlen und ein gefühlter Mangel an Leidenschaft, den die Zuschauer dem Film entgegenbringen, werden verhindern, dass er eine Nominierung in der Königsklasse erhalten wird. Falls er es aber doch schafft, dann wird Regisseur Bennett Miller zum dritten Mal in Folge bei einem "Bester Film"-Nominee Regie geführt haben (nach Capote und Die Kunst zu gewinnen – Moneyball).
Unbroken – Schaut man sich nur die Rezensionen des Films an, so erscheint eine Oscarnominierung als "Bester Film" eher unwahrscheinlich, doch die Oscars gehen gelegentlich über reine Kritikerstimmen hinaus, sonst wären Filme wie Chocolat oder Extrem laut und unglaublich nah in Vergangenheit nicht nominiert gewesen. Obwohl Unbroken weder bei den Golden Globes noch von der BAFTA oder der PGA nominiert wurde, ist die Oscar-Saison an Angelina Jolies Weltkriegs-Film nicht komplett spurlos vorbeigegangen. Unbroken schaffte es auf die Listen des American Film Institute und der National Board of Review und wurde auch von der BFCA nominiert (zusammen mit Jolie für ihre Regie). Es ist aber vor allem die Thematik des Films, die mit ihrer emotionalen Herangehensweise viele Wähler überzeugen könnte. Außerdem hat die Academy eine Affinität gegenüber Filmen, die von Schauspielern inszeniert wurden und an Berühmtheit ist Jolie kaum zu übertreffen. Trotz all dieser positiven Faktoren muss Unbroken aber weiterhin gegen die Tatsache ankämpfen, einfach nicht besonders gut zu sein, doch immerhin sorgen sehr starke Box-Office-Zahlen dafür, dass vermutlich die meistem Academy-Mitglieder den Film gesehen haben werden.
Der große Trip – Wild – Zu Beginn des Oscar-Saison habe ich noch gedacht, dass Regisseur Jean-Marc Vallée mit Wild eine ähnliche Überraschung gelingen könnte, wie mit Dallas Buyers Club, wieder getragen von einer Haupt-Performance, doch dem war nicht so. Auf keiner wichtigen Nominierungsliste tauchte der Film auf. Eine winzige Chance hat er noch, da sowohl seine Hauptdarstellerin als auch das Drehbuch des Films solide Kandidaten sind und den Film vielleicht mitziehen. Ich glaube es aber nicht.
Außenseitertipp
A Most Violent Year – Eigentlich spricht nichts für eine Riesenüberraschung seits A Most Violent Year, abgesehen von einer kleinen Tatsache. Der Film wurde von der National Board of Review, einer der bedeutendsten Kritikervereinigungen der USA, als bester Film von 2014 ausgezeichnet. Doch was bedeutet das? Rein statistisch gesehen mehr, als man vielleicht meint. Seit 2001 wurde jeder einzelne Film, den NBR zum besten des Jahrs gekürt hat, bei den Oscars ebenfalls nominiert. Quills – Macht er Besessenheit war der letzte, dem dies nicht gelang. Natürlich kann es auch Ausnahmen geben, wobei sie eigentlich noch unwahrscheinlicher sein sollten, seit es mehr als fünf Kandidaten bei den Oscars geben darf. Als ein sehr klassisches Crime-Drama mit einem Achtziger-New-York-Setting und tollen Schauspielern sowie sehr positiven Rezensionen hätte A Most Violent Year eigentlich ein klarer Kandidat sein sollen im Oscar-Rennen und irgendwie kann ich es nicht ganz nachvollziehen, weshalb der Film nie gezündet hat. Eine spontane Überraschung bei den Oscars könnte die große Vorhersagekraft der NBR bestätigen.
Vorhersage:
Birdman
Boyhood
Grand Budapest Hotel
The Imitation Game – Ein streng geheines Leben
Gone Girl
Die Entdeckung der Unendlichkeit
Selma
American Sniper
Whiplash
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Das war’s mit unserer diesjährigen Oscars-Vorschau. Ich hoffe es hat Euch Spaß bereitet und in wenigen Stunden wissen wir, ob ich völlig daneben lag und welche Überraschungen die Academy-Mitglieder für uns dieses Mal in petto haben.
Bisherige Ausgaben:
Teil 1 (Bestes Originaldrehbuch, Bestes adaptiertes Drehbuch)
Teil 2 (Bester Hauptdarsteller/Nebendarsteller, Beste Hauptdarstellerin/Nebendarstellerin)