Das Filmgeschäft hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Die Entwicklung wäre vermutlich so oder so unaufhaltsam gewesen, doch die Covid-Krise hat sie erheblich beschleunigt. Früher war der Erfolg bzw. Misserfolg eines Films anhand der Einspielergebnisse im Kino und der Umsätze im Heimkino verhältnismäßig transparent. Das kann man vom Geschäftsmodell der Streaming-Dienste heutzutage nicht behaupten. Streamer wie Netflix, Apple TV+, Amazon oder Disney+ investieren jährlich Milliarden in neue Filme und Serien, doch woran bemisst sich der Erfolg eines einzelnen Projekts? Sicher, viele Streamer lassen sich immer mehr in die Karten blicken und veröffentlichen Zuschauerzahlen. Doch mit ihnen alleine ist natürlich kein Geld verdient, sondern höchstens mit neuen oder verlängerten Abos. Hat Netflix' Actioner The Grey Man genug neue Abonnenten angelockt, um sein $200-Millionen-Budget zu rechtfertigen? Das sind Fragen, die man als Außenstehender heutzutage nicht mehr beantworten kann.
Während manche Anbieter wie Netflix oder Disney+ dem reinen Streaming-Modell treu bleiben und nur einigen ausgewählten, prestigeträchtigen Filmen Alibi-Kinoauswertungen ermöglichen, sind Amazon und Apple TV+ durchaus bereit, ihre großen Produktionen mit einer entsprechenden Marketing-Kampagne in die Kinos zu bringen. Nur besonders große kommerzielle Erfolge konnten sie damit bislang nicht feiern. Primes Air – Der große Wurf und aktuell auch deren Weihnachts-Actionkomödie Red One mit Dwayne Johnson konnten ihre hohen Budgets im Kino nicht annähernd wieder einnehmen. Bei Apple sah es bislang nicht besser aus: Zwar erhielt der Streamer viel Lob dafür, Martin Scorseses Killers of the Flower Moon und Ridley Scotts Napoleon letztes Jahr breit im Kino gestartet zu haben, beide Filme floppten jedoch und konnten ihrer gigantischen Budgets nicht wieder einspielen.
Die größte Niederlage im Kino hat Apple jedoch diesen Sommer erlitten. Die romantische Komödie To the Moon mit Scarlett Johansson und Channing Tatum, die aus irgendeinem unerklärlichen Grund $100 Millionen kostete, spielte gerade einmal $42 Millionen ein. Dieser Misserfolg brachte das Fass bei Apple anscheinend zum Überlaufen. Der Streamer änderte seine Strategie und kündigte an, künftig nur noch ganz wenige, besonders vielversprechende Blockbuster noch in die Kinos zu bringen.
Das erste Opfer dieses Kurswechsels wurde die Krimikomödie Wolfs mit George Clooney und Brad Pitt. Es gab mal eine Zeit, in der eine Zusammenarbeit der beiden Stars der Ocean’s-Reihe ein Hitgarant gewesen wäre, doch die Kinokrise der letzten Jahre hat Stars als Zuschauermagnete deutlich abgewertet. Deshalb sah Apple in Wolfs Potenzial zu einer weiteren Blamage an den Kinokassen. Nur zwei Wochen vor dem geplanten weltweiten Kinostart von Wolfs im September, hat Apple angekündigt, dass der Film nur in den USA nur in einigen wenigen Kinos laufen würde und ansonsten exklusiv bei Apple TV+ zu sehen sein würde. Die Ankündigung hat nicht nur die Kinobetreiber, die den Trailer zum Film bereits seit Wochen spielten, kalt erwischt, sondern auch seine Stars, die für die Weltpremiere nach Venedig angereist sind. Clooney gab später zu, dass Pitt und er einen Teil ihrer Gagen aufgegeben haben, damit der Film überhaupt in irgendwelche Kinos kommt.
Zeitgleich mit der Absage des Kinostarts hat Apple aber direkt eine Fortsetzung angekündigt, die Clooney, Pitt und Regisseur und Drehbuchautor Jon Watts vereinen würde. Nach seiner Veröffentlichung wurde Wolfs in kürzester Zeit zum meistgestreamten Film aller Zeiten bei Apple TV+. Ein Sequel schient eine Selbstverständlichkeit zu sein. Doch es gab einen Haken: Watts wollte nicht mehr. Erstmals hat er beiläufig gegenüber dem Online-Portal Collider verraten, dass er nicht davon ausgeht, dass Wolfs 2 gedreht werden würde. Als diverse Branchenblätter diese überraschende Entwicklung bestätigen konnten, hat Watts selbst eine Pressemitteilung über das Industrie-Portal Deadline veröffentlicht, in der er bestätigt hat, dass nicht Apple Wolfs 2 abgesagt hat, sondern er selbst. Als Grund gab er an, dass Apple ihm mit der Absage des Kinostarts von Wolfs übel mitgespielt und obendrein die Fortsetzung gegen seinen Willen voreilig angekündigt hat: (aus dem Englischen)
Ich habe Apple meine finale Schnittfassung von Wolfs Anfang des Jahres gezeigt. Sie waren extrem begeistert und haben mich sofort damit beauftragt, eine Fortsetzung zu schreiben. Aber ihr Last-Minute-Strategiewechsel von einer versprochenen breiten Kinoauswertung zu einer reinen Streaming-Veröffentlichung war eine komplette Überraschung und erfolgte ohne Erklärung oder Diskussion. Ich habe es weniger als eine Woche vor der öffentlichen Bekanntmachung erfahren. Ich war komplett schockiert und hate sie darum gebeten, nicht zu schreiben, dass ich an einem Sequel arbeiten würde. Sie haben meine Bitte missachtet und haben es in ihrer Pressemitteilung trotzdem angekündigt, scheinbar um ihre Veröffentlichungsentscheidung positiver aussehen zu lassen. Also gab ich leise das Geld, das sie mir für das Sequel zahlten, zurück. Ich wollte nicht darüber reden, weil ich auf den Film stolz war und nicht unnötig negative Schlagzeilen generieren wollte. Ich habe sehr gerne mit Brad und George (und Amy und Austin und Poorna und Zlatko) zusammengearbeitet und würde es wieder tun. Aber die Wahrheit ist, dass Apple das Sequel zu Wolfs nicht abgesagt hat. Ich tat es, weil ich ihnen als kreative Partner nicht mehr vertraut habe.
Das erinnert an Doug Limans Konflikt mit Amazon Prime wegen seines Road-House-Remakes, dem laut Liman intern ein Kinostart versprochen wurde, sollten die Testvorführungen gut ausfallen. Das waren sie, doch Amazon veröffentlichte den Film dennoch nur im Stream. Wie Wolfs, wurde auch Road House zum erfolgreichsten Film seines Streamers und eine Fortsetzung ist offiziell in Arbeit – natürlich ohne Liman. Die beiden Beispiele erinnern noch einmal daran, dass die großzügigen Streamer ein zweischneidiges Schwert sind. Sie finanzieren Projekte, die traditionelle Studios ablehnen und gewähren den Machern auch größere Freiheiten, doch man kann sich nicht darauf verlassen, wie die Filme letztlich veröffentlicht werden.
Hat wer von Euch Wolfs gesehen und findet Ihr es schade, dass es keinen zweiten Teil geben wird?
Quelle: Deadline