Direkt im Anschluss an mein Interview mit der Regie-Legende Ron Howard, folgte ein Gespräch mit einer ganz anderen Legende – der des Motorsports. Auch wenn ich selbst nie ein großer Formel-1-Fan war, so repräsentierte für mich Niki Lauda dennoch immer einen der ganz Großen des Sports. Drei Weltmeistertitel gewann der gebürtige Wiener, zwei davon nach seinem schrecklichen Unfall am Nürburgring 1976, um den es auch in Rush – Alles für den Sieg geht. Im Interview war dann der Nationalheld Österreichs so, wie man ihn kennt – und das meine ich im positivsten Sinne – unverblümt, offen und mit einer bis heute deutlich spürbaren Begeisterung für den Rennsport.
Filmfutter: Wie verlief Ihre Zusammenarbeit mit Peter Morgan am Drehbuch?
Niki Lauda: In die Produktion war ich zweierlei involviert. Ich habe Peter Morgan mit Informationen für das Drehbuch versorgt. Zudem habe ich aber auch Daniel (Brühl) mit seinem österreichischen Akzent geholfen und habe ihm die Fragen beantwortet, die ihn für die Rolle interessierten. Beim Drehbuch hat Peter Morgan mich immer wieder daran erinnert, dass er letztendlich der Autor ist und es durchaus auch sein konnte, dass ihm manche Dinge nicht gefallen würden, die ich ihm erzähle. „Because it is Hollywood“, hat er immer gesagt. Ich dachte mir immer, wenn er für Oscars nominiert war, wird er schon wissen, was er tut. Mehr wusste ich nicht und, um es auf den Punkt zu bringen, war es mir damals auch egal. Der Prozess war so, dass er mich immer wieder getroffen hat und von seinem Laptop etwas vorgelesen hat. Beispielsweise las er in einer Szene: „Du startest deinen Ferrari, drehst den Schlüssel um und fährst los“. Da sagte ich nur: „Spinnst du? Der Ferrari ist doch kein Straßenauto, da gibt’s keinen Schlüssel, da drückt man einfach einen Knopf. Frag mich lieber öfter, sonst wird das nichts“ (lacht). Dann haben wir uns mehr über die Rennen und die gesamte Renngeschichte unterhalten. Zwei oder dreimal hat er mir dann auf seinem Laptop einige kurze Filmsequenzen gezeigt, aber ich konnte sie nicht wirklich zusammensetzen.
FF: Wie ist es eigentlich, wenn Sie diesen Film sehen? Ist es dann für Sie „nur ein Film“ oder trifft er sie auch emotional?
NL: Ich habe den Film jetzt schon dreimal gesehen. Als ich den Film das erste Mal in einer Privatvorführung in Wien gesehen habe, noch ohne die richtige Filmmusik, dachte ich mir zunächst, dass ich darin richtig negative rüberkomme. Ich konnte doch nicht so ein Arschloch gewesen sein! Das war mein erster Eindruck. Dann sah ich den Film aber noch einmal am Nürburgring, gemeinsam mit (dem Formel 1 Chef Bernie) Ecclestone. (Lewis) Hamilton und (Nico) Rosberg saßen neben mir. Und dann war ich über die unglaublichen Reaktionen der Leute überrascht, insbesondere da es meiner Ansicht nach das kritischste Publikum war, weil einige von ihnen noch die im Film dargestellte Zeit kannten. Insbesondere die Krankenhausaufnahmen, die auch mich etwas erschreckt haben, riefen bei den Menschen starke Reaktionen hervor. Nach der dritten Vorführung, in London, wusste ich, dass der Film gut ist und ich erkannte, dass ich anfangs durch den vorherigen dauernden Informationsaustausch mit Peter (Morgan) nicht den nötigen Abstand hatte, um Rush, wie alle anderen Zuschauern, neutral zu beurteilen. Der entscheidende Punkt war aber in Toronto (Anm. der Red: der Film lief beim Toronto International Film Festival). Ich bin direkt nach Monza dorthin geflogen. Da sah wie Daniel (Brühl) und Chris (Hemsworth) gemeinsam hinter dem Vorhang auf einem Monitor das Ende des Films gesehen haben und sich begeistert umarmt haben. Aber wie gut das amerikanische und kanadische Publikum auf den Film reagiert hat, das hat mich am positivsten überrascht. Es gab sogar Standing Ovations. In dem Moment konnte ich den Film auch wie der Rest des Publikums, wie ein normaler Zuschauer, beurteilen und er gefiel mir sehr gut. Es ist ein sehr gescheiter Film, mit Emotionen und einer tollen Darstellung der Formel 1, wie sie in den Siebzigern war.
FF: Wie zufrieden sind Sie mit Daniel Brühl?
NL: Absolut. Als er das erste Mal aufgetreten ist, dachte ich, ich sehe mich selbst. Es funktionierte sofort. Er hat Unglaubliches geleistet. Er kam vor eineinhalb Jahren nach Wien und zu allererst fragte ich ihn, wie schwierig für ihn die Vorbereitung auf die Rolle sei. „Wahnsinnig schwierig“ meinte er. „Sie sind transparent, Sie sind am Leben. Man hört Sie immer wieder im Fernsehen, man kennt Ihre Sprache.“ Er hat sich aber sehr gut vorbereitet. Ich habe ihn sogar nach Brasilien zum Grand Prix mitgenommen, weil er mir sympathisch war und weil wir uns auf Anhieb sehr gut verstanden haben. Wir haben also ziemlich viel Zeit miteinander verbracht.
FF: Was war ihre erste Reaktion als Daniel Brühl als Se besetzt wurde?
NL: Ich kannte ihn nicht. Ich bin in Filmen nicht sehr versiert und meine Frau Birgit hat mir erklärt, welche Rollen er gespielt hat und was für ein großer Star er bereits ist. Jetzt kenne ich ihn relativ gut und finde, dass er ein hervorragender Schauspieler ist.
FF: Wenn Sie auf die Zeit zurückblicken, in der der Film spielt, vermissen Sie etwas an der Epoche?
NL: Ich habe es natürlich genau so empfunden, wie alle auch die jetzige Zeit empfinden. Man lebt sie einfach. Es war aber natürlich eine besondere Zeit. Woodstock und die damalige Formel 1 sind die besten Beispiele. Die Maxime war zu riskieren und das Leben in kürzester Zeit zu genießen. Zurückholen kann man die Zeit nicht. Ich habe es gottseidank erlebt. Ich bin aber auch der heutigen Zeit gegenüber nicht negativ eingestellt. Damals war es schön, heute ist es anders, aber nicht weniger schön.
FF: Wie nah ist die Darstellung von Chris Hemsworth an den echten James Hunt?
NL: Sehr nah. Schon die erste Szene, in der er in das Krankenhaus mit freiem Oberkörper einmarschiert, hat mich sehr beeindruckt. Auch die Stimme klang genau wie die von James. Er musste sich durch sehr viel Archivmaterial durcharbeiten und hat dabei Großes geleistet.
FF: In einer Szene des Films greift James Hunt den Reporter an, der Ihnen im Film bei der Pressekonferenz beleidigende Fragen stellt. Natürlich hat man sich etwas künstlerische Freiheit erlaubt. Würden Sie trotzdem sagen, dass diese Handlung zum Charakter von James Hunt gepasst hätte?
NL: Das passt absolut. Die Szene der Konferenz ist übrigens richtig. Ich werde es mein Leben lang nicht vergessen, wie dieser Journalist bei der Pressekonferenz diese blöden Fragen gestellt hat. Ich weiß sogar noch, wer das war. Er hat sich zu einem wirklich guten und hoch angesehenen Kulturjournalisten in Österreich entwickelt. Aber damals war es so. Und Hunt war ein Typ, der nicht lange rumgefackelt hat.
FF: Gibt es also so etwas wie einen Ehrenkodex unter Rennfahrern?
NL: Nur unter denen, die sich respektieren. Heute ist es genau so. Wenn man neben jemandem mit 330 km/h fährt und es nur zwei Zentimeter Abstand zwischen den Wagen gibt, dann muss man sich auf den anderen verlassen können. Man verteidigt natürlich seine Position, aber macht in der Regel nichts, was mich oder ihn selbst gefährdet. Es gibt aber natürlich immer dumme junge Fahrer, die nicht wissen was sie tun. Bei ihnen muss man aufpassen, denn sie haben auch die nötige Erfahrung nicht, um Abstände gut einzuschätzen. James Hunt ist extrem professionell gefahren und insbesondere nach meinem Unfall hatte ich Probleme mit ihm mitzuhalten, weil er immer besser wurde und nahezu unbesiegbar war. Wir hatten aber auch Respekt vor der Fahrweise des anderen.
FF: Die Formel 1 ist ja heutzutage viel sicherer geworden. Todesfälle gibt es so gut wie gar nicht mehr. Hat sie dadurch vielleicht an Attraktivität verloren?
NL: Es gab sicher viele Leute, die damals vor allem wegen der möglichen Unfällen zugesehen haben. Das war eine Attraktion. In der heutigen Zeit, fast 20 Jahre nach dem Tod von (Roland) Ratzenberger und (Ayrton) Senna in Imola, hat sich die Sicherheit sehr positiv entwickelt. Deswegen gehen heute ja auch die Familien der Rennfahrer zu den Rennen, was früher sehr selten der Fall war. Das begrüße ich natürlich. Dadurch sind die Rennfahrer aber auch nicht mehr herausgefordert, so einen starken Charakter oder Persönlichkeit zu haben, um vor jeder Saison sich damit auseinander zu setzen, ob man das Risiko noch ein Jahr lang eingehen will. In der Zeit, zu der der Film spielt, starben pro Jahr 1-2 Fahrer, daher mussten wir uns immer damit beschäftigen. Diese Frage stellt sich heute aber niemand mehr. Natürlich ist auch heute die Formel 1 nicht komplett sicher. Irgendwann wird zwangsläufig ein großer Unfall passieren, denn da fahren ja schließlich Autos mit 330 km/h durch die Gegend. Es reicht nur ein Fehler. Ich habe in meiner Zeit selbst gesehen, wie François Cevert bei einem Unfall von einer Leitschiene aufgespießt wurde. Das ist ein Anblick, den man nicht schnell vergisst. Die Frage war, wie man damit umgeht. Psychologische Betreuung gab es ja damals nicht Mein Ansatz war immer, herauszufinden, wie das passiert ist. Ich war nach jedem Unfall bei den Aufräumarbeiten, um den Unfallhergang zu analysieren. Cevert machte einen Fahrfehler und deshalb habe ich zu mir selbst gesagt: „Ich mache sicher keinen Fahrfehler!“. So konnte ich dann weiterfahren.. Die Unfälle waren für mich immer eine Lehre, was man nicht machen darf.
FF: Das Problem ist natürlich, dass man zwar eigene Fehler vermeiden kann, aber nicht die Fehler anderer.
NL: Klar. Es bleibt in jedem Fall ein Risiko da.
FF: Was fasziniert Sie an dem Rennsport, trotz aller Gefahren?
NL: Wie in jedem anderen Sport, geht es um die Höchstleistung, die man bringen will. Im Grunde geht es immer darum, wer am Ende der Beste ist. Das ist auch bei Stabhochsprung oder beim 100-Meter-Lauf so. Alle sind durch ihre Talente getrieben, sich etwas vorzunehmen, die Fähigkeiten auszubauen und im Endeffekt sich mit den besten zu messen. Wenn man erst einmal drin ist, gibt es immer das nächste Ziel und das nächste. Man verpflichtet sich zu etwas und will immer besser werden. Wenn man einmal Weltmeister geworden ist, will man es wieder werden. Siehe Sebastian Vettel. Er ist dreimal Weltmeister geworden und er muss jedes Jahr immer besser werden. Es ist nicht so, dass er einmal Weltmeister geworden ist und danach einfach genau so wie vorher gefahren ist. Dass treibt einen an.
FF: In dem Film sagt Daniel Brühl in Ihrer Rolle, dass das Rennfahren für ihn einfach nur eine Arbeit zum Geldverdienen ist. War es für Sie ein Teil der Motivation?
NL: Geldverdienen ist anfangs völlig egal. Wie in jedem Sport muss man zuerst Leistung bringen. Wenn die Triebfeder für eine Weltmeisterschaft das Geld ist, dann kommt man niemals dorthin. Man kann es nicht für das Geld machen, sondern man muss es machen, weil das ganze System in einem es will. Das Geld kommt dann automatisch.
FF: Als Sie im Film zu Ferrari wechseln, ist es ein sehr ernüchternder Anblick. Clay Regazzoni wird als großer Star vorgestellt und dann am Rande Sie, Niki Lauda. War das wirklich so?
NL: Ja, klar. Es ist auch gar nicht so negativ zu sehen. Ich garantiere Ihnen, dass auch Vettel irgendwann bei Ferrari fahren will, obwohl er momentan mit Red Bull gewinnt. Denn Ferrari ist nach wie vor ein Auto mit einem Nimbus, einem Charisma. Jedes Kind kennt Ferrari. Und wenn man als Rennfahrer, als Anfänger, zu Ferrari wechseln darf, dann ist es etwas Besonderes. Regazzoni war zu dem Zeitpunkt schon ein etablierter Rennfahrer und ich war ein Grünschnabel aus Österreich.
FF: Wie haben Sie das Fahren eigentlich für sich entdeckt?
NL: Ganz früh eigentlich, als ich 10-11 Jahre alt war. Meine Eltern besaßen Industriefirmen und meine ersten Fahrversuche waren mit Traktoren. Ich wurde so schnell sehr autoaffin. Ich würde auch gerne heute einmal mit einem der modernen Traktoren fahren, um zu schauen, wie es ist.
FF: Vermissen Sie das schnelle Fahren heute?
NL: Natürlich. Es ist stinklangweilig, man kann überhaupt nichts mehr machen, weil an jeder Ecke ein Polizist oder ein Radar steht. Aber ich fahre, wie es sich gehört und habe meinen Führerschein nie verloren.
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Falls Ihr unser Interview mit dem Regisseur Ron Howard und dem Drehbuchautor Peter Morgan verpasst habt, könnt Ihr es hier nachlesen!