Only Lovers Left Alive, GB/D/CY/FR/USA 2013 • 123 Min • Regie: Jim Jarmusch • Mit: Tilda Swinton, Tom Hiddleston, Mia Wasikowska, Anton Yelchin, Jeffrey Wright, John Hurt • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 25.12.2013 • Deutsche Website
Welche Wunderwerke der Menschheit hätte man im Entstehungsprozess bestaunen können, wenn man nicht altern würde? Welche Bewunderung und Erstaunen sich entfalten würde, wenn man sogar Anteil an phantasievollen, wegweisenden und jahrhundertalten Kunstwerken hätte? Was für ein Überdruss und eine Übersättigung oder gar Enttäuschung mag jedoch am Ende dieses Gedankenexperiments auf das Wesen eines jeden Unsterblichen warten? Der Filmemacher Jim Jarmusch („Broken Flowers“) widmet sich mit „Only Lovers Left Alive“ der Vampirthematik und bringt die oben aufgeworfenen philosophisch-existentiellen Fragestellungen in Einklang mit poetischem sowie ruhigem Erzählkino.
Adam (Tom Hiddleston) und Eve (Tilda Swinton) sind unsterbliche Lebenskünstler, mit anderen Worten: sie sind jahrhundertealte Vampire. Obwohl das Liebespaar räumlich getrennt lebt – er in Detroit und sie in Tanger (Marokko) – macht sich in Eves Gemüt ein ungutes Gefühl bemerkbar, da sie spürt, dass der lebensmüde wirkende Adam seiner Unsterblichkeit ein jähes Ende setzen will. Per Nachtflug fliegt sie nach Detroit, weil sie wieder glücklich mit Adam zusammen sein möchte und um somit seine Lust auf unsterbliches Leben erneut zu wecken. Ihre Wege kreuzen sich im Verlauf des Films mit Adams Assistenten Ian (Anton Yelchin), völlig ahnungslos ob Adams wahrer Gestalt, dem korrupten Hämatologen Dr. Watson (Jeffrey Wright) und ihrem Vampirfreund, dem altersschwachen Dramatiker Christopher „Kit“ Marlowe (John Hurt). Eves quirlige Vampirschwester Ava (Mia Wasikowska) schneit auch irgendwann herein und schließlich verdanken ihr Adam und Eve auch das ein oder andere Problem.
Jim Jarmusch ist nicht gerade für explosives Blockbuster-Kino bekannt. Wirft man einen Blick auf seine Filmographie (z.B. „Coffee and Cigarettes“ oder „Dead Man“) wird man schnell Zustimmung für die Behauptung finden, Jarmusch sei ein gemächlicher Erzähler. Auch in „Only Lovers Left Alive“ nimmt sich Jarmusch viel Zeit, um seinen Charakteren viel Raum für exzellente Darbietungen zu geben, aber auch um seine Geschichte sanft vor sich hinplätschern zu lassen. Wem ein Hauch von nichts an Story zu wenig ist, der sollte um das neueste Exponat aus dem Hause Jarmusch einen großen Bogen machen, denn nicht durch großspurig angelegte dramaturgische Spannungsbögen erreicht der Film sein Prädikat „sehenswert“, sondern durch die tiefgründigen Hauptcharaktere und unzählige, verschmitzte, intertextuelle Literaturzitate und Filmreferenzen; diese sind engmaschig mit den klugen, belesenen und kultivierten Rollen von Adam und Eve verwoben – zwangsläufig auch mit der Figur des Christopher „Kit“ Marlowe (u.a. „The Jew of Malta“ oder „The Passionate Shepherd to his Love“).
Detroit bildet als ehemalige „Motor City“ die perfekte, heruntergekommene und verlebte Kulisse für Adams Behausung, eine Art „Messi-Villa“. Sowohl an Detroit, als auch an Adam hat der Zahn der Zeit genagt. Er lebt als erfinderischer, tüftelnder, aufmerksamkeitsscheuer Undergroundmusiker, der nächtliche Ausflüge zur Krankenhausblutbank vornimmt, sich nur hin und wieder von seinem fähigen Organisationstalent Ian das Notwendigste, rare E-Gitarren oder Holzmunition für seinen 38er Revolver besorgen lässt. Der Verfall Detroits spiegelt Adams Zerfall und melancholisch-nihilistische Weltsicht nur allzu gut wider. Dem ein wenig entgegengesetzt lebt die eher lebensbejahende Eve in der lebhafteren Stadt Tanger, die sich zwar auch ein Stück weit von der Welt abgekehrt hat, aber immer noch Sinnhaftigkeit der Existenz (besonders der Unsterblichkeit) verspürt – da sie ja noch einander haben. Gemeinsam finden die Vampire im jeweils anderem das nötige Gegengewicht, Yin und Yang oder die Korrelation verschränkter Teilchen (vgl. Quantenverschränkung, welche im Film auch ein Thema ist). Im Laufe der Zeit haben die beiden im Schatten der Gesellschaft lebenden Genies einige große Werke der „Zombies“ (so nennen sie Menschen) heimlich beeinflusst oder gar erst möglich gemacht. Es finden sich zynische Kommentare zu Literaturdiskurs beherrschenden Fragen, ob z. B. Shakespeare wirklich der Autor seiner Werke war. Natürlich sprechen sie mehrere Sprachen oder spielen Instrumente wie sonst kein anderer Virtuose, da sie Jahrhunderte Zeit hatten, alles mitzunehmen, zu erlernen und der auch mittlerweile als trivial abgestempelten Leben der Zombies überdrüssig zu werden. Ruhm ist schließlich vergänglich und echtes Talent sollte nicht der Berühmtheit und Vermarktung zum Opfer fallen. Daher erachten sie Städte wie L.A. mit all der Oberflächlichkeit als „Zombie-Zentrale“ und sind sich selbst als Paar genug. Besonders Adam hoffte auf die Phantasie und Schaffensgabe der Menschheit und wird doch nunmehr immer häufiger von Ignoranz eben dieser enttäuscht, da einige Errungenschaften oder Entdeckungen nicht konsequent weitererforscht werden.
Tilda Swinton (u.a. „Die Chroniken von Narnia“ oder „We Need to Talk About Kevin“) ist genau wie Tom Hiddleston (bekannt als Thors Stiefbruder Loki aus „The Avengers“) die adäquate Besetzung für die Vampirrollen. Die Chemie stimmt bis aufs Letzte, wenn sie sich unterschwellige, aber messerscharfe Seitenhiebe auf das Leben der Zombies um die Ohren schmieren. Der Style der beiden ist ein schöner Kontrast und doch funktioniert er als Einheit. Zusammen haben sie ein dandyhaftes Auftreten. Eve ist der anmutige, aparte und stilsichere Typ Frau. Für sich genommen ist Adam eher der Rock ‚n‘ Roller aus den 60er Jahren mit Zausel-Frisur. Besonders der Soundtrack liegt dem ebenfalls musizierenden Regisseur Jarmusch in seinen Filmen sehr am Herzen. So wird in „Only Lovers Left Alive“ überzeugend mit einer originären Mischung aus Motown Blues, Garage Punk, Soul und psychedelischen Klanggeweben durchzogen mit Atonalität, Dissonanzen und Gitarren-Feedback gearbeitet. Jim Jarmusch gelingt es folglich wieder einmal, mit tempoarmen Bildern, wie z. B. dem nächtlichen und wirklich voller Industrieromantik-sprühendem Detroit und dem labyrinthartigen Tanger, fantastischen Dialogen, einem Hauch Philosophie, einer LKW-Ladung an Referenzen und einem Augenzwinkern ein Independent-Fundstück zu kreieren. Tilda Swinton ist sowieso ein schauspielerischer Evergreen und „Loki“-Star Tom Hiddleston überzeugt nun auch endlich wahrnehmbar und außerhalb von Marvel-Produktionen. Andere Stimmen werfen Jarmusch allerdings eine reine ästhetische Fingerübung in der Inszenierung von „Nichts“ vor. Der Film ist sicherlich nicht für jeden Geschmack und fordert Geduld beim Umgang mit handlungsarmen Bildern.