Bester Film
Wir sind bei der Königsklasse angelangt. Wie auch in den letzten vier Jahren, ist der Haken bei der Kategorie, dass wir nicht einmal genau sagen können, wie viele Filme nominiert werden. Nach den aktuellen Academy-Regelungen dürfen es zwischen fünf und zehn werden, wobei allein statistisch gesehen (wenn man die Methode der Stimmenzählung der Academy beachtet) zehn Nominees sehr unwahrscheinlich sind. Letztes Jahr wurden acht Filme in der Kategorie nominiert, in den drei Jahren davor jeweils neun. Ich gehe stark davon aus, dass die Anzahl auch dieses Jahr acht oder neun betragen wird. Die entscheidende Rolle bei meiner Analyse und den Vorhersagen in der Kategorie spielen neben den üblichen Prädiktoren wie SAG, PGA, DGA, den Golden Globes und den BAFTAs auch die kumulierte Gesamtheit der Industriepreise und -nominierungen der Filme eine Rolle (da nur in dieser Kategorie alle der fast 6000 Academy-Mitglieder über die Nominierungen abstimmen) sowie eine Portion Bauchgefühl.
Sichere Kandidaten
The Big Short – The Big Short ist kein Film, den viele schon vor Monaten als großen Oscarkandidaten auf dem Schirm hatten, doch er arbeitete sich zielgerichtet hoch während des Oscar-Rennens und ist neben The Revenant und Spotlight einer der größten und wahrscheinlichsten Anwärter auf den Sieg. Das erste Anzeichen dafür war die begehrte Ensemble-Nominierung der Schauspielergewerkschaft, gefolgt von einer Nennung des American Film Institute (stets ein guter Prädiktor in der Kategorie) und vier Golden-Globe-Nominierungen. Später kamen noch BFCA-, BAFTA-, WGA-, PGA– und DGA-Nominierungen dazu und machten aus The Big Short nicht nur einen Oscaranwärter, sondern einen der großen Favoriten.
Der Marsianer – Gravity hat es geschafft, Interstellar nicht, doch für das Weltraumabenteuer Der Marsianer stehen die Oscarchancen wieder ganz gut. Der Film wurde nicht nur zum erfolgreichsten Film in den Karrieren von Ridley Scott und Matt Damon, sondern entwickelte sich zu einem der größten Crowd Pleaser aus dem letzten Jahr, erntete großartige Rezensionen und wird Ridley Scott bald seine vierte Oscarnominierung einbringen. Die Academy nominiert solche Blockbuster gerne, insbesondere, seit die Anzahl der Nominees mehr als fünf beträgt und Der Marsianer ist spätestens nach seinen Golden-Globe– und PGA-Nominierungen ein sicherer Kandidat. Bei den Globes gewann er auch als "Bester Film (Komödie/Musical)" sogar vor The Big Short und wird vor allem auch in den technischen Kategorien punkten. Die einzige wichtige Nominierung, die Der Marsianer verwehrt blieb, ist der BAFTA als "Bester Film", doch immerhin nominierte die britische Academy Ridley Scott als Regisseur.
The Revenant – Der Rückkehrer – Seit 1964 wurde jeder einzelne Film, der bei den Golden Globes die Auszeichnung als "Bester Film (Drama) gewonnen hat, von der Academy als "Bester Film" nominiert und das wird sich mit The Revenant auch nicht ändern. Mittlerweile gehört der Streifen sogar zu den stärksten drei Kandidaten im Rennen und könnte die meisten Oscarnominierungen von allen Filmen dieses Jahr erhalten. Dass der Favorit für den "Bester Hauptdarsteller"-Oscar in dem Film mitspielt ist ebenfalls ein Bonus, genau so wie die starken Einspielzahlen des Westerns in Nordamerika, wo er mehr als $100 Mio einnehmen wird. The Revenant wurde bislang von der BAFTA, der BFCA, der PGA und der DGA nominiert und die Oscars werden folgen. Seine größte Schwäche ist, dass er kein Kandidat in der Drehbuchkategorie ist und seltsamerweise auch nicht vom American Film Institute zu den besten US-Filmen von 2015 gezählt wurde, doch das ist angesichts seiner tollen Performance bei anderen Auszeichnungen nebensächlich.
Spotlight – Das Journalismusdrama Spotlight bleibt weiterhin der Favorit im Oscar-Rennen, allerdings liegt er nicht mehr so klar vor seiner Konkurrenz, wie ursprünglich vermutet. Bei den Kritikerpreisen räumte kein anderer Film so viele Auszeichnungen ab (u. a. gewann der Film in Boston, Los Angeles, Washington D.C., Phoenix, St. Louis, Las Vegas und bei vielen anderen Verbänden), doch das hat in Vergangenheit den Siegeschancen von The Social Network und Boyhood auch nicht geholfen. Seine Nominierung ist ihm allerdings sicher, denn Spotlight ist der einzige Film neben The Big Short, der eine PGA-, eine DGA-, eine WGA- und eine Ensemble-Nominierung der SAG erhalten hat. Die BAFTAs nominierten Regisseur Tom McCarthy zwar nicht, aber immerhin den Film selbst.
Wahrscheinliche Kandidaten
Mad Max: Fury Road – Eigentlich sollte Mad Max: Fury Road angesichts des tollen Abschneidens des Films währen der Oscar-Saison unter den sichere Kandidaten stehen, doch weil die BAFTA den Film nicht nominierte, kamen auch bei mir leichte Zweifel auf, ob die Academy wirklich so cool und hip ist, um ein Endzeit-Actionspektakel zu nominieren, unabhängig davon, wie atemberaubend es inszeniert ist. Die Golden Globes, die BFCA, die PGA und die DGA taten es, weshalb der Film weiterhin sehr gute Chancen hat, doch ich muss immer die schmerzhafte Auslassung von The Dark Knight bei den Oscars ins Gedächtnis rufen, der im Vorfeld ebenfalls alle wichtigen Nominierungen erhielt, nur um von der Academy zugunsten von Der Vorleser übergangen zu werden. Zum Glück gibt es mittlerweile mehr Slots in der Kategorie als damals, sodass Mad Max weiterhin sehr gute Chancen hat, doch wie die BAFTAs zeigten, ist der Film kein todsicheres Ding.
Bridge of Spies – Der Unterhändler – Bridge of Spies hat den historischen Kontext (immer gut bei den Oscars), den Prestigefaktor, Steven Spielberg und das Box-Office auf seiner Seite, jedoch keine leidenschaftliche Unterstützung, weshalb ich noch zögere, ihn unter die sicheren Kandidaten zu stellen. Zwar wurde Bridge of Spies neben Carol zum meistnominierten Film bei den BAFTAs und erhielt auch eine PGA-Nominierung, die Golden Globes ignorierten den Film jedoch fast vollständig. Bridge of Spies könnte zum diesjährigen Gone Girl werden und bei den Oscars unter dem Radar fliegen.
Weitere Anwärter
Carol – Bei Carol ist die Oscar-Saison von einem regelmäßigen Auf und Ab geprägt. Die Auszeichnungen der New Yorker Filmkritiker und fünf Golden-Globe-Nominierungen schickten den Film stark ins Rennen, doch die verfehlte PGA-Nominierung minderte erheblich seine Chancen. Natürlich gibt es aber auch immer wieder Filme, die nicht auf der PGA-Liste auftauchen, aber trotzdem als "Bester Film" nominiert werden, so wie beispielsweise Selma letztes Jahr oder Philomena im Jahr davor. Carols Chancen wurden durch neun Nominierungen bei den BAFTAs deutlich verbessert und momentan sieht es zwar nicht mehr (wie einst) danach aus, als könnte Carol ein ernsthafter Kandidat auf große Auszeichnungen werden, doch ene Nominierung als "Bester Film" ist wieder wahrscheinlicher geworden.
Alles steht Kopf
Brooklyn
Raum
Straight Outta Compton
Trumbo
Beasts of No Nation
Star Wars: Das Erwachen der Macht – Zwar erschien eine Nominierung für den siebten Star-Wars-Film kurze Zeit als eine tatsächliche Option, als der Film mit unglaubliche Einspielergebnissen und glühenden Kritiken in den Kinos landete, doch dieser Hoffnung wurde auch schnell ein jähes Ende gesetzt, als die Produzentengewerkschaft PGA ihm eine Nominierung als "Bester Film" verweigerte. Gerade dort war eine Nominierung zu erwarten gewesen und enorm wichtig, denn schließlich wurden in Vergangenheit auch Blockbuster wie Skyfall und Star Trek von der PGA nominiert. Schnell zeigte sich, dass die Unterstützung des Blockbusters innerhalb der Industrie sich hauptsächlich auf die technischen Leistungen des Films beschränkt. Nichtsdestotrotz bleibt die Tatsache, dass jeder einzelne Film, der in den USA zur Nummer 1 aller Zeitne an den Kinokassen wurde, auch eine Nominierung als "Bester Film" bei den Oscars erhielt. Wird Star Wars dieses Trend brechen oder trotz aller Widrigkeiten eine Überraschungsnom erlangen?
Außenseitertipp
Son of Saul – Man sollte niemals einen Film über den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust im Oscar-Rennen unterschätzen (siehe Der Pianist und Der Vorleser) und Son of Saul soll ein sehr starkes Werk sein, das unter die Haut geht. Nicht umsonst ist der ungarische Film des Erstlingsfilmemachers László Nemes der konkurrenzlose Favorit für den Oscar als "Bester fremdsprachiger Film". Selten werden nicht-englischsprachige Werke von den Oscars in der Königsklasse nominiert, doch es kommt durchaus vor, wie beispielsweise bei Liebe vor drei Jahren oder Tiger and Dragon vor 15 Jahren. Der Unterschied ist, dass Son of Saul nicht von einem namhaften und respektierten Regisseur wie Ang Lee oder Michael Haneke inszeniert wurde und im Vergleich zu den beiden anderen Filmen geradezu winzig wirkt, doch andererseits bin ich mir auch sicher, dass der Film mit seiner Thematik der absolute Oscarfavorit wäre, wäre er in englischer Sprache gewesen. Letztlich wird es darauf ankommen, wie viele Academy-Mitglieder Son of Saul überhaupt gesehen haben, bevor sie ihre Stimmen einreichten. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass diejenigen, die ihn rechtzeitig sahen, ihn auch gewählt haben. Wenn ein Film also wirklich aus dem Nichts kommen und alle überraschen kann, dann wird es dieser sein.
Vorhersage:
Alles steht Kopf
The Big Short
Bridge of Spies – Der Unterhändler
Carol
Mad Max: Fury Road
Der Marsianer
The Revenant – Der Rückkehrer
Sicario
Spotlight
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Meine große Vorschau auf die 88. Academy Awards ist fertig und in wenigen Stunden erfahren wir, wie hoch meine Trefferquote dieses Jahr war.
Bisherige Ausgaben:
Teil 1 (Bestes Originaldrehbuch, Bestes adaptiertes Drehbuch)
Teil 2 (Bester Hauptdarsteller/Nebendarsteller, Beste Hauptdarstellerin/Nebendarstellerin)