Philomena, GB/FR/USA 2013 • 98 Min • Regie: Stephen Frears • Mit: Judi Dench, Steve Coogan, Sophie Kennedy Clark, Anna Maxwell Martin • FSK: n. n. b. • Kinostart: 27.02.2014 • Internationale Website
Ein ungleiches Paar begibt sich in „Philomena“ auf die Fährte eines zur Zwangsadaption freigegeben Kindes. Was hier vorerst ernst und eher gräulich bis düster anmutet, entpuppt sich als hervorragend besetzte Tragikomödie und nicht zuletzt als brillanter Charakterfilm. Judi Dench (u.a. bekannt als „M“ aus mehreren James-Bond-Filmen) und Komiker Steve Coogan („Our Idiot Brother“) geben ein zum Schießen komisches Pärchen wie Paul und Klärchen ab und setzen pointierte Lachhöhepunkte und emotionale Dämpfer geschmeidig um. Regisseur Stephen Frears („Die Queen“) ist mit dem Dreh auf englischem Boden erprobt und offenbart britischen Humor und die phänomenale Annäherung völlig anders denkender Menschen.
Reporter und Journalist Martin Sixsmith (Steve Coogan) geht schwanger mit sich, in welcher Form er endlich wieder einen wohlwollend-rezipierten schreiberischen Geniestreich für die Welt parat hat. Für weichgespülte menschelnde Geschichten oder sonstige Tränendrüsendrücker scheint er keinen Finger krumm machen zu wollen; vielmehr straft er solche Weltlichkeiten mit abgehobener Verachtung. Allzu wählerisch kann er leider nicht sein, denn er ist kürzlich durch einen Schnitzer den Job als PR-Berater von Tony Blair losgeworden. Auf einer Dinner-Party wird Sixsmith von Caterin Jane (Anna Maxwell Martin) auf die bewegende, menschelnde Geschichte ihrer Mutter, der Irin Philomena Lee (Judi Dench), aufmerksam gemacht. Sixsmith willigt ein, sich mit Philomena zu treffen und beißt – eine gute Story witternd – an. Die katholische, warmherzige und bodenständige Ex-Klosterbewohnerin berichtet von ihrem unehelichen Sohn Anthony, welcher ihr vor 50 Jahren von den Klosterschwestern zur Zwangsadaption entrissen wurde. Ab diesem Zeitpunkt beginnt eine investigative Reise in Philomenas Vergangenheit der zwei ungleichsamen Weggefährten auf den Spuren von Anthony.
Es handelt sich bei „Philomena“ um einen starken Charakterfilm. Das Jahr 2013 hat zwar einige großkalibrige Kracher in diesem Bereich zu bieten, so sei das Gespann Dench-Coogan im Speziellen mit gewichtigen Lobliedern zu besingen. Überraschenden Darbietungen lässt uns vor allem Komiker Coogan teilhaft werden. Sonst klassischerweise eher dem Slapstick-, Blödel-, Klamaukuniversum zuzuweisen, bringt er hier eine unerwartete Rolle auf den Plan und tritt ebenfalls als Co-Autor beim Drehbuch in Erscheinung. Grimassen-Star Jim Carrey schaffte dies mitreißend in „Vergiss Mein Nicht“, „Hangover“-Aushängeschild Zach Galifaniakis überzeugte ernst in „It’s Kind of a Funny Story“ und zuletzt bewies zum Beispiel Will Forte in „Nebraska“ sein Talent für seriösere Rollen. Bisher war letzterer bekannt als persiflierender MacGyver-Alter-Ego „MacGruber“ von „Saturday Night Live“. Es ist höchst erfreulich, wenn solche Überraschungspakete auch noch dermaßen gut funktionieren und die gewohnten Seh-Erwartungen niederwalzen. Coogan selbst legte die persönliche Messlatte sehr hoch, da er neben Weltstar Judi Dench nicht untergehen wollte. Glückwunsch! Dieses Vorhaben ist Steve Coogan zu 100% gelungen. Judi Denchs „Philomena“ ist vielschichtig und verlangt eine wohlige und stimmige Ausbalancierung zwischen quirlig, unverblümt, geradeaus und erschütterter, tieftrauiger und gleichzeitig warmherziger, vergebender Verletzlichkeit. Diese Schere oder gar der Widerspruch in sich von Stärke und Zerbrechlichkeit vermag eine Schauspielerin wie Dench zum Glück sehr natürlich und absolut glaubwürdig zusammenzuführen, um stets auch die schwermütigeren Töne des Films zu treffen.
Zusammen decken die beiden gegensätzlichen Personen nach und nach einen Skandal auf, denn das konservative Kloster verkaufte Kinder an gut betuchte Amerikaner, um den Klingelbeutel zu füllen. Dabei vernichteten die Schwestern mutwillig sämtliche Unterlagen, um ein Wiederfinden der in Sünde gezeugten Kinder und ihrer lasterhaften Mütter zu unterbinden. Für Sixsmith wird die Nachforschung mittlerweile zur persönlichen Chefsache und er ist hin- und hergerissen, ob er diese Story ausschlachten soll oder nicht. Für ihn steht jedenfalls fest, die Verantwortlichen mit ihren Verbrechen zu konfrontieren. Philomena bewahrt sich dahingehend ihre erstaunliche Warmherzigkeit, Bereitschaft zur Vergebung und Contenance, obgleich sie in ihren Grundfesten stürmisch erschüttert wird. Es prallen hier nicht nur die Weltanschauung, Klassenunterschiede und Lebensstile von der katholischen Philomena und dem kosmopolitischen Sixsmith aufeinander, sondern auch der Umgang mit einem zerrütteten Verhältnis zum Glauben. Sixsmith empfindet kein Bedürfnis nach Vergebung, denn beim Kampf zwischen engstirniger, verblendeter Prüderie und toleranter Weltoffenheit gewinnt für ihn glasklar eine moderne, zeitgemäße Gesinnung. Trotz der erzkatholischen Sozialisation Philomenas, gelingt es ihr, einen offenherzigeren und gelasseneren Lebenswandel als sonstige konservativ aufgewachsene Katholiken zu pflegen. Letztendlich wurde die Geschichte in Buchform von Martin Sixsmith mit dem Titel „The Lost Child of Philomena Lee“ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zugleich wurde Philomena Lee zum Symbol und Sprachrohr der beraubten, enteigneten Mütter und deren Kinder.
Der filigrane Balanceakt ist bei diesem Film vollends geglückt. Sehr schnell hätte solch ein Film in starre, beleidigende Plattitüden und impotente, polemische Religionskritik mit großen Lachern kippen können. Lacher bleiben ob der fiesen Thematik hier und da viel eher schon mal im Halse stecken. Die Drehbuch-Autoren Jeff Pope und Steve Coogan bewiesen Fingerspitzengefühl, wurden schließlich auch mit Recht bei den 70. Internationalen Filmfestspielen in Venedig ausgezeichnet. Dennoch kommen die „bösen Nonnen“ nicht gut weg bei dieser wahren und unfassbaren Geschichte. An manch blasphemischen Äußerungen, kritischen Passagen oder dem in diesem Fall gerechtfertigten blanken Fingerzeig auf „in Barmherzigkeit handelnde Katholiken“ Anstoß nehmenden Kinogänger, ist „Philomena“ dahingegen nicht zu empfehlen. Wäre diese Geschichte nicht wahr, könnten aufgrund einiger krasser Zufälle (wie das Leben so spielt) leichte Vorwürfe in Richtung „konstruiert“ und „gerafft“ laut werden.