Prince Avalanche, USA 2013 • 94 Min • Regie: David Gordon Green • Mit: Paul Rudd, Emile Hirsch, Lance LeGault, Joyce Payne • FSK: ab 6 Jahren • Kinostart: 26.09.2013 • Deutsche Website
Eine Flammenwand – es brennt im texanischen Hinterland und nichts als Ödland bleibt von der einst reichhaltigen Flora und Fauna zurück. Mit diesen Szenen beginnt David Gordon Greens Film „Prince Avalanche“, bevor er sich an die Fersen zweier ungleicher Männer vom Straßenbau heftet. David Gordon Green? Moment – das klingt so gar nicht nach David Gordon Green. Green fiel zuletzt als Regisseur für knallbunte und klamaukige Kifferkomödien auf. Man erinnere: „Ananas Express“ und „Your Highness“. Jetzt folgt ein ruhiges Remake des isländischen Films „Either Way“. Diese Spagatleistung von Marihuana-Lachern hin zum tragikomischen Kammerspiel gelingt dem Regisseur Green sehr gut, der mit seinen Schauspielern Paul Rudd und Emile Hirsch ein seltsam anmutendes, geniales Duo gefunden hat.
Alvin (Paul Rudd) und Lance (Emile Hirsch) sollen ein wenig Ordnung in das verwüstete Ödland bringen und im Zuge dessen, Fahrbahnmarkierungen sowie Leitpfosten an einer schier endlosen Landstraße setzen. Naturbursche Alvin weiß wie er in der Wildnis zurechtkommt, arbeitet akkurat und beinah schon pedantisch. Der jüngere Lance ist immer auf der Suche nach der nächsten Party, lebt scheinbar von Wochenende zu Wochenende und gibt sich ziemlich gelangweilt, sein Dasein zusammen mit Alvin zu fristen. Letztendlich verdankt Lance seinen Job beim Straßenbau der Liebschaft zwischen Alvin und Lance‘ Schwester. Die beiden Charaktere sind sich nicht grün und haben vorerst kaum mehr als Trotzverhalten und Herablassung füreinander übrig. Bei ihrem Streifzug durch die bedrückende Zweisamkeit treffen Alvin und Lance zwischendurch auf einen kauzigen Trucker (grandios: Lance LeGault) und eine desillusioniert wirkende Dame (Joyce Payne). Letztere hat ihr Hab und Gut im Feuer verloren.
Der Mischung aus tragikomischen Szenen funktioniert reibungslos und unaufdringlich. Die Inszenierung wirkt nie abgehackt oder plump. Green versteht es genauestens, in den richtigen Momenten ganz nah mit extremen Close-ups bei seinen Charakteren zu sein als da beispielsweise Lance einen an Alvin adressierten Brief seiner Schwester liest (Großaufnahme Lance‘ Augen) oder Alvin mit der monologisierenden, einsamen Lady durch ihr zerstörtes Haus streift (Prädikat: wundervolle Szene). Somit schafft es Green, ohne großes Buhei, kurzen Augenblicken und seinen Figuren eine emotionale Tiefe zu verleihen. Um diese kurzen Augenblicke zu erhaschen, sollte der Zuschauer seine Sinne und seinen Fokus unbeschwert auf die Flüchtigkeit dieser Momente fein stimmen. Im Kontrast dazu lässt Green oft genug die Bilder der niedergebrannten Natur ins Zentrum rücken, um schließlich wieder mit etwas Abstand den Blick langsam auf seine Charaktere zu lenken. Komische Elemente fügen sich anrührend zwischen die oben genannte Szenerie ein. Am deutlichsten wird es, wenn sich die beiden von ihrem Wochenende berichten. Alvin genießt sein Wochenende lieber gedankenverloren in der Wildnis, während Lance in die Stadt zur nächsten Party düst. An der Stelle sei nicht mehr verraten, aber die Geschichte von Lance‘ Partywochenende gehört zu den witzigsten Minuten des Films und haut in die Kerbe der Unterschiedlichkeit des Straßenbaupaares. Der hervorragende Soundtrack von der Band „Explosions in the Sky" und Greens Stammkomponist David Wingo (ein Freund von Green) gehört für mich zu den besten unter den jüngeren Independent Filmen. Hier ist alles handgemacht und hebt sich von vielen neueren Synthie-Soundtracks ab: Einsame Holzblasinstrumente, ein tänzelndes Klavier, dezentes Schlagzeug und gezupfte Akustikgitarren weben sich teilweise Fragment artig und doch gleichzeitig verspielt zu einem stimmigen und wohlig-lakonischen „Prince Avalanche“-Sounderlebnis zusammen.
Eigentlich lässt sich die Geschichte um „Prince Avalanche“ auch in einem Satz niederschreiben: Alvin und Lance versuchen, miteinander klarzukommen. Wem das zu wenig ist, der sei gewarnt, denn viel mehr Story bietet der Film nicht. Wer einen klaren Anfang, eine klare Mitte und obendrein ein klares Ende erwartet, wird hier keinen Genuss empfinden. Es handelt sich bei „Prince Avalanche“ um eine Indie-Perle, die fast ausnahmslos durch dasalleinige Kammerspiel zwischen Paul Rudd („Immer Ärger mit 40“) und Emilie Hirsch („Into the Wild“) zur vollen Blüte erwacht.
Manche Filme leben von ihrer dichten Atmosphäre und allein durch ihre Darsteller, sodass ein Plot, eine Handlung, eine Story zur reinen Nebensache wird oder gar nicht erst existiert. An diesem Punkt scheiden sich die Geister. Manche Menschen haben ein Faible für Pointen und runde, abgeschlossene Geschichten. Ferner lassen derlei Bewertungskriterien Vorwürfe laut werden, dass Filme wie „Prince Avalanche“ ein Rahmen ohne Bild sei, ohne große Bedeutung (auf den ersten Blick). Vielleicht lassen einige Zuschauer solchen Filmen keine Begeisterung zu Teil werden, weil sie von ihrer Eitelkeit verletzt werden. Manche (Film-)Kunst soll sein; einfach nur sein. Wie das Leben selbst, einfach nur „sein“, da das Leben doch die schönsten und wahrhaftigsten Geschichten schreibt. „Prince Avalanche“ gelingt es, eben dieses Gefühl auf eine subtile, lakonische und tiefsinnige Art und Weise dem Zuschauer zugänglich zu machen. Green kreiert einen Film mit nachhallender Wirkung, ohne dem Zuschauer vorgefertigten Bedeutungsgehalt unter die Nase zu reiben. In Gedanken wirkt der Film noch länger nach, sofern man es zulässt. Wer das nicht so recht glauben will oder zwei-Mann Stücken eher skeptisch gegenüber steht, dem sei gesagt: So etwas gelingt nicht zum ersten Mal. Ein Film wie zum Beispiel „Blue Valentine“ schafft es auch durch die makellose Performance des Zweigespanns von Michelle Williams und Ryan Gosling, eine der realsten und dadurch deprimierendsten Talfahrten durch Höhe- und Tiefpunkte einer Beziehung zu erzeugen.
Mit viel Freude sieht man Paul Rudd nun einmal jenseits von Judd Apatows („Jungfrau (40) männlich sucht…“) Produktionen dabei zu, wie er in einer brillanten Hauptrolle seinen Alvin mit 80er-Jahre-Rotzbremse als nachdenklichen, nach Selbsterkenntnis suchenden, naturversessenen Einzelgänger anlegt. Seine Briefe an Lance‘ Schwester haben einen altertümlichen und längst vergessen gewähnten, romantischen Charme. In Abgeschiedenheit verfasst, bilden die Briefe doch vielmehr ein Manifest eines sich von menschlicher Wärme zurückziehenden Außenseiters. Ganz beiläufig wird obendrein seine gekünstelte Männlichkeit von dem hartgesottenen Trucker bei einem seiner bizarren Besuche entlarvt. Paul Rudd legt hier eine bemerkenswerte und überraschende Leistung ab und beweist damit, dass mit ihm auch fern von romantischen Komödien zu rechnen ist. Also: Bitte mehr davon. Emile Hirsch hat mit „Into the Wild“ als Charakterdarsteller-Zugpferd ein sehr starkes Stück abgeliefert und legt mit seiner Darstellung von Lance nochmal genauso ordentlich nach. Ein perfekter Kontrast zu Alvin eben, da sich Lance von der Landstraße zurück in die Spaßgesellschaft sehnt und mit Hilfe von Comics und anderen zeittotschlagenden Nonsens-Aktionen sein seichtes Gemüt von der Einsamkeit ablenkt. Doch er merkt auch, dass er keine 19 ist und fragt sich, wohin es schließlich mit ihm geht, wenn er als Endzwanziger nicht mehr mitfeiern kann. Bei all den Lobpreisungen sei nun auch Zeit für eine kleine kritische Anmerkung: Zwar passt die Figur der einsam umherschweifenden Dame einerseits hervorragend in die surreale Optik/Atmosphäre der Einöde und sorgt für einen der tieferen und lakonisch-bedrückenden Momente des Films, so fällt andererseits die Interpretation ihrer Figur schwer, da sich Green scheinbar einer hierzulande völlig unbekannten isländischen Sage bedient. Sehen und am besten selbst beurteilen.
Es ist wahrlich ein Glücksfall mit Greens Entscheidung, sich von den mit gemischten Gefühlen rezipierten Klamauk-Mainstream Komödien – betreffend psychoaktiven Cannabinoiden und damit einhergehenden hanebüchenen Folgen – abzukehren, um wieder zu seinen Indie-Wurzeln („George Washington“ 2000 und „All the Real Girls“ 2003) zurückzukehren. Der Regisseur wurde für diese Kehrtwende sogar mit dem Silbernen Bären für die beste Regie auf der Berlinale 2013 belohnt. Wer nun einen David Gordon Green weit weg von Mainstream und THC genießen möchte, dem sei „Prince Avalanche“ wärmstens empfohlen. Allerdings bleibt fraglich, ob der Film ein breites Publikum erreicht, da er mit Sicherheit nur in Programmkinos laufen wird und dadurch leider nicht viele Zuschauer der hervorragenden Symbiose von Paul Rudd und Emile Hirsch teilhaft werden können. Wer die Landstraße ein Stück mit Alvin und Lance entlangschlendern will, wird herzlich beschenkt, denn auf verbrannter Erde wachsen doch die schönsten Blumen.