RUM DIARY, USA 2011 • 120 Min • Regie, Drehbuch: Bruce Robinson • Mit: Johnny Depp, Amber Heard, Aaron Eckhart, Giovanni Ribisi, Richard Jenkins, Bill Smitrovich, Michael Rispoli • Website: Wild Bunch Germany
Handlung
Nachdem es ihm nicht gelungen ist, in New York Fuß zu fassen, schlägt der aufstrebende Journalist Paul Kemp (Johnny Depp) 1960 seine Zelte in Puerto Rico auf. Mit seiner forschen Schreibe soll er die vor sich hindümpelnde Gazette The San Juan Star auf Vordermann bringen. Bald schon aber lässt sich Kemp wie seine durchgeknallten Kollegen vom Rum- und sonnengetränkten Dolce Vita auf der Karibikinsel mitreißen und treibt ziellos von Sonnenuntergang zu Sonnenuntergang. Bis er der bildschönen Chenault (Amber Heard) verfällt, Freundin des halbseidenen Bauträgers Sanderson (Aaron Eckhart). Wie andere amerikanische Unternehmer ist Sanderson fest entschlossen, Puerto Rico in ein kapitalistisches Paradies zu verwandeln, in dem jeder Wunsch erfüllt wird, wenn man ihn sich denn leisten kann. Und Kemp soll ihm bei seinen Plänen helfen, indem er in der Zeitung eine Lobeshymne auf dessen neuesten Nepp veröffentlicht. Kemp muss sich entscheiden: Soll er seine schreiberischen Fähigkeiten in den Dienst Sandersons stellen – oder den Betrüger ans Messer liefern…
Kritik
Es ist nie ein gutes Zeichen, wenn man während einer Vorstellung ständig auf die Uhr blickt und sich gelegentlich denkt: "Hm, wann kommt endlich die nächste heiße Szene mit Amber Heard, sonst schlaf ich ein hier…". Rum Diary ist die zweite Hunter S. Thompson-Filmadaption nach Fear and Loathing in Las Vegas. Die Erwartungshaltung nach dem Kultstreifen von 1998, in dem Johnny Depp einen Sportjournalisten verkörpert, der einen bizarren Drogentrip in den Straßen von Las Vegas verlebt, war immens. Rum Diary hat zumindest eines mit seinem Vorgänger gemein: die Story ist nicht der Nabelpunkt des Films, vielmehr stehen die optischen Schauwerte im Vordergrund. Allerdings: während Fear and Loathing eher die dem Drogenkonsum geschuldeten Halluzinationen und deren absurd-komische Auswirkungen auf seine Umwelt sehr amüsant zur Schau trägt und damit ein junges Publikum anspricht, setzt Rum Diary auf paradiesische Panoramen im karibischen Puerto Rico der 60er Jahre.
Rum Diary fühlt sich nicht an wie ein Spielfilm, sondern vielmehr wie ein Werbefilm von einem Touristik-Unternehmen – die Story wirkt wie ein lästiger Aufhänger. Regisseur und Drehbuchautor Bruce Robinson verarbeitet gleich eine ganze Palette an Genres in seinem Film, ohne auch nur eines davon konsequent zu einem Ende zu führen. Politdrama, Lovestory, Coming-of-Age-Film, Krimi, Gesellschaftssatire – Robinson wirft willkürlich irgendwelche Samen auf den Acker, in der Hoffnung dass irgendwas wächst. Es wächst nichts, die Storyfäden werden irgendwann im Verlauf der Handlung wie ein Zopf einfach abgeschnitten und, falls überhaupt, erst am Ende des Films mit einer kurzen Texteinblendung wieder aufgenommen.
Beispiel gefällig? Kemp (Johnny Depp), Journalist bei der englischsprachigen Gazette 'The San Juan Star', wird von dem zwielichtigen Unternehmer Sanderson angeworben, der sich mit Immobilienverkäufen an gut betuchte Amerikaner ein goldenes Näschen auf Puerto Rico verdient hat – zum Leidwesen der lateinamerikanischen Bevölkerung, die durch kapitalistische Invasoren wie Sanderson in einen tiefen Sumpf aus Hunger und Elend abtreibt. Nun plant Sanderson den nächsten großen Coup – und ausgerechnet Kemp soll mit manipulativer Berichterstattung den Rubel ins Rollen bringen. Bei all der Gier und Habsucht gerät Kemp in einen moralischen Konflikt, doch ehe er sich für eine Seite entscheiden kann, endet der Plot ganz abrupt durch Kemps tückisches Tête-à-Tête mit Sandersons Verlobter Chenault und damit dem sofortigen Abbruch seiner Beziehungen mit der korrputen weißen Elite Puerto Ricos. Der Film geht weiter, über Motive und Hintergründe von Sanderson und seinen Helfern erfährt man aber weiter nichts. So ähnlich verhält es sich mit allen Storysträngen in Rum Diary, nichts wird mit letzter Konsequenz zu Ende erzählt. Nur der Sidegag mit Kemps Schwäche für puerto-ricanischen Rum zieht sich wie zäher Kaugummi durch den Film, immerhin. Es soll wohl besonders witzig sein, wenn sich Johnny Depp bei jeder Gelegenheit, die sich ihm bietet, einen hinter die Binde kippt. Man möchte meinen, in dem Film geht es um nichts anderes. Und vielleicht noch darum, möglichst bizarr zu sein. Dabei hätte man so einen schönen Film über die Zweiklassengesellschaft im Puerto Rico der 60er Jahre, dem menschlichen und wirtschaftlichen Elend und der Entblößung des American Dreams gestalten können. Doch all die brisanten Themen werden allenfalls angeschnitten und saufen anschließend in einem riesigen Meer aus Chaos und Verwirrung (und Rum) ab. Dabei lagen die Zutaten wirklich alle auf dem Tisch, doch statt die ganze Möhre wirft Robinson nur eine halbe in den Suppentopf, statt dem ganzen Blumenkohl nur den halben, und so entsteht ein ekliges Gebräu, das von allem etwas enthält, aber nichts richtig.
Johnny Depp erlebt als lustloser Tropf in Rum Diary nach Alice im Wunderland, Public Enemies, The Tourist, Pirates of the Caribbean 3 und mit Abstrichen Dark Shadows ein weiteres Desaster als Charakterdarsteller. Sein Spiel wirkt fast über die gesamte Länge müde und verkatert. Es bietet sich überhaupt kein Spielraum für eine emotionale Bindung zu der Figur, Kemp ist einfach nur langweilig wie ein Bingoabend. Auch der Dude-Verschnitt Moberg, gespielt von Giovanni Ribisi, ein Trunkenbold im lässigen Morgenmantel, der aus irgend einem unerfindlichen Grund auf der Gehaltsliste des San Juan Star steht, obwohl er nur am Zahltag in der Redaktion erscheint, weiß mit seinen Dauerrauschzuständen weder eine Bindung zu dem Zuschauer herzustellen noch in irgendeiner Weise das Gemüt zu amüsieren. Aaron Eckharts Talent wird in dessen trivialer Rolle als Langfinger Sanderson ebenso verschwendet wie das von Michael Rispoli als Trinkkumpane von Kemp.
Bei all den Mißtönen, was ist überhaupt noch positiv an Rum Diary? Wie schon erwähnt, die wunderschönen, tropisch anmutenden Panoramen im Inselparadies versetzen einen regelrecht in Urlaubslaune. Zu gefallen wissen auch eine gut geschnittene Autoverfolgungsjagd und, ja, vielleicht ein oder zwei erheiternde Szenen, die uns ermahnen, dass Rum und LSD keine gute Kombination sind. Und nicht zu vergessen: Amber Heard. Dieser steile Zahn ist so heiß, vor lauter Gesabber besteht akute Dehydrierungsgefahr, also Achtung, liebe Männer…und Frauen!
Fazit
Bruce Robinson wollte wohl ein ganz unkonventioneller, gesellschaftskritischer Film gelingen. Hinter vielen verwirrenden und inkohärenten Plots, die groteske Kunst suggerieren, versteckt sich aber nur ein totlangweiliges Schwarzes Loch, das talentierte Schauspieler und gute Ansätze aufsaugt und fein zerbröselt wieder ausspuckt. Immerhin ist Rum Diary unkonventionell. Unkonventionell langweilig. Schade, da war mehr drin.