Short Term 12, USA 2013 • 96 Min • Regie: Destin Cretton • Mit: Brie Larson, John Gallagher Jr., Rami Malek, Kaitlyn Dever, Keith Stanfield, Kevn Hernandez• FSK: n.n.b. • Deutscher Kinostart: n.n.b. • Internationale Webseite
Die täglichen Windmühlenkämpfe von Lehrern in ihrer Klasse, Streetworkern in Brennpunktsiedlungen, Pflegern in Landeskliniken, Sozialarbeitern in Gefängnissen oder Erziehern in Kinderheimen sind für viele Menschen nicht greifbar, da es zwar irgendwie vor der eigenen Haustür passiert, aber doch in einem sich geschlossenen System, in welches man kaum dreinzublicken vermag. „Ich könnte sowas ja nicht.“ ist beispielsweise eine ganz übliche Phrase aus dem Reaktionsmuster, wenn man aus solch einem Job berichtet. Um ehrlich zu sein, der Job kann Menschen auffressen und wieder auskotzen, aber wieder aufzustehen, um die lohnenswerte und wichtige Arbeit voranzutreiben und schließlich seine eigene Person für Kinder und Jugendliche zu geben, ist großartig. „Short Term 12“ beweist auf zum Teil schonungslose, ungeschönte und zum Teil auf sensible, liebevolle Art und Weise, warum kein Kind oder Jugendlicher zu irgendeinem Zeitpunkt aufgegeben werden sollte. Der Blick in dieses Schätzchen von dem aus dem sozialen Berufssektor erfahrenen Regisseur Destin Cretton und dem feinfühligen Schauspieler Ensemble um Brie Larson so wie John Gallagher Jr. ist eine sinnvolle, bereichernde Erfahrung.
Grace (Brie Larson) ist als Erzieherin in der Kurzzeit-Einrichtung „Short Term 12“ angestellt. Hier wohnen Kids und junge Erwachsene mit emotionalen und sozialen Problemlagen für einen bestimmten Zeitraum und werden multidisziplinär von Erzieherinnen, Medizinerinnen und Psychologinnen betreut. Arbeitskollege Mason (John Gallagher Jr.) und Grace führen eine Beziehung und gehen gemeinsam in ihrer Arbeit auf. Besonders in Grace scheinen die jungen Menschen Vertrauen zu finden. Auch als das junge Mädchen Jayden (Kaitlyn Dever), das an einer Aggressionsstörung leidet, eingeliefert wird, gelingt es Grace, sofort eine Verbindung mit ihr aufzubauen. Doch als Jayden ihr ihre Geschichte zögernd offenbart, wird Grace an ihre eigene Leidensgeschichte aus der Kindheit erinnert und sie lässt Mason kaum noch an sich heran. Dessen Sorge um sie wird darauf immer größer, doch seine Versuche Grace zum Reden zu bringen, machen diese nur wütend. Wird sie es schlussendlich schaffen, sich Mason gegenüber so zu öffnen, wie es die Kinder von „Short Term 12“ ihr gegenüber tun?
In der Einrichtung „Short Term 12“ knallt es, es ist spaßig, mal tot ernst, dann wieder betretenes Schweigen und schließlich doch wieder friedlich und freundlich. Die Stimmungen des Films sind so ambivalent wie eine bipolare Störung. Wenn ein Jugendlicher wieder einmal von drei Erzieherinnen fixiert wurde, weil er um sich tritt, Kuchen um sich wirft und aus den Schimpfwortcharts die aktuelle Top 10 brüllt, dann atmen die authentischen Schauspieler und der Zuschauer erstmal durch, bevor doch wieder via eines spitzbübischen Kommentars von Mason über Grace‘ mit Kuchen beschmiertes Gesicht die Sonne am Horizont durchscheint. Aus eigener Erfahrung lässt sich sagen, dass die Authentizität des Films der größte Pluspunkt ist. Das ist dem Drehbuchautor und Regisseur Destin Cretton geschuldet so wie den fantastischen Schauspielern; allen voran den HauptdarstellerInnen, die top fit beweisen, wie echte Emotionen einem guten Schauspieler gelingen. Es sind auch die Nebendarstellungen der jungen Schauspieler, die es schaffen, in kurzer Zeit den Problemlagen ein einprägsames Gesicht zu geben. Sie verschwinden keineswegs im Nebel statistischer Einlagen. Der junge Mitarbeiter-Neuzugang Nate (Rami Malek) durchläuft beispielsweise den Beginn einer tapsigen Wandlung vom unbedarften Schnösel, der echte Lebenserfahrung im Sozial-Biotop sammeln möchte, bis hin zur Steigerung seiner Street Credibility und seines sensiblen Einfühlungsvermögens.
Einzig ein wenig klischeebehaftet kommt der eigene Ballast der Protagonistin daher. Ein Fitzelchen zu schnell und zu zielsicher offenbart sie sich in den stillen Momenten mit dem Mädchen Jayden, welche ähnliche Probleme auf den Schultern trägt. Nichtsdestotrotz öffnet „Short Term 12“ die Tür zum sozialen Sediment und den damit verbundenen Entwicklungsproblematiken der Kids. Vielen, denen solch eine Sicht hinter die heilen Kulissen ihrer Umwelt bisher versperrt blieb, die können hier einen ersten verstohlenen Blick riskieren. Mit Sicherheit ist die amerikanische Flagge -einem weglaufenden Jungen als Umhang dienend- eine filmische Anspielung auf die Probleme im Herzen der Gesellschaft. Im Aristotelischen Sinne der Mimesis imitiert Kunst das echte Leben und dem Regisseur Destin Cretton ist dies mit seinem Milieu-Portrait super gelungen. Als Fazit zitiere ich mal frech einen Kollegen, James Berardinelli (Reelviews.net), denn viele Filme im Jahr 2013 „waren fast durchgängig enttäuschend, daher liegt die Aufgabe bei Indie-Produktionen wie Short Term 12, Kinogänger daran zu erinnern, dass die wahre Macht des Kinos nicht in Explosionen, sondern in Geschichten und Charakterbildung zu finden sind.“.
Fazit
Keine Highend-Explosionen oder State-of-the-Art-Geballer, sondern ein Goldgrube für eine ehrliche, authentische Milieustudie über die soziale Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und ihren Problemen.
Trailer