Musarañas, ES/FR 2014 • 95 Min • Regie: Juanfer Andrés, Esteban Roel • Drehbuch: Juanfer Andrés, Sofía Cuenca • Mit: Macarena Gómez, Nadia de Santiago, Hugo Silva, Luis Tosar, Carolina Bang • Kamera: Ángel Amorós • Musik: Joan Valent • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: OFDb Filmworks • Heimkinostart: 8.1.2016
Im Mittelpunkt des intensiven Horrordramas „Shrew’s Nest“ steht die Beziehung zweier Schwestern, die sich in Madrid nach dem Ende des spanischen Bürgerkrieges eine Wohnung teilen. Die Jüngere (Nadia de Santiago) ist schön und bei den Männern begehrt, während die ältere, psychisch labile Montse (Macarena Gómez) aufgrund von Agoraphobie ihr Domizil nicht verlassen kann und ohne ihren stringenten christlichen Glauben und die Liebe zu ihrer Schwester wohl schon längst an der drückenden Isolation zerbrochen wäre. Das Spielfilmdebüt von Juanfer Andrés und Esteban Roel birgt ein tragisches Geheimnis. In seinen besten Momenten ruft es gar Arbeiten der Spannungsgroßmeister Alfred Hitchcock und Roman Polanski ins Gedächtnis, besonders was den äußerst effektiven Umgang mit dem bewusst reduzierten Setting angeht.
Der Film beginnt mit der Stimme der namenlos belassenen jüngeren Schwester: In ihrer Kindheit habe ihr Montse stets vor dem Einschlafen Märchen vorgelesen, die das Mädchen schwer beunruhigt haben – wie die Kamera kurz darauf enthüllt, handelt es sich bei dem vermeintlichen Kinderbuch jedoch in Wahrheit um die Bibel. Die Mutter sei nach Angabe Montses nach ihrer Geburt verstorben, der Vater einfach abgehauen. Trotz strenger schwesterlicher Erziehung überträgt sich die freudenlose Enthaltsamkeit nicht auf das Mädchen. Jahre später ist sie volljährig und der erste Mann bandelt auf der Straße mit ihr an, was Montse zur Weißglut bringt: Die wollen eh alle nur dasselbe. Als irgendwann jedoch Carlos (Hugo Silva), der attraktive Nachbar von der Wohnung darüber, nach einem Sturz vor der Tür liegt und Montse ihn zur Pflege aufnimmt, soll sich das Leben beider Schwestern für immer verändern …
Obwohl es in „Shrew’s Nest“ vor allem um Gefangenschaft geht, sollte einen der Plot des Mannes, den Montse im Verlauf für sich beanspruchen möchte und ihn deshalb mit aller Gewalt ans Bett fesselt, nicht vorschnell an einen simplen „Misery“-Ableger denken lassen. Carlos ist eine Figur, die der Handlung einen weiteren Anstoß verpasst, aber letztlich bleibt er im Vergleich zu den anderen Protagonistinnen eher blass gezeichnet. Anders als in Rob Reiners erfolgreicher Stephen-King-Adaption steht nicht die weibliche Besessenheit von einem Mann (und dessen Romanfigur) im Vordergrund, sondern das Innenleben Montses und die Umstände, die sie zu der geformt haben, die sie ist. „Shrew’s Nest“ führt die Zuschauer langsam tiefer in die Vergangenheit der Minifamilie und lädt dazu ein, die zur Wahrheit führenden Fragen bereits selbst zu stellen. Um ehrlich zu sein, hat mich das Ende dann auch nicht wirklich eiskalt überrumpelt, aber da die Regisseure einen so wunderbar schlüssig und mit der richtigen Gefühlsbetonung an dieses heranführen, stört mich das Ausbleiben der großen Überraschung keineswegs.
Überhaupt gibt es trotz weniger Charaktere und limitierter Schauwerte viel in und unter dem psychologischen Kammerspiel, das Vergleiche mit den Klassikern „Was geschah wirklich mit Baby Jane?“ von Robert Aldrich und Polanskis Frühwerk „Ekel“ geradezu aufzwängt, zu entdecken. Auch wenn die spanisch-französische Produktion in der blutigen zweiten Hälfte einen Hauch Grand Guignol versprüht (das spanische enfant terrible Álex de la Iglesia und der „Inside“-Geldgeber Franck Ribière haben das Projekt mitgestemmt), fesseln einen hier nachdrücklich eher die schwermütige Atmosphäre und das herausragende Spiel der Darstellerinnen. Macarena Gómez, die mir in früheren Rollen nie besonders aufgefallen ist, verkörpert die zerrissene Montse gar so eindringlich, dass ich unweigerlich an die französische Oscarpreisträgerin Marion Cotillard denken musste. Diese Frau sollte man in Zukunft im Auge behalten.
Juanfer Andrés und Esteban Roel beenden „Shrew’s Nest“ mit einem Akt der Befreiung. Und auch ich fühlte mich nach der Sichtung einer solch runden und intelligenten Genreproduktion befreit. Der verstörende und trotzdem seltsam poetische Film wird einem noch länger im Gedächtnis haften bleiben.
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