Sicario, USA 2015 • 121 Min • Regie: Denis Villeneuve • Drehbuch: Taylor Sheridan • Mit: Emily Blunt, Benicio Del Toro, Josh Brolin, Jon Bernthal, Jeffrey Donovan • Kamera: Roger Deakins • Musik: Jóhann Jóhannsson • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: StudioCanal • Kinostart: 1.10.2015 • Deutsche Website
Willkommen in Juárez! Die mexikanische Grenzstadt, die zu den gefährlichsten Orten der Welt zählt, bildet den Hauptschauplatz von „Sicario“, der neuen Arbeit des „Prisoners“-Regisseurs Denis Villeneuve. Aus Gründen der Sicherheit für Leib und Leben mussten die Dreharbeiten zu dem höllisch spannenden Thriller allerdings auf andere Städte umgelegt werden. Wer denkt, man könne als Tourist mal eben locker durch die Hochburg der Drogenkartelle bummeln, liegt ganz klar daneben. So erinnert sich Basil Iwanyk, ein Produzent des Films, noch lebhaft an seinen Kurzbesuch für die Recherchen, der unter strengster Polizeiüberwachung stattgefunden hat: „Sie hatten vorne im Wagen Maschinenpistolen griffbereit und gaben uns ganz detaillierte Ratschläge. In meinem Fall zum Beispiel den, als Träger von Kontaktlinsen eine Brille mitzubringen, falls unser Wagen aufgehalten und ich entführt werden würde.“ Diese nervenzerrende Erfahrung spiegelt sich direkt in einer der intensivsten Szenen des Werkes wider, in der sich ein Konvoi durch die Stadt schlängelt, um einen Gefangenen in US-Territorium zu überführen. In seiner hautnahen Aufarbeitung strategischer Einsätze ruft Villeneuve diesmal vor allem die letzten Filme von Oscarpreisträgerin Kathryn Bigelow – „Tödliches Kommando – The Hurt Locker“ und „Zero Dark Thirty“ – in Erinnerung, nur dass der Krieg hier ein anderer ist und der moralische Konflikt des Geschehens direkt durch die Figur der FBI-Agentin Kate Macer (Emily Blunt) kommentiert wird. „Sicario“ ist im Vergleich zu den genannten Werken emotional weniger distanziert und fordert nicht so viel Selbstentscheidung von den Zuschauern. Aber das macht ihn nicht weniger packend.
Zu Beginn werden wir Zeugen eines grausamen Leichenfundes in einem Haus am Rande Arizonas. Der infolge einer Bombenexplosion verheerende Einsatz schockiert die idealistische Leiterin Macer bis ins Mark und so erklärt sie sich bereit, sich dem Sonderkommando des Geheimagenten Matt Graver (Josh Brolin) anzuschließen, um die wahren Täter aufzuspüren. Zu der Einheit gehört außerdem der mysteriöse Alejandro (Benicio Del Toro), der, wie wir bald erfahren, besonders für den dreckigen Teil des Auftrags zuständig ist. Eine Sache steht von vornherein fest: Juristen sollen nicht mit an Bord, denn das Unternehmen überschreitet Grenzen – sowohl geographischer als auch moralischer Natur. Um in die Welt der mexikanischen Kartelle vorzudringen müssen Regeln akzeptiert werden, die der sauberen US-Gesetzesgrundlage widersprechen. Je mehr sich das Team dem Kern der Mission nähert, desto mehr wachsen Macers Zweifel an den fragwürdigen Methoden und die Agentin manövriert sich in tödliche Gefahr …
Wer sich so tief in den Dreck begibt wie die Charaktere in „Sicario“ (der Titel bedeutet übrigens übersetzt Auftragskiller), wird auch mit den besten Absichten nicht in strahlendem Weiss, sondern bestenfalls in einem schmutzigen Grau das Feld verlassen. Während die übrigen Beteiligten schon gleich zu Anfang in einem gewissen Zwielicht erscheinen, bietet sich Macer als Identifikationsfigur für ein Publikum an, das sich ebenso unwissend diesem urbanen Terror nähert. Und von sich behaupten, selbst schon einmal auf diesem rauen Boden gestanden zu haben, kann wohl kaum ein hiesiger Kinogänger. Ob Steven Soderberghs thematisch verwandter „Traffic“ auf den puren Nervenkitzel von „Sicario“ vorbereiten kann, wage ich übrigens zu bezweifeln – auch wenn das erwähnte Werk komplexere Zusammenhänge entwirft als der eher gradlinige Actionthriller Villeneuves. Es ist die Art der Gestaltung – zum Beispiel die ruhigen, warmen Aufnahmen von Kameramann Roger Deakins („Skyfall“), die sich auf interessante Weise mit den unterschwelligen, bedrohlichen Klängen Jóhann Jóhannssons („Die Entdeckung der Unendlichkeit“) ergänzen -, die eine absolute Sogwirkung auf die Zuschauer hat.
Die Bedrohung bleibt hier manchmal ohne Gesicht, so auch während eines schweißtreibenden Feuergefechtes in einem unterirdischen Tunnel. Das macht Sinn, denn schließlich bleiben die großen Drahtzieher des organisierten Verbrechens in der Regel ebenso anonym. Die gefallenen Kämpfer sind dann meist arme Handlanger, deren Schicksal schon durch das Aufwachsen im gnadenlosen Umfeld determiniert erscheint. Ein solches Leben wird in „Sicario“ knapp angerissen, und so vorhersehbar der Ausgang von diesem auch ist, so verdeutlicht es doch, dass unter dem großen Ganzen immer auch ein einzelner Mensch steckt, der vielleicht eine Familie ernähren muss. Auch der undurchdringlichste Charakter des Films, der von Benicio Del Toro verkörperte Alejandro, wird schließlich zeigen, warum genau er tut was er tut.
Mit „Sicario“ hat Denis Villeneuve seine bis dato beste Arbeit abgeliefert. Selbst wenn er sich wie bei den Vorgängern erkennbar bei Vorbildern bedient (David Lynch bei „Enemy“, David Fincher bei „Prisoners“), kann man dem kanadischen Regisseur eine faszinierende individuelle Ästhetik und ein starkes Gespür für atemlose Spannung nicht absprechen. Bei „Sicario“ passt das alles perfekt zusammen und der straff erzählte Film dürfte viele Zuschauer in seinen kompromisslosen Bann ziehen. Wenn am Ende Schüsse und Explosionen ein unschuldiges Kinderfußballspiel unterbrechen, setzt diese Szene einen klareren Schlusspunkt als jedes lange Plädoyer.
Trailer
[…] Filmfutter 4,5/5 […]