Side Effects, USA 2013 • 105 Min • Regie: Steven Soderbergh • Drehbuch: Scott Z. Burns • Mit: Rooney Mara, Channing Tatum, Jude Law, Catherine Zeta-Jones, Vinessa Shaw • Kamera: Peter Andrews • Musik: Thomas Newman • FSK: ab 12 Jahren • Verleih: Senator Film • Kinostart: 25.04.2013 • Website
Ein Medikament, das keine Nebenwirkungen aufweist, steht unter dem dringendem Verdacht, überhaupt keine Wirkung zu besitzen – das behauptet zumindest so mancher Pharmakologe mit sarkastischem Unterton. „Side Effects“, der nach eigener Ankündigung letzte Kinofilm des Oscar-Preisträgers Steven Soderbergh („Traffic – Die Macht des Kartells“), führt dem Publikum auch die Gefahren einer exzessiven, medikamentösen Therapie vor Augen. Aber Vorsicht: Hinter dem komplexen und äußerst scharfsinnigen Werk steckt deutlich mehr, als der Titel zunächst vermuten lässt. Bereits bei der ersten Einstellung, einer schicken Fassade eines New Yorker Apartmentkomplexes, wird der Zuschauer getäuscht, denn wenn die Kamera die unscheinbare Oberfläche eines anonymen Fensters durchdrungen hat, tut sich im Inneren der Wohnung nicht etwa traute Idylle, sondern der Anblick eines grässlichen Blutbades auf. Ein Mord ist geschehen. Nur wer ist das Opfer und wer der Täter? Der Regisseur leitet uns zunächst drei Wochen in der Geschichte zurück.
Wir lernen die attraktive Endzwanzigerin Emily Taylor (Rooney Mara, „Verblendung“) kennen, die sehnsüchtig die Rückkehr ihres Ehemanns Martin (Channing Tatum, „Magic Mike“) aus dem Gefängis erwartet. Mit der jungen Frau stimmt etwas nicht – sie leidet offensichtlich unter psychischen Problemen, Depressionen. Direkt nach der Ankunft ihres Gatten setzt sie ihren Wagen in einer Garage mit Vollgas gegen eine Wand. Im Krankenhaus schwört sie daraufhin ihrem behandelnden Arzt Dr. Banks (Jude Law, „Hugo Cabret“), dass dieser scheinbare Suizidversuch nur aus einer Panik heraus entstanden ist und sie sich zu regelmäßigen Sitzungen bei ihm bereiterklärt. Hier beginnt der Schrecken: Emily bekommt von Banks sogenannte SSRIs (Präparate, die die präsynaptische Wiederaufnahme des Neurotransmitters Serotonin verhindern) verschrieben, die aber letztlich nicht den gewünschten Erfolg erzielen. Ein neues Medikament mit dem Namen Ablixa ist auf dem Markt, und glaubt man den Anzeigen, vollbringt dieses tatsächlich wahre Wunder. Die Patientin berichtet, dass sie sich nach der Umstellung auf dieses wieder besser fühle, doch Martin ist besorgt. Ihm fallen nun nachts beunruhigende Veränderungen bei seiner Frau auf …
So spannend, wie sich „Side Effects“ im weiteren Verlauf entwickelt, so verkehrt wäre es, noch näher auf dessen Inhalt einzugehen. Der Film dreht und windet sich, dehnt sich in anfangs ungeahnte Räume aus, aber vergisst am Ende dennoch nicht seinen Fixpunkt im Thrillergenre. Man mag hier den Geist eines De Palma, Pakula oder Polanski wahrnehmen – und keiner dieser Namen wäre wohl als Vorbild grundsätzlich falsch geschätzt, denn Soderberghs Arbeit erinnert mit seinem gesellschaftskritischen Überbau in der Tat stark an das Kino der sogenannten New Hollywood-Ära, zwischen dem Ende der vergangenen Sechziger und Siebziger Jahre. Zum Teil funktioniert „Side Effects“ auch als pure Satire auf den Medikationswahn, der vor allem in den USA ein Thema ist. In einer Szene beobachten wir, wie Dr. Banks seiner Frau (Vinessa Shaw) während der Mittagspause beiläufig einen Betablocker zuschiebt – um die Nervösität bei ihrem bevorstehenden Bewerbungsgespräch abzumildern. Immerhin nehme heutzutage jeder diese ein. Zur Information: Betablocker können bei mangelhafter Abklärung unter anderem schwere Nebenwirkungen wie Herzinsuffizienz oder Asthmaanfälle verursachen. Es ist der Ausdruck einer Gesellschaft, die sich mit Hilfe pharmazeutischer Produkte selbst verbessern möchte, ohne wirklich krank zu sein. Das ist ein gigantisches Geschäft für verschiedene Personengruppen: Firmenvertreter, Wissenschaftler, Ärzte.
„Side Effects“ begeht dabei jedoch nicht den Fehler, seinen anklagenden Finger allein auf die böse Chemie zu richten und somit den Dogmen der Naturheilkunde offen in die Hände zu spielen. Ja, die zunehmende Verantwortungslosigkeit gegenüber Patienten wird thematisiert, dennoch sollte man besser ohne voreilige Schlüsse abwarten, bis das endgültige Bild steht. Mancher Zuschauer mag überrascht sein, wohin einen Soderbergh und sein Autor Scott Z. Burns, die zuletzt bei dem ebenfalls das Gesundheitssystem unter die Lupe nehmenden Paranoiadrama „Contagion“ (2011) kollaboriert haben, mit ihrer Story letztlich führen und von welcher Perspektive wir diese dann betrachten. Da sind ethische Aspekte, juristische Aspekte, ökonomische Aspekte und ein fragiles Arzt-Patienten-Verhältnis, das von beiden Seiten missbraucht werden kann. Eine zweite, von Catherine Zeta-Jones („Rock of Ages“) gespielte Psychiaterin trifft sich mit Banks und gibt sich als frühere Ärztin von Emily Taylor zu erkennen. Sie versorgt ihn mit Informationen und gibt ihm Ratschläge für die weitere Behandlung. Je weiter wir dem sorgfältig konstruierten Verlauf folgen, desto klarer setzen sich die einzelnen Bestandteile zu einem Ganzen zusammen. „Side Effects“ jongliert nicht unnötig mit falschen Fährten, sondern wählt seinen jeweils nächsten Schritt mit Bedacht, so dass wir in angemessenem Tempo miterleben, wie der dunkle Schleier sich allmählich lüftet.
Im Gegensatz zu dem insgesamt deutlich überfrachteten „Contagion“ konzentriert sich das Erfolgsduo Soderbergh/Burns hier nun auf einen überschaubaren Figurenkreis. Zunächst sind da natürlich Emily, Martin, Banks und dessen noch etwas undurchsichtige Vorgängerin. Aber auch deren sozialen Kontakten, wie etwa Martins Mutter (Ann Dowd, „Compliance“) oder Banks' Praxispartnern und seiner Frau, kommt eine wichtige Rolle zu, wenn das Drama seinen Lauf nimmt und dann weite Kreise zieht. Die Schuldfrage steht im Mittelpunkt, und wie schwer diese in einem solch komplizierten Geflecht zu beantworten ist, demonstriert „Side Effects“ auf eindrucksvolle Weise. Da die Handlung so authentisch in der Realität verwurzelt und das Dilemma der Charaktere so nachvollziehbar gezeichnet ist, fühlt sich das Werk trotz einiger Genrekonventionen frisch und unverbraucht an. Dies ist ein Psychothriller mit hervorragenden Darstellerleistungen, inszenatorischem Gusto und inhaltlicher Brisanz, dessen Weg zur Auflösung bereits wie ein Ziel anmutet.
Sollte Steven Soderbergh an seiner Ansage tatsächlich festhalten und nach „Side Effects“ dem Kino den Rücken kehren, so tritt er zumindest auf der Höhe seines Schaffens ab.
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