Snowpiercer, SK/USA/FR/CZ 2013 • 126 Minuten • Regie: Bong Joon-ho • Mit: Chris Evans, Tilda Swinton, John Hurt, Song Kang-ho, Jamie Bell, Octavia Spencer, Ko Ah-sung, Ed Harris • FSK: ab 16 Jahren • Kinostart: 03.04.2014 • Deutsche Website
„Snowpiercer“ ist ein cooler Genrecocktail – sogar im wahrsten Sinne des Wortes. Denn mal ist er ein martialischer Actioner, mal spannender Thriller, mal Overacting-Satire und mal Drama in einer überfrorenen, eiskalten Welt. Schon länger positioniert sich das asiatische Kinovergnügen als zuverlässiger Lieferant für reife, knackfrische Früchte zum Anbeißen aus dem (Nischen-) Genrebereich. Der koreanische Regisseur Bong Joon-ho serviert neben seinem Genre-Hauptgericht als Beilage zwar bekannten, aber immer noch schmackhaften gesellschaftskritischen Kommentar.
Es ist das Jahr 2031 in der riesigen Eiswüste namens Planet Erde. Als Gegenreaktion auf den Klimawandel sprühten die Länder dieser Welt im einvernehmlichen Konsens eine Art Kühlmittel in die Atmosphäre – mit verheerenden Nebenwirkungen. Die letzten Überlebenden finden Zuflucht in einem High-Tech-Zug, der unaufhörlich in 365 Tagen einmal die Welt umfährt. Der Zug ist völlig autark und das Konzept der Subsistenzwirtschaft geht voll auf. Er hat eine Schule, Gewächshäuser und Wasseraufbereitungsanlagen. Allerdings leben die betuchten Teile der Gesellschaft vorne im Zug und genießen schlichtweg mehr Luxus als die mittellosen Schichten im dreckigen Ende des Zuges. Der charismatische Tongeber im hinteren Teil des Zuges, Curtis (Chris Evans), will diese menschenunwürdigen Zustände nicht mehr hinnehmen und plant, die Spitze des Snowpiercer mit Gewalt einzunehmen. Dabei kämpft sich seine Schar von Abteil zu Abteil und hangelt sich so langsam nach vorne.
In dem multinationalen Film gibt es viel Sozialkritik und eine frostige Dystopie für den Zuschauer zu sehen. Ganz offensichtlich, wie eine Selektion nach Schwarz und Weiß, gibt es die räumliche Trennung im Zug: vorne reich, kultiviert, privilegiert und vornehm; hinten arm, proletarisch, eingepfercht und beinah unterentwickelt. Man fühlt sich an die Zeit der Rassentrennung stark erinnert. Die soziale Ungleichheit ist leicht erkennbar. Der unreflektierte Proletarier stopft die glibberige Proteingötterspeise in sich rein, die ihm von der Obrigkeit serviert wird. Die armen Leute schmecken die Benachteiligung sogar. Lehnt man sich als Zyniker und Stammtischhobbyschimpfer weit aus dem Fenster, könnte man sich sogar an Skandale wie Pferdefleisch in Lasagne erinnern. Lassen wir das. Bildung gibt es auch nur in der Zugschule im vorderen Teil des rollenden Mikrokosmos. Ein Wink zum Thema Chancengerechtigkeit? Die Probleme, die „Snowpiercer“ aufspießt, sind prävalent und jedem eigentlich bekannt, so sehr, dass man sie förmlich mit allen Sinnen wahrnehmen kann. Warum Harvey Weinstein den Film für die USA kürzen lassen wollte, erschließt sich einem im Zuge seiner Argumentation nicht. Er sagt, die US-Zuschauer würden viele Teile des Films nicht verstehen. Die aufgezeigten Problemlagen sind augenscheinlich nicht nur von düsteren SciFi-Visionen inspiriert, sondern von dem alltäglichen Schnodder und Übeln der jetzigen Gesellschaft(en). Eingehüllt in die Metaphorik der kalten Welt, dreht der Zug unaufhörlich Runde um Runde.
Was die Ausstattung der einzelnen Zugabteile angeht, so wurde mächtig rangeklotzt. Es wirkt, als würde man hinter jeder Tür eine neue Welt betreten. Zweifelsfrei fühlt es sich für die Leute vom Ende des Zuges so an. Mit sehr viel Liebe zum Detail gingen die Kreativköpfe und die Kulissenbauer zu Werke. Das ist einer der größten Bonuspunkte in dem Film „Snowpiercer“. Dem stehen leider die zu bemängelnden CGI-Effekte der Außenwelt oder der Außenansichten des Zuges entgegen. Da taugen die Effekte nicht mehr als für ein beliebiges PC-Spiel. Ansonsten sind viele Teile, wie das Story-Geschehen düster gehalten. Das passt. Chamäleon Tilda Swinton (auch in „Grand Budapest Hotel“ kaum zu erkennen) ist ebenfalls sehr aufwendig umgestaltet. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man sie nicht erkennen mit ihrem Over-Acting als blasierter Snob.
Die Massenkampfszenen und starke Einzelszenen von Chris Evans sind virtuos umgesetzt und eingefangen. Sie erinnern an klaustrophobische Kämpfe in engen Gängen aus „The Raid“ oder die Prügelszenen aus dem alten „Oldboy“. Die Kamera fährt beinah auf Schienen an der Seite der kämpfenden Meute mit. Zusammenschnitte mit Ego-Shooter-Perspektiven, Nachtsicht-Shots und dezente Slow Motion (nicht ausgeschlachtet wie in „300“) führen dazu, dass diese Momente eine weitere Stärke des Films bilden.
Chris Evans‘ Figur Curtis gebührt gegen Ende ein verdammt dunkler Monolog über seinen Werdegang zum Rebellenführer. Die Umstände haben ihn dazu gebracht und vergiftet, ganz unweit der Gehirnwäsche in der Zugschule, die Kinder hörig macht und linientreu anpasst. So kippt der Film auch nicht vollständig zum plakativ-populistischen Schwarz-&-Weiß-Phrasengedresche. Alles hängt irgendwie miteinander zusammen, wie bei der Chaostheorie. Alles greift ineinander und ein stetes Gleichgewicht (um jeden Preis?) bewahrt die Gesellschaft vor dem alles erstickendem Vakuum: sich selbst. Manch Zuschauer könnte mit dem Vorwurf der Abgedroschenheit reagieren. Geschuldet wäre dies der doch recht klarsichtigen, für einige Augen vielleicht zu platten Kritik. In „Titanic“ tanzten die Iren auch im Rumpf des Schiffes, während das Establishment im oberen Teil dinierte. Neu ist das alles nicht, aber es sollte sich jeder selbst ein Bild davon machen können, ohne durch das Diktat der Schere Vorenthaltungen und einem Kastrat von Film gegenüberzusitzen. Harvey Weinstein ruderte zurück und so bekommt die USA auch die Möglichkeit, den Film in voller Länge zu schauen, wenn auch nur in wenigen Kinos. Ein letzter Hinweis darf noch sein: Vielleicht fühlt sich noch jemand an einen kitschigen Werbespot eines namhaften Softdrink-Giganten am Schluss des Films erinnert.