Sönke Wortmann bei der Premiere von Schoßgebete in Berlin © 2014 Constantin Film Verleih GmbH
Als Charlotte Roche 2008 ihren ersten Roman, "Feuchtgebiete", veröffentlichte, konnte niemand ahnen, dass ihre Geschichte über Tabubrüche und die Selbstfindung einer jungen Frau in einer Welt dominiert von gesellschaftlichen Konventionen, die Nation im Sturm erobern würde. Über 2,5 Millionen Mal verkaufte sich der Roman in Deutschland und belegte mehr als ein halbes Jahr lang die Spitze der Literatur-Charts. Drei Jahre später legte sie mit "Schoßgebete" einen sehr erfolgreichen Nachfolger vor, dessen Geschichte aber deutlich persönlicher ausfiel und mit dem sie ihr eigenes Trauma verarbeitete. Dass auch fünf Jahre nach der Veröffentlichung des ersten Romans das Interesse an Charlotte Roche nicht verfolgen ist, zeigte letztes Jahr die erfolgreiche Verfilmung Feuchtgebiete, die alleine in Deutschland fast 1 Million Zuschauer in die Kinos lockte.
Auch die Adaption von "Schoßgebete" ließ nicht lange auf sich warten. Seit gestern läuft der Film in den deutschen Kinos. Schoßgebete wurde von einem der ganz Großen des deutschen Kinos inszeniert – Sönke Wortmann. Seit seinem Durchbruch mit Kleine Haie, hat er mit Das Superweib, Der bewegte Mann, Die Päpstin und Deutschland – Ein Sommermärchen zahlreiche deutsche Megahits in die Kinos gebracht. In Schoßgebete ist er wiedervereint mit Jürgen Vogel, der mit Kleine Haie ebenfalls seinen Durchbruch feierte. In die weibliche Hauptrolle schlüpfte die tolle Lavinia Wilson.
Anlässlich der Filmpremiere von Schoßgebete am 5. September in Köln, hatte ich die großartige Gelegenheit, Wortmann und seine beiden Hauptdarsteller zum Film zu interviewen. In dem Interview erklärte Wortmann, was ihn an dem provokativen Roman faszinierte, weshalb Schoßgebete anders ist, als manche vermuten und was für ihn der wahre Gradmesser des Erfolgs ist.
Filmfutter: Ich muss ehrlich sagen, dass ich Sönke Wortmann im Vorfeld nicht gerade mit einer Charlotte-Roche-Verfilmung in Zusammenhang gebracht hätte. Wie kamst Du zu dem Film?
Sönke Wortmann: Es gab auch schon andere Filme, zum Beispiel Die Päpstin, bei denen die Leute dachten, dass es zu mir eigentlich gar nicht passen würde. Das macht mich natürlich immer neugierig und ich will ja auch nicht immer gleiche Dinge in meinem Beruf machen, sonst würde ich jetzt Der bewegte Mann 14 drehen. Ich probiere gerne andere Genres aus. Wenn es nach mir ginge, würde ich als nächstes gerne ein Musical inszenieren. Auch da wird man dann sicherlich sagen: „Musical und Wortmann – geht das zusammen?“. Insofern finde ich das eigentlich gar nicht schlimm, dass es da anfangs Irritationen gibt. Ich habe den ersten Roman, „Feuchtgebiete“, nicht gelesen und als der zweite herauskam, „Schoßgebete“, wollte ich dann doch wissen, warum sich der erste so gut verkauft hat. Innerlich hat es mich nicht so sehr interessiert und ich wollte wissen, warum diese Autorin so beliebt ist. Ich habe es auf einer relativ langen Zugfahrt gelesen und es hat mich voll erwischt. Ich war sehr berührt und was mir gefallen hat, war die Gratwanderung zwischen der Tragik und der Komik. Es ist eine aufregende Mischung, die ich auch in den Film übertragen wollte.
FF: Hast Du dann aus Neugier auch „Feuchtgebiete“ gelesen?
SW: Ja, habe ich gelesen, aber erst viel später, nachdem ich den Film abgedreht habe. Ich muss sagen, dass es mir viel besser gefallen hat, als ich erwartet hätte. Den Ekel-Faktor, über den immer gesprochen wird, fand ich gar nicht so eklig, sondern eher lustig. Inzwischen kenne ich Charlotte (Roche) auch und kann das auch ein gut einschätzen. Ich glaube sie macht sich einfach einen großen Spaß daraus, die Leute mit Ekel zu provozieren.
FF: Hast Du auch die Verfilmung gesehen?
SW: Ja und da kann ich auch nur lobende Worte sprechen. Mir war nicht ganz klar, was die Macher daraus machen würden, aber als ich den Film gesehen habe, fand ich ihn absolut gelungen.
FF: Denkst Du dann rückblickend, dass Du den Roman auch gerne selbst inszeniert hättest?
SW: Auf keinen Fall. (lacht)
FF: Also das ist kein „Sönke-Wortmann-Film“?
SW: Nein, absolut nicht. Insofern schließt sich der Kreis der Frage. Das ist weit von dem weg, was mich als Filmemacher interessiert und es ist auch eine völlig andere Zielgruppe, als die, die wir jetzt ansprechen. Bei uns geht es um eine Frau Mitte Dreißig, die seit langem in einer Beziehung ist, ein Kind hat und versucht, diese Beziehung frisch zu halten. Das muss sie unter schwierigen Voraussetzungen bewerkstelligen, da sie traumatisiert ist. Ich glaube, das passt sehr gut zu mir. Diese Lebensphase kenne ich natürlich auch. Ich habe auch schon eine langjährige Beziehung, Kinder und es ist nicht immer einfach. Die Alltagsroutine ist enorm. Die Frage ist dann natürlich, wie man die Liebe im Alltag retten kann. Dieses Thema entspricht wirklich dem, was mich beschäftigt.
FF: Wenn man „Charlotte-Roche-Verfilmung“ hört, haben Menschen ganz bestimmte Vorstellungen. Diese richten sich aber vermutlich mehr nach „Feuchtgebiete“. Man erwartet Sex und Tabubrüche. In Deinem Film ist Sex zwar ein wichtiges Thema, doch es gibt auch nicht alle zehn Minuten eine Sexszene. Was erwartet realistischerweise den Zuschauer, der sich den Film anschaut?
SW: Es ist schwer, den eigenen Film anzupreisen… Ich glaube, dass er eine sehr bewegende Geschichte erzählt, und zwar fernab von dem ganzen Sex- und Ekel-Faktor. Sex gehört natürlich zum Leben dazu; es gibt auch besondere Formen von Sex, wie vielleicht in Charlottes Romanen öfter mal, wie beispielsweise die Dreier-Konstellation. Es ist aber überhaupt nicht pornographisch, falls man das erwartet. Man zahlt ja nicht 12 Euro für ein Filmticket, nur um das zu sehen, was zwei Klicks entfernt im Internet zu finden ist.
FF: Ist trotzdem eine gewisse Offenheit bei den Zuschauer Voraussetzung für den Film?
SW: Es ist sicher richtig, was du gesagt hast. Wegen „Feuchtgebiete“ erwarten einige Menschen bestimmte Dinge, die im zweiten Roman aber gar nicht vorkommen. Man verwechselt gerne die Romane, weil sie einen ähnlichen viersilbigen Titel haben und von der gleichen Autorin sind. Man denkt dann natürlich auch, dass es ähnliches Sujet ist, was aber nicht zutrifft.
FF: Mit welchem Gefühl sollten die Zuschauer idealerweise den Kinosaal bei SCHOSSGEBETE verlassen?
SW: Ich habe ja auch ein Gefühl, wenn ich den Film noch mal sehe. Mein Gefühl ist Betroffenheit von dem Schicksal dieser Frau, aber gleichzeitig bin ich auch optimistisch gestimmt, weil ich weiß, dass sie dieses Schicksal meistern wird. Das erzählt der Film zwar nicht direkt, aber das ist das Gefühl, mit dem ich rausgehe. Das letzte Bild des Films ist ein Freeze-Frame der lächelnden Hauptfigur und ich habe das Gefühl, dass sie ihr Leben auf die Reihe kriegen wird. Ich hoffe auch, dass das Publikum das auch so empfinden wird.
FF: Was war dir größte Herausforderung bei der Adaption des Romans?
SW: Ich glaube, es war die Verbindung der Tragik mit der Komik. Die Figur Elizabeth erlebt das Schlimmste, das man eigentlich erleben kann. Wie sie damit umgeht und wie humorvoll sie das verarbeitet, hat mir im Roman gefallen. Ich weiß natürlich auch, dass es auch teilweise autobiographisch ist und wie Charlotte damit umgeht, finde ich sehr bewundernswert und mutig.
FF: Fühlt man eine gewisse Verantwortung, wenn man eine so persönliche Geschichte umsetzt?
SW: Auf jeden Fall. Ich habe immer das Bedürfnis, die Autoren ernst zu nehmen, sie auch Dinge zu fragen und bis zu einem gewissen Grand einzubeziehen. Das war hier natürlich besonders so, weil es eben so eine persönliche Geschichte ist. Mein erstes Ziel war, dass Charlotte den Film mag, sich auch damit identifizieren kann und sich nicht verraten oder ausgenutzt fühlt. Zum Glück hat sie den Film gesehen und mochte ihn sehr. Natürlich war sie auch sehr aufgewühlt, aber auch sehr zufrieden.
FF: Inwiefern wurde Charlotte in die Arbeit an dem Film mit einbezogen?
SW: Wir haben ihr angeboten, sie einzubeziehen, aber das wollte sie gar nicht wirklich, weil sie zu Recht auch erkannt hat, dass Literatur und Film völlig verschiedene Medien sind. Man muss als Autor dann auch abgeben können. Natürlich muss man den Filmemachern erst auf den Zahn fühlen, ob man ihnen mit dem eigenen Buch vertraut. Aber in dem Moment, in dem man sein Okay gibt, muss man auch loslassen und den Dingen ihren Lauf lassen. Wenn ich Autor wäre, würde ich das auch so machen und Charlotte hat das ebenfalls so gemacht. Von unserer Seite war es so, dass wir sie trotzdem immer darüber informiert haben, was wir vorhatten. Sie hat immer die aktuellen Drehbuchfassungen bekommen, hat sie gelesen und für gut befunden. Deswegen war es zwar eine geringe Zusammenarbeit, aber auch eine sehr wichtige, weil sie ihren Segen gegeben hat.
FF: Auf welche Abweichungen von dem Roman müssen sich die Fans einstellen?
SW: Die Fans des Romans können sich auf jeden Fall darauf einstellen, dass der Geist der Vorlage sich im Film wiederfindet. Natürlich gibt es diese 15-seitige Blow-Job-Szene vom Anfang nicht, aus verschiedenen Gründen. Erstens ist sie gar nicht so wichtig und zweitens würde sie unter den Pornografie-Paragraphen fallen. Ansonsten ist das meiste drin, was den Roman ausmacht. Was ich bereits mehrmals gehört habe, ist, dass die Leute, die den Film gesehen haben und den Roman nicht kennen, positiv überrascht waren, weil es eben nicht „Feuchtgebiete“ ist. Sie sind überrascht, dass Schoßgebete ganz anders ist, eine ganz andere Ernsthaftigkeit besitzt und andere Dimensionen abdeckt. Der zweite Roman ist wesentlich intensiver. Natürlich ist der Film, Feuchtgebiete, sehr erfolgreich gewesen und vielleicht wollen sich die 950,000 Zuschauer, die den Film gesehen haben, auch Schoßgebete anschauen und sind dann auch noch positiv überrascht, weil es noch inhaltlicher ist.
FF: Du hast natürlich in Deiner langen Karriere bereits viele große Hits gehabt. Ist Dir der kommerzielle Erfolg Deiner Filme wichtig?
SW: Ja. Ich gebe mir natürlich immer viel Mühe und es steckt immer viel Arbeit darin – nicht nur meine, sondern von vielen Leuten, die sich mit dem Projekt identifizieren. Es ist für sie auch eine Enttäuschung, wenn der Film nach zwei Wochen nicht mehr im Kino ist. Ich bin dann natürlich auch enttäuscht. Für mich ist das eigentlich der wichtigste Gradmesser. Kritiker sind es nicht, ich lese eigentlich lange keine Kritiken mehr zu meinen Filmen. Ich definiere mich stattdessen über die Zuschauerzahlen. Ich denke, dass wenn ich einen guten Film gemacht habe, sich das auch herumsprechen wird. Der Film wird sich weiterempfehlen. Wenn mir der Film aber nicht so gut gelungen ist, sagen die Leute dann weiter, dass man sich den sparen kann.
FF: Es gibt ja auch leider richtig gute Filme, die im Kino nicht so gut laufen und vielleicht erst später entdeckt werden.
SW: Ja, ich weiß, aber ich will mir das dann auch nicht schönreden. Ich habe ja auch schon Misserfolge gehabt und da will ich nicht sagen: „Na ja, vielleicht irgendwann mal.“ Unter dem Strich glaube ich schon, dass die guten Filme sich meistens durchsetzen. Ich denke, dass ein Film, der sieben Millionen Zuschauer in die Kinos lockt, gewisse Qualitäten haben muss, sonst wäre er nicht so erfolgreich. Umgekehrt ist es nicht immer so. Es gibt sehr gute Filme, die nur 20,000 Zuschauer haben. Vielleicht scheitern sie am Thema oder die Leute wollen das Thema zu dem Zeitpunkt nicht sehen. Wenn ein Film nicht gut läuft, hat das nicht unbedingt mit mangelnder Qualität zu tun. Ein gut laufender Film hat aber auf jeden Fall Qualität.
FF: Ein britischer Regisseur hat mir einst gesagt, dass es für ihn besonders wichtig ist, dass sein Film irgendeine Reaktion erzeugt. Ihm ist es lieber, dass die Zuschauer seinen Film hassen, als wenn er ihnen gleichgültig ist. Würdest Du das für Dich auch so unterschreiben?
SW: Das würde ich auch so sehen. Es gibt ja nichts Schlimmeres als Gleichgültigkeit. Bestimmt habe ich auch Filme gemacht, die Leute gleichgültig zurückließen, aber in dem Fall von Schoßgebete, glaube ich nicht, dass es der Fall sein wird. Wir haben ja auch Testvorführungen gemacht. Gleichgültig war kaum jemand, Entweder man mochte das sehr gerne und war betroffen, oder man mochte es gar nicht. Das finde ich in Ordnung so.
FF: Gab es einen langen Casting-Prozess zu dem Film oder gab es bereits zu Beginn Wunschkandidaten?
SW: Es sollte ein langes Casting werden, aber es wurde ein sehr kurzes. Wir hatten anfangs eigentlich einige Schauspielerinnen im Kopf, haben 2-3 bekannte Namen angefragt und sie wollten das nicht spielen. Die Rolle war ihnen zu risikoreich – aus verschiedenen Gründen. Vielleicht waren sie nicht mutig genug oder vielleicht hatten sie Angst, ihren aufgebauten Status als Schauspielerin mit der Rolle zu gefährden. Es ist natürlich eine sehr herausfordernde und provokative Rolle. Dann dachte ich: „Okay, wir machen wohl ein Casting, wenn die Ängste so groß sind.“ Unter den ersten sechs oder sieben, die vorgesprochen haben, war Lavinia auch dabei und sie war sofort drin. Es war mir sofort klar, dass sie die Richtige war. Oliver Berben (Drehbuchautor und Produzent von Schoßgebete) hat sich das Video angeschaut und mir auch sofort zugestimmt. Der passende Partner war dann mit Jürgen Vogel relativ schnell gefunden. Es war dann ein Casting mit Lavinia zusammen. Er musste nicht beweisen, dass er so was spielen kann, sondern es ging um die Frage, ob die beiden gut zusammen passen.
FF: Hast Du schon ein nächstes Projekt in Aussicht? Ein Musical vielleicht?
SW: Es ist so, dass ich dieses Udo-Lindenberg-Musical „Hinterm Horizont“ in Berlin so schön finde. Das kann ich aber leider nicht machen, weil es eine unklare Rechtesituation gibt. Es gibt einen Film, der nächstes Jahr kommt, der aber schon abgedreht ist. Der Film heißt Frau Müller muss weg, eine Komödie über einen Elternabend, basierend auf einem sehr erfolgreichen Theaterstück.
FF: Würde es Dich interessieren, wieder einen Film auf Englisch zu drehen?
SW: Nein, nicht mehr. Ich habe es ja zweimal gemacht. Einmal war es ein Hollywood-Film, The Hollywood Sign mit Rod Steiger, Burt Reynolds und Tom Berenger. Ich habe mich da aber ehrlich gesagt nicht so wohl gefühlt. Es war zu anders. Es sind zu viele andere Dinge, wie die Größe von Wohnwagen, wichtig. Die Päpstin habe ich dann natürlich auch in englischer Sprache gedreht und auch da habe ich gemerkt, dass ich es in Deutsch lieber mache. Ich spreche zwar ganz gut Englisch, aber es ist manchmal frustrierend, dass ich nicht in die Tiefen der Sprache so vordringen kann, wie ich es gerne möchte. Deswegen bin ich superglücklich in Deutschland zu drehen. Mittlerweile bin ja auch über 50 und erwarte nicht, dass Hollywood bei mir bald wieder anklopft.
FF: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg mit dem Film.
von Arthur Awanesjan
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Schoßgebete läuft ab dem 18.09. in den deutschen Kinos.
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