Spider-Man: Far From Home, USA 2019 • 129 Min • Regie: Jon Watts • Mit: Tom Holland, Jake Gyllenhaal, Zendaya, Jacob Batalon, Samuel. L. Jackson, Jon Favreau, Marisa Tomei • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 4.07.2019 • Website
Handlung
Das Universum ist gerettet und die von Thanos Weggeschnipsten wurden zurückgeholt. Was bleibt, ist eine veränderte Welt, deren halbe Bevölkerung nach fünf Jahren Abwesenheit wieder aufgetaucht ist. Als eins der zurückgebrachten Opfer von Thanos und Teilnehmer der entscheidenden Schlacht gegen ihn, leidet Peter Parker (Tom Holland) alias Spider-Man an den traumatischen Ereignissen, die er durchleben musste, und trauert um seinen verstorbenen Mentor Tony Stark. Während die Welt darauf wartet, dass er in Iron Mans Fußstapfen tritt, braucht Peter dringend eine Auszeit. Zum Glück steht eine Klassenfahrt nach Europa an. Diese möchte Peter dazu nutzen, um M.J. (Zendaya) in Paris seine Gefühle zu gestehen. Doch bereits auf dem Flug entgleist sein sorgfältig durchdachter Plan. Es wird nicht besser, als Nick Fury (Samuel L. Jackson) in Venedig auftaucht und den unwilligen Peter dazu einspannt, an der Seite des aus einer anderen Dimension aufgetauchten Superhelden Quentin Beck alias Mysterio (Jake Gyllenhaal) gegen Elementals zu kämpfen, Riesenmonster, die aus den Grundelementen Wasser, Feuer, Erde und Luft bestehen. Für Peter und seine Freunde beginnt eine irrwitzige Reise durch ganz Europa, auf der Peter verzweifelt versucht, das Geheimnis seiner Superhelden-Identität zu bewahren, M.J. endlich nahezukommen und den hohen Erwartungen an sein Alter Ego gerecht zu werden.
Kritik
Der bombastische Überblockbuster Avengers: Endgame ließ 11 Jahre und 21 Filme des ambitioniertesten Franchises der Filmgeschichte in einem höchst zufriedenstellenden Finale gipfeln. Begleitet wurde der Film von einem allgegenwärtigen Gefühl der Endgültigkeit, das durch den Verzicht auf Abspannszenen zusätzlich untermauert wurde. Nachdem die Zuschauer nach der dreistündigen Achterbahnfahrt, die eine ganze Ära abgeschlossen hat, erstmals keinen Ausblick auf die Zukunft des Marvel-Kinouniversums erhalten haben, stellten sich viele eine Frage: "Was kann jetzt noch kommen?"
Die Antwort lautet Spider-Man: Far From Home, der Epilog der dritten Phase des MCU. Mit seinen verhältnismäßig niedrigen Einsätzen nach der Weltuntergangsstimmung von Endgame, ist das zweite Solo-Abenteuer von Tom Hollands freundlicher Spinne aus der Nachbarschaft ein leichtfüßiger, heiterer Ausgleich. Er ist die Ruhe nach dem Sturm, der Tag der Entspannung und des Ausklangs nach einem wilden Partyabend, an dem die Folgen der Feier noch deutlich zu spüren sind (jedoch ohne Kopfschmerzen). Falls Ihr zu den zwei Leuten gehört, die sich in diese Kritik verirrt haben, ohne Avengers: Endgame zuvor gesehen zu haben, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, umzukehren.
Nach einer kurzen Begegnung von Nick Fury und Maria Hill mit der neuen großen Bedrohung für die Erde und der möglichen Erlösung in Form von Quentin Beck, huldigt der Film gleich zu Beginn mit der denkbar kitschigsten Videomontage, untermalt von Whitney Houstons "I Will Always Love You", den gefallenen Avengers. Diese entpuppt sich als Teil der Schulreportage von Peters Highschool, moderiert von seiner Mitschülerin Betty (Angourie Rice). Der Bericht bringt die Zuschauer auf den neusten Stand der Dinge, indem er den "Blip" erklärt. So wird gemeinhin die fünfjährige Abwesenheit der halben Weltbevölkerung bezeichnet, die plötzlich, ohne gealtert zu sein, wieder aufgetaucht ist. Mit dem durch den Blip verursachten Chaos muss die Welt nun zurechtkommen. Praktischerweise sind Peters engere Freunde und Klassenkameraden natürlich allesamt von Thanos ursprünglich pulverisiert worden, sodass Far From Home nahtlos an Spider-Man: Homecoming anknüpfen kann.
Das gesamte Segment wirkt bewusst billig und albern, und stimmt wunderbar darauf ein, was folgt: einer der lustigsten Filme des MCU. Natürlich kam Humor in den Marvel-Filmen von Disney auch in düstersten Szenarien nie zu kurz, doch die neuen Spider-Man-Filme machen die Comedy-Elemente zu einem großen Teil ihrer DNA. Bei der MCU-üblichen Mischung aus Humor und Action funktioniert bei Far From Home der Humoranteil deutlich besser. Der Night-Monkey-Running-Gag alleine wird zahllose Memes und T-Shirt-Motive inspirieren, und wird einfach nie alt. Nicht alle Gags sitzen allerdings. Die von Martin Starr und J.B. Smoove gespielten, überforderten Lehrer sind leider nicht so witzig, wie das Drehbuch uns glauben lassen möchte.
Regisseur Jon Watts weiß, den sympathisch-nerdigen Charme seines als Jugendlicher immer noch sehr glaubwürdigen Hauptdarstellers Tom Holland gut einzusetzen. Mit Witz, Tapferkeit und einer Portion peinlicher Berührtheit ruft Holland in Erinnerung, weshalb Spider-Man seit Jahrzehnten eine der größten Identifikationsfiguren für Generationen von Jugendlichen ist. Der Konflikt zwischen Peters Bestrebungen, es allen recht zu machen, sich jedem Unrecht zu stellen, das Geheimnis seiner Superhelden-Identität zu bewahren und zugleich ein normales Leben zu führen, gehört zu den Kernaspekten der Figur und wurde sowohl in der Maguire- als auch in der Garfield-Ära thematisiert. Durch den Tod von Tony Stark wird dieses Dilemma in Spider-Man: Far From Home zusätzlich verstärkt. Die Erwartungen an Spider-Man als möglicher Nachfolger – man bedenke, die Welt ahnt nicht, dass ein Teenager im Spinnenkostüm steckt – steigen, und Peter weiß nicht, ob er diesen gewachsen ist, oder es überhaupt sein möchte. Der Zwiespalt und die Sehnsucht nach einem unbeschwerten Leben mit dem Mädchen seiner Träume sind nachvollziehbar. So hat Peter auch unser Nachsehen, wenn er eine wirklich dumme Entscheidung in dem Film trifft. Er ist eben nicht perfekt.
Wie sein Vorgänger Homecoming, ist Far From Home immer am besten, wenn er den Fokus auf das gewöhnliche Teenager-Leben von Peter richtet, mit all seinen Missverständnissen, Fettnäpfchen, Freundschaften und Schwärmereien. Sowohl seine humorvollen Interaktionen zu Jacob Batalons Ned, der immer mehr zu einer Karikatur wird, als auch die authentisch unbeholfenen, zaghaften Annäherungsversuchen zwischen Peter und M.J. machen Spider-Man: Far From Home zu einer wirklich köstlichen Teenie-Komödie. Reserviert, sarkastisch und scharfzüngig, lebt sich Zendaya bei ihrem zweiten Auftritt noch besser in die Rolle von Peters Schwarm ein. Ihre Beziehung hat genau die richtige Chemie einer aufkeimenden, jungen Liebe. Zum Charme des Films tragen auch die wechselnden europäischen Locations bei, deren Durchlauf ein wenig an Eurotrip erinnert – ohne die vulgären Elemente, aber mit vergleichbarer ironischer Klischeehaftigkeit. In den wenigen Minuten, die der Film beispielsweise in den Niederlanden verbringt, gibt es Tulpenfelder, Windmühlen und sympathische Football-Hooligans zu sehen. Nach sechs Spider-Man-Kinofilmen in New York, ist es eine angenehme Abwechslung, den jugendlichen Helden in eine weniger vertraute Umgebung zu bringen.
Der Film würde vermutlich auch gut funktionieren, wenn man jegliche Superhelden-Angelegenheiten ganz auslassen würde, doch natürlich ist es ein MCU-Abenteuer und so warten auf uns auch wieder Explosionen, Massenzerstörung und Menschenleben in Gefahr. Die zum Teil kreativen, zum Teil austauschbaren Actionszenen wirken angesichts der Hauptgeschichte fast schon ablenkend. Man steht als auf Peters Seite, indem man hofft, dass diese ganzen großangelegten Kämpfe schnell vorbei sind, damit man zur turbulenten Klassenfahrt zurückkehren kann.
Die kreativen Köpfe bei Marvel haben jedoch mehr als ein As im Ärmel. Wenn die Zuschauer in ein Gefühl der Sicherheit und Vertrautheit eingelullt werden, ändert der Film sein Spielfeld. Wer mit der Spider-Man-Mythologie vertraut ist, wird früh wissen, woher der Wind weht, doch auch für sie hält der Film noch einige Überraschungen bereit. Hier ist nicht so sehr das "was" wichtig wie das "wie". Spider-Man: Far From Home spielt gekonnt mit Erwartungen, stellt sie vermeintlich auf den Kopf und wendet sie dann wieder, und wieder, und wieder. Die Twists und Offenbarungen reichen bis in die letzte Szene des Films hinein. Eigentlich muss ja keinem Marvel-Fan ausdrücklich empfohlen werden, bis zum Ende des Abspanns sitzen zu bleiben, doch selten lohnte es sich so sehr wie hier. Beide Abspannszenen gehören zu den besten des MCU in den letzten Jahren und gerade die erste ließ mich breit grinsen und wird für regelrechten Jubel unter vielen Fans sorgen.
Visuell hat Far From Home einige wirklich abgefahrene, trippy Sequenzen zu bieten, wie man sie bisang aus Doctor Strange oder dem brillanten Spider-Man-Animationsfilm A New Universe kennt. Diese sind einerseits einfallsreich, sehen aber andererseits unglücklicherweise häufig wie ein mäßig gut gerendertes Videospiel aus, was dann einen dann doch wieder aus dem tiefen Kinoerlebnis herausreißt.
Natürlich kann auch Jake Gyllenhaal als Quentin alias Mysterio nicht unerwähnt bleiben, der seine Rolle mit vollem Einsatz spielt, sei es der dick aufgetragene Pathos oder die vergnügte Häme, die an seine beste Performance in Nightcrawler erinnert. Neben Cobie Smulders und Samuel L. Jackson, die als Maria Hill und Nick Fury weitgehend auf Autopilot agieren, sorgt der Auftritt von Jon Favreau als Tony Starks einstiger Bodyguard Happy Hogan für weitere Verknüpfung zum restlichen Marvel-Filmuniversum. Er teilt Peters Trauer um Tony, doch es ist nicht die einzige Verbindung der beiden, denn auch in Happys Leben gibt es eine romantische Entwicklung.
Robert Downey Jr.s Vertrag mit Marvel ist ausgelaufen und Tony Stark ist tot, doch sein Schatten hängt weiterhin über Far From Home. Das Vermächtnis des reuigen Waffenhändlers, Genies, Milliardärs, Playboys und Philanthrops, gut wie schlecht, ist ein essentieller Teil des Films und ermöglicht eine clevere Einbindung von Far From Home in das komplex vernetzte Konstrukt des MCU, einschließlich einiger direkter Referenzen zu vergangenen Filmen.
Spider-Man: Far From Home ist nicht der beste Spider-Man-Film. Dazu fehlen ihm die inszenatorische Virtuosität und die Intensität von Sam Raimis ersten zwei Filmen. Doch er ist eine gelungene Steigerung gegenüber Homecoming und ein entspannter, äußerst unterhaltsamer und überraschend raffinierter Beitrag zum Marvel Cinematic Universe.
Fazit
Als ungezwungenes, lässiges und urkomisches Sommer-Abenteuer ist Spider-Man: Far From Home der perfekte Gegenpol zur Schwermut und den monumental hohen Einsätzen von Avengers: Endgame. Der Film schafft es, deutlich cleverer und ins Gesamtkonstrukt des Marvel-Kinouniversums besser eingebunden zu sein, als er anfangs den Anschein macht. Seine zunehmend besseren Wendungen und Überraschungen entfaltet er bis in die allerletzte Szene. Den Höhepunkt stellen, wie schon bei Homecoming, die Szenen von Peters Leben als gewöhnlicher Teenager dar, während die teils kreativen, teils aber austauschbaren Actionszenen fast schon ablenkend wirken.
Trailer
4.0 Filmfutter Urteil |