Talk to Me, AUS 2022 • 94 Min • Regie: Danny Philippou, Michael Philippou • Drehbuch: Danny Philippou, Bill Hinzman • Mit: Sophie Wilde, Alexandra Jensen, Joe Bird, Otis Dhanji, Miranda Otto • Kamera: Aaron McLisky • Musik: Cornel Wilczek • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Capelight • Kinostart: 27.07.2023 • Deutsche Website
Oberflächlich lässt sich der australische Schocker „Talk to Me“ neben US-Produktionen wie der „Insidious“-Reihe oder den „Ouija“-Filmen verorten. Tatsächlich bereiten einen die genannten Beispiele allerdings kaum auf den morbiden Sog des ziemlich hippen und teils finster schwarzhumorigen Regiedebüts der Brüder Danny und Michael Philippou (unter dem Namen RackaRacka durch ihren YouTube-Kanal bekannt) vor.
Nach gefeierten Einsätzen auf diversen Festivals wird das Genre-Werk nun auch einen regulären Kinostart hierzulande erfahren. Und das sollte ein weiterer Grund zur Freude für die aktuell reichlich verwöhnten Horror-Fans sein: „Talk to Me“ ist eine beachtlich effektive und wirklich unter die Haut kriechende Portion Albtraum-Kino, die trotz bewährter Vorbilder in frischem Glanz erstrahlt. Bemerkenswert ist zudem, dass man vielleicht Referenzen zu Joel Schumachers „Flatliners“, Sam Raimis „Tanz der Teufel“ oder Mary Lamberts Stephen-King-Adaption „Friedhof der Kuscheltiere“ ausmachen kann, aber dennoch lange Zeit über den Verlauf der Geschichte im Dunkeln bleibt.
Schon die Einstiegsszene macht dem Publikum überdeutlich, dass hier kein sanfter übernatürlicher Grusel, sondern durchaus deftige Gewaltspitzen zu erwarten sind. Ein besorgter junger Mann betritt eine Party, um seinen scheinbar verwirrten Bruder abzuholen. Die Situation eskaliert und Blut fließt. Besonders schockierend ist dabei die Tatsache, dass sich die angeheiterten Gäste gar nicht um den Zustand ihres Freundes scheren, sondern stattdessen ihre Smartphones zücken um Videos von dem Ereignis anzufertigen.
Was es mit dem wilden Auftakt auf sich hat erfahren wir, nachdem wir die Schülerin Mia (Sophie Wilde) kennengelernt haben. Nach dem traumatischem Tod ihrer Mutter sucht diese überwiegend bei der Familie ihrer Freundin Jade (Alexandra Jensen) Unterschlupf. Die Frage, ob eine versehentliche Tabletten-Überdosis oder Selbstmord Ursache für den Verlust des geliebten Elternteils gewesen ist, nagt an der Teenagerin und soll die verstörenden Vorfälle letztlich in Gang setzen.
Zusammen mit Jade und deren jüngerem Bruder Riley (Joe Bird) besucht Mia eine Party, auf welcher der Vorfall vom Anfang thematisiert wird und Aufnahmen von vermeintlicher Dämonen-Besessenheit kursieren. Ein Keramikarm, unter welchem sich die einbalsamierte Extremität eines Okkultisten befinden soll, wird auf einem Tisch aufgebaut und Mia meldet sich freiwillig für die folgende Mutprobe: Mit einer erleuchteten Kerze soll die Tür zum Reich der Toten geöffnet werden, die sich durch Auspusten wieder schließt. Nach Kontakt mit dem Arm hat die Probandin dazwischen exakt neunzig Sekunden Zeit, um mit den Worten „Sprich mit mir“ die Geister anzurufen und diese durch ein „Ich lass dich rein“ zur Übernahme des Körpers zu befähigen. Was Mia nun erlebt, schockiert sie und die Anwesenden, doch verleitet die anderen wie im Wahn, es selbst auch auszuprobieren. Ohne zu wissen, um wen genau es sich bei den ghulischen Gestalten auf der anderen Seite handelt, erkennt sie hier die Chance, das Mysterium um ihre Mutter zu lüften und ignoriert dafür später eine der Regeln. Mit fatalen Konsequenzen …
Wer auf spannende und oftmals raue Horrorkost steht, kommt um Beiträge aus Down Under kaum herum. Richard Franklins „Patrick“, Tony Williams' „Next of Kin“ (VHS-Titel: „Montclare – Erbe des Grauens“) und Russell Mulcahys „Razorback“ sind Vorreiter einer Ozploitation-Welle gewesen, die sich über das Millenium mit Werken wie Greg McLeans „Wolf Creek“, Sean Byrnes „The Loved Ones“, Ben Youngs „Hounds of Love“ oder zuletzt Hannah Barlows und Kane Senes' „Sissy“ vielversprechend und abwechsungsreich fortgepflanzt hat (Interessenten sei dringend die Dokumentation „Not Quite Hollywood: The Wild, Untold Story of Ozploitation!“ ans Herz gelegt). Auf australischen Schrecken ist regelmäßig Verlass, wie nun auch „Talk to Me“ wieder eindrucksvoll belegt.
Auch wenn die Philippou-Brüder zuvor Horrorset-Luft als Crew-Mitglieder bei Jennifer Kents preisgekröntem „Der Babadook“ schnuppern durften, umgibt ihren Spielfilm-Einstand ein Gefühl aus jugendlicher Unverbrauchtheit und Experimentierfreude ohne Angst oder Scham vor Sprüngen in pure Gross-Out-Situationen. Was hier aufgeboten wird, ist wahrlich krass – und das nicht nur in Bezug auf die erwähnten Splatter-Eruptionen. Im Gegensatz zu eher braven US-Filmen muten die dargestellten Partys mit ihrem creepigen Höhepunkt wirklich hemmungslos und reichlich asozial an. So werden nicht bloß jedes Mal abfeiernd die Smartphones gezückt, wenn wieder eine Figur die Selbstkontrolle an einen Dämon abgibt – was sicher nicht zufällig an einen Drogen-Rausch erinnert. Die Teilnehmer werden außerdem lachend bei ihrer Grenzerfahrung gepusht und sogar die Interaktion mit einem schlabbernden Hund wird dankbar aufgezeichnet, um mit dem Content im Netz zu punkten. „Talk to Me“ wirft mit seinem Konzept einen kritischen Blick auf die „Generation TikTok“, ohne jedoch plump mit dem moralischen Zeigefinger zu wedeln. Untermalt wird das Ganze sehr passend von einem groovigen HipHop-Soundtrack.
Abgesehen von Miranda Otto („Homeland“) als alleinerziehende Mutter von Jade und Riley sind die Teenager-Charaktere hier zwar in ihrem unreflektierten Handeln recht authentisch gezeichnet (man erinnere sich einmal zurück, wie man sich selbst in deren Alter aufgeführt hat), aber keine sympathischen Darlings, wie man sie sonst im Kino gewohnt ist. Mias persönliche Motivation steht konträr zur reinen Schaulust ihrer Clique im Mittelpunkt. Man fasst sich bei ihrer folgenschweren Entscheidung im späteren Verlauf sicher an den Kopf und versichert sich, dass man nie so dumm gewesen wäre. Doch kann man sich da in Anbetracht der präsentierten Möglichkeit wirklich so sicher sein?
Die Regisseure zeigen ihr paranormales Grauen schon früh in kurzen aber sehr prägnanten Einstellungen. Unter der lauten Partystimmung schwingt deshalb immer ein deutliches Unbehagen mit. Die Form und der Zeitpunkt, zu dem die Philippous ihrem Publikum jedoch endgültig den Boden unter den Füßen wegziehen, kommt unerwartet und erschütternd. Dies ist keiner dieser Filme, in denen während einer ersten Seance etwas schief geht und daraufhin alles nach Schema F abläuft. Ähnlich wie James Wans „Insidious“ ist „Talk to Me“ heimtückisch – aber eben noch einige Stufen bösartiger und brachialer.
Das Werk ist so versiert inszeniert und schick eingefangen wie eine Studio-Produktion, doch schreckt es nicht davor zurück, mit sehr blutigen Szenen (Stichwort Auge) und grotesk gestalteten Kreaturen ein Mainstream-Publikum wahrlich zu verstören. Nicht umsonst hat sich der auf außergewöhnliche Genre-Filme spezialisierte Verleih A24 („Midsommar“) die US-Rechte gesichert.
Auch wenn der Ausgang von „Talk to Me“ nicht wirklich neu ist und einige Charaktere ein wenig mehr Ausarbeitung vertragen hätten, ist dies zweifellos eines der überraschendsten und ernsthaft gruseligsten Horror-Highlights des Jahres. Mit ihrer Betrachtung von Social-Media-Trends treffen Danny und Michael Philippou obendrein voll ins Schwarze und fügen ihrem konsequenten Höllen-Trip eine sehr aktuelle Note bei.