The Amazing Spider-Man, USA 2012 • 136 Min • Mit: Andew Garfield, Emma Stone, Rhys Ifans, Martin Sheen, Sally Field, Dennis Leary, Irrfan Khan • Regie: Marc Webb • FSK: Ab 12 Jahren • Kinostart: 28.06.2012 • Deutsche Website
Handlung
Erzählt wird eine neue Variation der mittlerweile gut bekannten Ursprungsgeschichte des Spinnenmannes. Peter Parker (Andrew Garfield) ist ein äußerst begabter aber schüchterner High School Schüler. Als Kind wurde er von seinen Eltern bei seinem Onkel Ben (Martin Sheen) und Tante May (Sally Field) zurückgelassen. Kurz daraufhin starben die Eltern unter mysteriösen Umständen. Peter hat die üblichen Probleme eines Außenseiters in der Schule – keine Freunde, einen Schulhofschläger, der ihm das Leben schwer macht und ein scheinbar unerreichbares Mädchen, Gwen Stacy (Emma Stone). Als er eines Tages über ein altes Foto seines Vaters mit seinem ehemaligen Arbeitskollegen Curtis Connors (Rhys Ifans) stolpert, führen ihn seine Recherchen zu Oscorp Industries. Dort hat sein Vater mit Connors bahnbrechende Forschungen im Bereich der Genforschung betrieben, bis er eines Tages einfach verschwunden ist und seine Forschung mitgenommen hat. Peters Neugier führt dazu, dass er von einer genetisch modifizierten Spinne gebissen wird, woraufhin er diverse übermenschliche Fähigkeiten entwickelt wie enorme Stärke, Schnelligkeit und die Fähigkeit Wände hochzuklettern. Die Ermordung seines Onkels von einem einfachen Kriminellen bringt Peter auf einen persönlichen Rachefeldzug gegen Verbrecher, doch erst als Connors durch eins seiner Experimente zu einer riesigen humanoiden Echse mutiert und ganz New York bedroht, realisiert Peter, dass einige Dinge noch wichtiger sind als sein Rachewunsch. Als Spider-Man, ein neugeborener Held, stellt er sich dem Lizard entgegen, wobei er von der Polizei auf wenig Gegenliebe stößt.
Kritik
Kaum ein Projekt hat bei seiner Bekanntgabe soviele Gemüter erregt wie The Amazing Spider-Man. Schließlich war der erste Spider-Man Film von Sam Raimi im Januar 2010, als Sony das Reboot angekündigt hat, noch keine acht Jahre alt. Und es handelte sich dabei nicht um einen mäßig aufgenommenen Film wie den ersten Hulk, sondern einen allseits beliebten Blockbuster, der alleine im relativ comic-aversen Deutschland über 5 Mio Zuschauer in die Kinos lockte. Sony und Marvel wollten Peter Parker wieder an die High School schicken und einen mehr Teenager-orientierten Film machen, was natürlich sofort die Befürchtungen einer weiteren Twilight-Schmonzette im Spider-Man Gewand bei den Fans aufkommen ließ. Dazu gehörte ich ebenfalls. Als langjähriger Fan des Charakters war 2002 für mich ein glorreiches Jahr, denn eine bessere Adaption des Comics als Raimis Film konnte ich mir kaum vorstellen. Es war ein magisches Gefühl, zu sehen, wie Spider-Man sich lässig durch die Straßenschluchten von New York schwingt und der Kopfüber-Kuss mit Kirsten Dunsts Mary-Jane ist bis heute eins der kultigsten Bilder aus Comicbuchverfilmungen. Raimi hatte sowohl genug Sensibilität für die Momente zwischen den Charakteren als auch für großangelegte Actionszenen. Bis heute ist sein erster Spider-Man für mich der Inbegriff einer perfekten Entstehungsgeschichte eines Superhelden. Daran konnten weder Nolans (ebenfalls großartiger) Batman Begins noch Jon Favreaus Iron Man was rütteln. Die Skepsis gegenüber einem Spider-Man Reboot nach nur zehn Jahren war also durchaus groß.
Der erste Hoffnungskeim kam auf, als Marc Webb für den Regieposten angeheuert wurde. Sein (500) Days of Summer gehört zu den besten (anti-)Romcoms der letzten Jahre und darin hat er genau das Gespür für eine komplizierte Liebesgeschichte bewiesen, die auch Spider-Man braucht. Doch Übergänge von gelungenen Independent Filmen zu riesigen Blockbustern sind schwierig. Raimi und Nolan gelang das, woran zum Beispiel Marc Forster mit Ein Quantum Trost scheiterte. Weitere Hoffnungsschimmer kamen mit der Besetzung der Hauptrollen. War ich von Tobey Maguires Wahl nicht sofort überzeugt (dies änderte sich nach der ersten Sichtung des Films), so erschien der zweifelsohne sehr talentierte Andrew Garfield auf Anhieb als eine richtige Casting-Entscheidung. Schließlich hat er bei The Social Network schon Erfahrungen mit der Darstellung eines klugen Nerds gesammelt. Nicht minder überzeugend war die Entscheidung, die stets hervorragende und natürlich charmante Emma Stone (Einfach zu haben) als Peter Parkers erste Freundin, Gwen Stacy, zu besetzen.
Die Fans können sich nun beruhigen. Das fertige Produkt (so voreilig seine Entstehung immer noch sein mag) hat kaum etwas von Twilight, sondern ist eine mit Liebe zur Vorlage inszenierte Comicbuchverfilmung, die alle noch einmal daran erinnert, warum Peter Parker alias Spider-Man, einer der weltweit beliebtesten Comichelden ist. Wie erwartet, erweisen sich Stone und Garfield als wahre Besetzungscoups. Natürlich kann keine Kritik des Films den Vergleichen zu den Rami Filmen ausweichen. In puncto Besetzung halten sie sich mehr oder weniger die Waage. Garfields Parker ist anders angelegt als Maguires. Die Emotionen und das Leiden sind hier offener (unter anderem wohl ein Zugeständnis an das modernere Publikum). Doch ein wichtiger Punkt, der in Raimis Umsetzung vernachlässigt wurde, wird hier erfolgreich aufgegriffen – Peters unglaubliche Intelligenz. Nicht nur, dass Peter die von seinem Vater hinterlassenen komplexen Formeln gut nachvollziehen und Connors erklären kann, er entwickelt auch selbst mechanische Web-Shooter, die künstliche Spinnennetze verschießen, mit denen er sich von Haus zu Haus schwingen kann und seine Gegner immobilisiert. Dies ist ganz im Einklang mit dem Comic. In Raimis Film entwickelte Peter stattdessen nach dem Biss natürliche Drüsen, die organische Netze herstellten. Ich bin kein Purist, also funktionierte für mich auch Raimis Version gut, aber es war doch ganz schön, an diesem Beispiel die Betonung von Peters Grips aus den Comics zu sehen. Auch ist sein Peter Parker zwar ein Nerd und Außenseiter, hat aber schon vom Anfang an keine Angst sich dem Schulschläger entgegenzutreten. Der Mut ist ihm inhärent.
Emma Stone, die ihre Rollen immer mit viel Feuer, aber auch leicht schrägem Humor und natürlicher Lockerheit ausfüllt, ist eine gute Partie für Garfields Parker. Die beiden haben auf Anhieb sehr viel Chemie miteinander und obwohl eine legendäre Szene, wie der vorhin erwähnte Kuss aus dem ersten Teil, hier fehlt, sprühen die Funken zwischen den beiden bei den gemeinsamen Szenen so sehr, dass die Gerüchte über eine Romanze zwischen den beiden abseits der Kameras wirklich nicht verwundern. Bei der Liebesgeschichte zwischen den Teenagern kommen Marc Webbs Stärken wirklich zum Vorschein. The Amazing Spider-Man ist nämlich mindestens genauso sehr eine Geschichte über die erste große Verliebtheit wie ein bombastischer Actionfilm und die Aspekte des ersten überzeugen zum Teil sogar mehr und lassen einen kurz das Genre vergessen, in dem man sich befindet. Dabei wirkt das Ganze nie übertrieben schmalzig oder aufgezwungen. Die Beziehung zwischen Gwen und Peter ist sehr natürlich und beide stellen sich entsprechend tollpatschig an. Die Szene, in der Peter versucht, Gwen zu einem Date einzuladen, es aber einfach nicht über die Lippen bringt, fühlt sich echter an als vieles in den meisten Teenie-Filmchen. Man spürt förmlich die Verlegenheit, die Aufregung und die Glückseligkeit, aber auch die Ängste bei den beiden. Nur kommt bei Peter neben den üblichen Teenie-Sorgen noch hinzu, dass er sich als in Ganzkörpertrikot von Wolkenkratzer zu Wolkenkratzer schwingt und ständig verletzt und mit blauen Flecken übersät nach Hause kommt – zur wachsenden Besorgnis seiner Tante May.
Sally Field liefert eine entsprechend warmherzige Darstellung der letzteren ab, kommt aber an Rosemary Harris‘ würdevolle Wärme und Weisheit nicht heran. Besser schneidet hier Martin Sheen als Peters liebevoller, aber auch prinzipientreuer Onkel Ben ab. Natürlich gibt es auch die große Rede von ihm an Peter darüber, dass man immer Gutes tun soll, wenn man dazu in der Lage ist. Man konnte förmlich spüren, wie die Drehbuchautoren alles versucht haben, die „Aus großer Kraft folgt große Verantwortung“-Botschaft rüberzubringen, ohne diesen Satz (der ja schon im ersten Film verbraucht wurde) so aufsagen zu lassen. Hier wurde die ganze Bandbreite an Synonymen dafür abgegrast.
Doch bei allen gelungenen menschlichen Aspekten sollte man nicht meinen, dass die visuellen Reize und die Action hier zu sehr den Kürzeren ziehen. Ohne es mit den heutzutage so beliebten hyperkinetischen Schnitten zu übertreiben, inszeniert Marc Webb die Actionszenen mit überraschender Routine. Man merkt auch ziemlich schnell, welche Entwicklungen die Spezialeffekte in den letzten zehn Jahren noch durchlaufen sind. Es fehlt zwar der Wow-Effekt, wenn sich Spider-Man von Gebäude zu Gebäude hangelt (hat man ja schon oft gesehen), aber das Ganze wirkt noch plastischer und atemberaubender. Besonders beeindruckend sind auch Ego-Perspektiven von Spider-Man, die man auch schon im ersten Trailer kurz gesehen hat. Die 3D-Effekte kommen bei dem Film wie ein zweischneidiges Schwert und verdeutlichen besser als die meisten Filme der letzten Monate zugleich die Vor- und Nachteile der Technologie. Der in 3D-gedrehte (und nicht nachkonvertierte) Film nutzt die Möglichkeiten der 3D-Kameras voll aus. Es gibt nicht viele ins Gesicht springende Objekte, aber die räumliche Tiefe ist bei den Actionsequenzen deutlich spürbar und lässt einen die Action wirklich hautnah erleben. Zugleich kommt aber das Übliche 3D-Problem hinzu – das Bild wird stark verdunkelt. Raimis Spider-Man Filme waren schon echt farbefroh und hell gestaltet. Bei The Amazing Spider-Man sieht es schon (wohl dank Nolans Einfluss auf das Genre) etwas dunkler aus, aber auch nicht so dunkel, wie die 3D-Brille einen vermuten lässt. Dabei kann man das Problem eigentlich vorbeugen, wie James Cameron mit Avatar gezeigt hat, indem man das Bild vor vorneherein mehr aufhellt als nötig und so für den Ausgleich mit der Brille sorgt. So blieb das eigentlich schöne und immersive 3D-Erlebnis dadurch etwas getrübt.
Größere Probleme hat der Film allerdings bei Peters Verwandlung in einen Superhelden und dem Bösewicht des Films. Der erste Punkt gehörte noch zu der absoluten Stärke von Raimis Film und ist auch der einzige, in dem Webbs Vision deutlich abfällt. Es gibt hier einfach zu viele Inkonsistenzen. Man erlebt am Anfang (in einer Reihe von sehr amüsanten Szenen), wie Peter mit seinen neu-erworbenen Fähigkeiten nicht zurechtkommt. Seine unglaubliche Stärke führt dazu, dass er beim Zähneputzen (!) das Badezimmer demoliert. Wie er diese Kräfte je unter Kontrolle bekommt und nicht bei der ersten Umarmung mit Gwen ihr alle Knochen bricht, bleibt einfach im Dunkeln. Auch kann Peter anfangs die Haftungsfähigkeit seiner Hände nicht kontrollieren, erwirbt aber die Kontrolle darüber scheinbar automatisch. Die Entwicklung der Spinnennetz-Kanonen wird nur schnell überflogen und schon springt er von einem Wolkenkratzer und schwingt sich relativ mühelos sowie angst- und unfallfrei von Gebäude zu Gebäude. All diese Kritik mag pingelig erscheinen, doch wenn man bedenkt wie sehr diese Fähigkeiten ihm anfangs Unannehmlichkeiten im Film bereiten, kann man nicht ausblenden, dass Peter scheinbar nur einige Tage später diese vollständig unter Kontrolle hat.
Der Bösewicht ist ein weiteres Problem. Lizard war schon immer ein guter Bösewicht in den Comics, doch ist er meiner Meinung nach für eine filmische Umsetzung nicht gut geeignet. Ich will nicht sagen, dass die Produktion es mit dem Charakter vermasselt hat. Die Transformation ist beeindruckend und die Kämpfe mit Spider-Man sehr einfallsreich (verpasst nicht Stan Lees besten Gastauftritt überhaupt!), doch eine perfekt Englisch-sprechende Riesenechse sieht in dem Film einfach komisch aus. Die Bösewichte der ersten beiden Spider-Man Filme von Raimi waren auch (mehr oder weniger) Ergebnisse von Unfällen, wie auch Peter selbst, behielten aber ihre menschliche Form. Spider-Man gegen einen Mini-Dinosaurier kämpfen zu sehen funktioniert in den Comics ganz gut, in dem Film bleiben trotz makelloser technischer Ausführung gemischte Gefühle. Das erklärt vielleicht, warum Sam Raimi Connors in seinen Filmen zwar relativ schnell eingeführt hat, sich aber davor gescheut hat, ihn als Bösewicht ins Spiel zu bringen. Zum Glück ist Rhys Ifans eine sehr solide Besetzung als Connors, wobei seine Transformation von Gut zu Böse etwas zu schnell vonstattengeht. Da war Alfred Molinas „Mad Scientist“ Doc Ock schon besser ausgereift.
In Puncto Humor hat der Film zum Glück auch einiges zu bieten. Garfields Spider-Man ist gewitzter als Maguires und hat immer einen lustigen Spruch auf den Lippen. Garfields Interaktion mit Denis Leary als Gwens Vater und der Polizeichef, der Spider-Man jagt, ist ebenfalls amüsant, wobei sie trotzdem J.K. Simmons‘ cholerischen Jonah Jameson schmerzlich vermissen lässt – er war eines der Besetzungshighlights von Raimis Filmen, das kaum zu toppen ist. Man kann nur hoffen, dass man ihn in der unausweichliche Fortsetzung wieder ans Bord holt, wie schon Casino Royale trotz Bond-Neustart Judi Dench als M zurückgebracht hat.
Doch eins muss man Marc Webb und den Autoren dennoch lassen. Sie begnügen sich nicht einfach damit, die Geschichte von Peters Verwandlung in Spider-Man erneut zu erzählen (wobei einige Momente, wie z.B. das Ende direkt von Raimis Film inspiriert zu sein scheinen). Es wird eine richtige Mythologie entworfen mit direkter Aussicht auf ein Sequel. So wird dem Geheimnis um das Verschwinden von Peters Vater Raum eingeräumt und der Weg zum nächsten Film wird sorgfältig ausgelegt. Oscorp Industires kommt vor und der Name Norman Osborn (der Bösewicht von Raimis erstem Spider-Man) fällt oft, ohne dass man ihn sieht. Eine Sequenz nach der ersten Hälfte des Abspanns bildet einen großartigen Abschluss und eine hervorragende Einleitung zu dem nächsten Film. Es ist nicht ganz die Perfektion des Moments, in dem Jim Gordon Batman die Joker-Karte am Ende von Batman Begins gibt, doch sicherlich genug, um das Interesse der Zuschauer an dem nächsten Spider-Man Abenteuer zu schüren. Ob es wie The Dark Knight dem Vorgänger in jedem Punkt überlegen sein wird, bleibt abzuwarten und zu hoffen. Einen guten Start haben Webb und sein Team schon hingelegt.
Fazit
The Amazing Spider-Man ist ein temporeiches Actionabenteuer mit Humor und Herz, das die Fans der Comicvorlage zufriedenstellen sollte. Gegen Sam Raimis bombastische Einführung des Superhelden im rot-blauen Anzug kommt Marc Webbs Fassung dennoch nicht an.