The Autopsy of Jane Doe, GB/USA 2016 • 86 Min • Regie: André Øvredal • Drehbuch: Ian B. Goldberg, Richard Naing • Mit: Emile Hirsch, Brian Cox, Olwen Kelly, Ophelia Lovibond, Michael McElhatton • Kamera: Roman Osin • Musik: Danny Bensi, Saunder Jurriaans • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Universum Film • Heimkinostart: 20.10.2017 • Website
Ein kleiner Vorort in Virginia. Ein unauffälliges Haus. Ein schauriger Tatort mit fürchterlich entstellten Leichen. Dazu eine äußerlich unversehrte und unidentifizierte Frauenleiche im Keller. So beginnt André Øvredals („Troll Hunter“) überraschender Gruselschocker „The Autopsy of Jane Doe“.
In einem anderen Haus hat der Gerichtsmediziner Tommy (Brian Cox) seine Leichenhalle eingerichtet, in der er mit seinem Sohn und Assistenten Austin (Emile Hirsch) verschiedensten Todesursachen auf den Grund geht. Seit dem Tod von Tommys Frau und Austins Mutter umschließt das harmonische Duo ein noch engeres Band – auch wenn Austin insgeheim gern ein eigenes Leben mit seiner Freundin Emma (Ophelia Lovibond) aufbauen würde. Es ist bereits später Abend, als der örtliche Sheriff (Michael McElhatton) mit der unbekannten – als „Jane Doe“ bezeichneten – Leiche eintrifft und um eine rasche Aufklärung bittet. Das eingespielte Team macht sich sofort an die Arbeit und stößt bei der Untersuchung des jungen Körpers auf einige äußerst beunruhigende Ungereimtheiten …
„Jeder Mensch hat ein Geheimnis – manche verstecken ihres jedoch besser als andere“ – Mit diesem Motto drängt der Mentor Tommy seinen Schüler Austin dazu, bei dem präzisen Handwerk nicht sofort die offensichtlichste Antwort zu akzeptieren, sondern auf jedes noch so kleine Detail zu achten. Es ist ein Detektivspiel inmitten von menschlichen Überresten. Und so ist das beklemmende und atmosphärisch extrem dichte Schauderstück auch kein actionreiches Splatterfest, sondern ein sich langsam bedrohlich steigerndes Kammerspiel-Mysterium, das sich von den zunehmend ausgelutschten Genrewerken angenehm absetzt. Zu zarten Gemütern könnte sich infolge des unappetitlichen Szenarios dennoch empfindlich der Magen umdrehen. Der norwegische Newcomer-Regisseur Øvredal schafft es, auf engstem Raum und mit nur zwei aktiven Darstellern eine ungeheure Spannung zu erzeugen, die lediglich im Finale durch ein, zwei inszenatorische Missgriffe (u.a. einem ungeschickten CGI-Einsatz) leicht getrübt wird. „The Autopsy of Jane Doe“ ist tatsächlich anders, und was einen im Verlauf noch erwartet, sollte im Vorfeld selbstverständlich nicht verraten werden. Vielleicht nur ein Beispiel: Wie kann es sein, dass innere Organe schwere Schäden aufweisen, während die äußere Hülle gänzlich intakt erscheint? Mit Wissenschaft lässt sich dieser Fall offenbar nicht lösen.
Nicht erst seit Ole Bornedals „Nightwatch“ (1994) haben Leichenhallen im Kino eine unangenehme und morbide Wirkung. Im Gegensatz zu dem dänischen Thriller verzichtet Øvredal auf ein allzu steriles Setting und verlagert den Ort des Geschehens von einem öffentlichen Krankenhaus in den Keller eines Familienbesitzes. In dem intimen Ambiente arbeiten Tommy und Austin schließlich nicht nur, auch ihre gemeinsame Vergangenheit und ihre Erinnerungen sind dort verankert, wie diverse Fotos dokumentieren. Das Grauen entfaltet sich also nicht bloß vor den beiden Protagonisten – es nimmt die vertraute Umgebung ein und verwandelt sie in eine teuflische Falle. In gewisser Weise vermittelt der Film bereits von Beginn an ein Gefühl des Unheils, indem er Leben und Tod unter einem Dach vereint zeigt.
Brian Cox und Emile Hirsch sind als sympathisches Vater-Sohn-Gespann perfekt besetzt. Man nimmt den Darstellern ihre enge Verbindung direkt ab, weshalb eine Identifikation mit den Zuschauern und die Involvierung in die folgenden dramatischen Ereignisse vortrefflich gelingt. Auch wenn man das Damoklesschwert über ihnen bereits schwingen sieht, hofft man, dass sie dem letztlich entfesselten Grauen entkommen können. Wo wir bei einem weiteren Charakter wären, der zwar ausschließlich passiv in Erscheinung tritt, aber dennoch die gesamte Faszination auf sich zu ziehen vermag: Die mysteriöse Leiche auf dem Tisch spricht oder bewegt sich natürlich nicht, doch auf eigenwillige Weise strahlt Jane Doe mehr Unbehagen aus, als manch blutrünstiger Leinwand-Wüstling in jüngster Zeit. Auch wenn Olwen Kelly dieser hier lediglich ihre attraktive Oberfläche leiht, wird sich ihr Bild nachhaltig ins Gedächtnis von Genre-Fans einbrennen. In weiser Voraussicht hat man sich übrigens gleich die Tür für eine potentielle Fortsetzung offen gelassen.
Für Kenner und Tüftler mag das Rätsel um Jane Doe vielleicht etwas früher gelüftet sein, als für gelegentliche Kinogänger – einem nervenzerrenden Kinoabend tut dieser mögliche Umstand jedoch keinen Abbruch. Hier kommt ein Body-Horror, der seiner Bezeichnung alle Ehre macht und das Zeug zum Kultfilm hat.
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