The Grey, USA 2011 • 117 Min • Regie: Joe Carnahan • Drehbuch: Joe Carnahan, Ian MacKenzie Jeffers • Mit: Liam Neeson, Frank Grillo, Dermot Mulroney, Joe Anderson, Nonso Anozie • FSK: ab 16 Jahren • Kinostart: 12. April 2012
Inhalt
John Ottway (Liam Neeson), ein gebrochener, vom Leben gezeichneter Mann, der den Tod seiner Frau nicht verwunden hat, wird von einem Ölunternehmen in Alaska angestellt, um die Raffineriearbeiter vor den Gefahren der arktischen Wildnis zu schützen. Er und die Crew befinden sich nach einem Schichtwechsel auf dem Rückflug in die Heimat Kanada, als ihre Maschine in heftige Turbulenzen gerät und inmitten der abgelegenen Wildnis abstürzt. Arktische Kälte und heftige Blizzards empfangen die wenigen Überlebenden, der Nahrungsvorrat ist knapp, der Kommunikationsweg getrennt. Die Aussicht, in dem entlegenen Gebiet von Suchtrupps gefunden zu werden, ist verschwindend gering. Doch die größte Gefahr lauert ganz woanders: die acht Überlebenden sehen sich an der Absturzstelle einem Rudel blutrünstiger Wölfe ausgesetzt. Angeführt von ihrem Experten Ottway, versuchen sich die Männer bis in die Wälder durchzuschlagen, um dem Jagdrevier der Wölfe zu entrinnen. Ein eisiger, blutiger Horrortrip nimmt seinen Lauf…
Kritik
Nach Smokin‘ Aces und Das A-Team kehrt Joe Carnahan für The Grey dem cineastischen Blockbuster-Nonsens den Rücken und setzt wieder da an, wo er vor zehn Jahren mit dem harten, schonungslosen Cop-Thriller Narc seinen Weg nach Hollywood geebnet hat. The Grey ist genau das: hart und schonungslos. Doch eine Prise der von Carnahan über die Jahre aufgesogenen, Hollywood-eigenen Naturgesetze gehen auch an The Grey nicht vorüber: Dessen Wölfe würden einer wissenschaftlichen Betrachtung wohl keine Sekunde standhalten und erinnern viel eher an eine durch den bösen Nemesis-Virus genetisch mutierte und infolgedessen besonders aggressive Art. Kevin Costners charmanter Wolf Socke (Der mit dem Wolf tanzt) würde wohl im Angesicht dieses völlig verzerrten Bildes seiner Artgenossen einen heftigen Heulkrampf bekommen.
Der Film beginnt mit einem Paukenschlag: John Ottway, eine arme, verzweifelte Seele, hält sich die Mündung seiner Schrotflinte an den Gaumen. Das Heulen der Wölfe aus weiter Ferne jedoch ist es, was ihn von seinem selbstmörderischen Plan abhält. Warum und wieso es das tut, bleibt zunächst im Verborgenen. Das Schicksal hat ihm ein Schnippchen geschlagen. Oder war es doch Vater Zufall? Die metaphorische Sprache in The Grey lässt viel Raum für Interpretationen zu. Dazu später mehr. Auf diese Szene folgt ein wuchtig inszenierter Flugzeugabsturz: Es schüttelt und rüttelt im Inneren des Rumpfes, unser Protagonist versucht händeringend seinen Gurt zu schließen und nach einer Atemmaske zu fassen, ehe er das Bewusstsein verliert. Blechteile lösen sich vom Rumpf, die Strömung reißt alles um, was nicht niet- und nagelfest sitzt, entsetzendes Schreien hallt aus allen Winkeln – die Verzweiflung ist förmlich greifbar.
Kaum auf dem eisigen Boden bruchgelandet, geht der Überlebenskampf für die Verbliebenen, unter ihnen John Ottway, in die nächste Runde: eine Horde mordslustiger Wölfe heißt die ungeladenen Gäste willkommen. Ein rasantes, kompromissloses Survival-Drama in freier Wildbahn nimmt seinen Lauf, aber nicht, ohne dabei metertief in die Horror-Klischee-Kiste zu greifen. Nach bekanntem Genre-Muster wird die Truppe auf ihrem Weg zurück in die Zivilisation nach und nach dezimiert. Obwohl Carnahan fest beteuert, dass er „alles wollte, nur kein B-Movie, in dem einer nach dem anderen von Wölfen gefressen wird“, sind es gerade die blassen Charaktere, ausgenommen Ottway, die diesen ungewünschten Eindruck erwecken. Die banale Charakterzeichnung versperrt den Zugang zu den Figuren und lässt sie trivial und entbehrlich wirken. Schwülstige Nähkästchen-Geschichten bei knisternder Lagerfeuerromantik zeigen sich zwar bemüht, den stereotypen Figuren Leben einzuprügeln, können das Ruder aber nicht mehr entscheidend herumreißen. Nur der Bad Guy in der Truppe, John Diaz (Frank Grillo), ein rauer Ex-Sträfling, dem Moral und Regeln ein Fremdwort sind, kann mit markigen Sprüchen ein wenig aus Ottways großen Schatten heraustreten.
Durch den inneren Monolog von Ottway schwingt im Film fortwährend ein gewisser philosophischer Touch mit, und je tiefer die Männer in den Wald vordringen, mit dem Gedanken an den eigenen Tod konfrontiert, desto stärker fällt ihr Blick auf sich selbst, ihre Familien und ihren Glauben zurück. Der Ton erfährt schlagartig eine düstere, melancholische Note, wenn Ottway über Glaube und Schicksal spricht, und es scheint fast so, als spiele Liam Neeson die Rolle des tragischen Helden nicht einfach nur – er verschmilzt mit ihr. Seine persönliche Tragödie weist unweigerliche Parallelen zu der Situation seines fiktiven Tragik-Helden auf. Neesons Figur verlebt dabei einen sehr intensiven Wandel hin zum lebensbejahenden Wesen – Ottways Todessehnsucht, die ihn beinahe in den Suizid trieb, ist längst dem menschlichen Überlebensinstinkt gewichen, seit er sein Schicksal nicht mehr in der eigenen Hand wähnt. Ottway will wieder Herr über sein Leben werden und findet als Schutzpatron seiner Gruppe einen neuen Lebensinhalt. Wie sein Schicksal und das der anderen ausgeht, wird nicht verraten, aber bevor ihr mit Einsetzen der Credits aus dem Kinosaal stürmt, sei noch auf eine kurze, aber aufschlussreiche Szene nach dem Abspann verwiesen. Also schön sitzen geblieben!
Wer mit falschen Erwartungen an den Film herangeht, könnte unter Umständen enttäuscht werden, denn anders als der Trailer es suggeriert, sind die Actionmomente nach einem furiosen Auftakt nur sehr spärlich gesät. Die Wolfsangriffe wurden überaus hektisch inszeniert mit schnellem Schnitt, Wackelkamera und Close-ups, die dem Zuschauer jede erdenkliche Übersicht nehmen. Was Carnahan zu Folge ein geeignetes Stilmittel darstellt, dürfte in Wahrheit wohl eher dem schlanken 25-Mio US-Dollar Budget geschuldet sein. Dessen ungeachtet, sehen die Wölfe in ihren „Cameos“ aber sehr respektabel aus. Ein Verdienst von dem Oscar-prämierten Special-Effects-Vetaranen John Nicotero (Die Chroniken von Narnia) und seinem Kollegen James Paradis, die mit mechanischen Modellen, dressierten Wölfen und CGI ganze Arbeit geleistet haben.
Der größte Trumpf des Films ist es, trotz Stereotype und Längen, eine spannungsgeladene Atmosphäre zu etablieren, die sich das hektische Treiben zu Nutzen macht: Der Zuschauer wird die Wölfe immer spüren, aber nur selten sehen. Durch das Wolfsgeheule im Off-Screen, den scharf-leuchtend grünen Augen bei finsterer Nacht und blutdurchtränkten Spuren im Schnee wird ihm ehrfurchtsvoll ins Gedächtnis gerufen, wer der Chef in der Manege ist. Der Jäger wird plötzlich zum Gejagten. Ottway, der symbolisch für den Jäger steht, erfährt nun die fürchterliche Rache der Wölfe, die ihn und seine Begleiter gnadenlos durch die Wälder treiben – bevorzugt im Dunkeln, um den Überraschungsmoment auszuspielen. Bei grellem Tageslicht hingegen kracht eine wahre Bilderwucht aus atemberaubenden Naturpanoramen auf einen nieder, die sich von schneeüberdeckten Bergen, zugeschneiten Baumkronen, kristallklaren Flüssen bis hin zu reißenden Schluchten erstrecken. Ein herrliches Portrait von Alaska für alle Naturromantiker.
Fazit
Ein mörderisch spannend inszenierter Überlebenskampf in der unerbittlichen Wildnis Alaskas. Liam Neesons kraftvolles Spiel und herrschaftliche Naturpanoramen können sich erfolgreich gegen böse Klischees und Stereotype behaupten. Wer auf Hollywood-Krach verzichten kann und Abenteuer liebt, der ist hier genau richtig.
Original von movie-infos.net/Winnfield
Trailer
https://youtu.be/EH5y9Xau9GM