The Hateful Eight, USA 2015 • 168 Min/187 Min (Roadshow) • Regie & Drehbuch: Quentin Tarantino • Mit: Samuel L. Jackson, Kurt Russell, Jennifer Jason Leigh, Walton Goggins, Tim Roth, Demián Bichir, Michael Madsen, Bruce Dern • Kamera: Robert Richardson • Musik: Ennio Morricone • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Universum Film • Kinostart: 28.01.2016 • Deutsche Website
„The Hateful 8“ ist nach dem überaus erfolgreichen „Django Unchained“ Quentin Tarantinos zweite Regiearbeit, die sich zunächst dem Westerngenre zuordnen lässt. Doch das aktuelle Werk des zweifachen Drehbuch-Oscarpreisträgers schreitet – wie alle Filme Tarantinos zuvor – bewusst über eine steife Kategorisierung hinweg und entwickelt sich bereits nach kurzer Spielzeit zu einem kammerspielartigen Mysterium, in welchem die Zuschauer (wie auch die meisten Charaktere) über den späteren Verlauf im Dunkeln tappen. Die klaustrophobisch-paranoide Stimmung hat sich der Regisseur bei John Carpenters Horrorklassiker „Das Ding aus einer anderen Welt“ (aus dessen Soundtrack einige unverwendete Klänge zum Einsatz kommen) abgeschaut, während der mit makabrem Humor unterfütterte, clevere Spannungsaufbau sogar Assoziationen mit Suspensegroßmeister Alfred Hitchcock erlaubt. Etwas an dieser Geschichte stimmt nicht, und das Publikum darf sich hier gleich auf acht finstere Figuren einlassen, die allesamt ordentlich Dreck am Stecken haben könnten.
Nach Ende des amerikanischen Bürgerkrieges will der Kopfgeldjäger John Ruth (Kurt Russell) die Gesetzlose Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh) dem Galgen von Red Rock zuführen. Verloren in einem schlimmen Schneesturm, suchen die beiden schließlich Schutz in einem abgelegenen Gasthaus – umgeben von sechs weiteren Gestalten. Wie etwa Ruths Berufskollegen Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson) und dem zweifelhaften Sheriff Chris Mannix (Walton Goggins), die sich bereits vor ihrer Ankunft knurrig beschnüffelt haben. Doch auch die übrigen Individuen im Inneren der Hütte hinterlassen vorerst keinen vertrauenswürdigen Eindruck. Am geselligsten gibt sich noch der Henker Oswaldo Mobray (Tim Roth), während die wortkargen Joe Gage (Michael Madsen) und Bob (Demian Bichir) erst einmal kritisch unter die Lupe genommen werden müssen. Von dem General Sandy Smithers (Bruce Dern), der bald folgenschwer an den Major gerät, ganz zu schweigen. Und dann wäre da noch dieser fürchterliche Kaffee …
Quentin Tarantino reift mit jedem seiner Filme spürbar, und vor allem als Schreiber hat er mit „The Hateful 8“ ein wahres Prachtstück vorgelegt. Die gewohnt markanten Dialoge werden in der ätzend-beklemmenden Atmosphäre genüsslich langsam ausgespielt – wie Karten an einem Pokertisch, unter welchem bedrohlich eine Bombe tickt. Das Szenario erinnert an die Eröffnungsszene aus „Inglourious Basterds“ (2009), in welcher der von Christoph Waltz verkörperte „Judenjäger“ Hans Landa sein Gegenüber nur scheinbar befragt und ihm in Wahrheit auf perfide Weise ein Geständnis abverlangt. Nur dass „The Hateful 8“ ein solches Spiel auf knapp drei Stunden ausdehnt und erst in seiner zweiten Hälfte die Vorhänge deutlich lüftet, wenn Tarantino als allwissender Erzähler höchstselbst aus dem Off zu hören ist.
Auch hier wird das Geschehen in verschiedene Kapitel unterteilt, doch im Gegensatz zu Vorgängern wie „Reservoir Dogs“, „Pulp Fiction“ oder „Kill Bill“ wechseln Setting und Zeit hier nur selten. Die eingeführten acht Charaktere bilden einen Mikrokosmos, in dem jeder ein rein egoistisches Ziel zu verfolgen scheint. Wird letztlich ein Kampf um das Kopfgeld entflammen oder geht es um mehr? Und weshalb nimmt die Verurteilte ihr elendes Schicksal so auffallend gelassen hin? Die Auflösung erwischt Filmkenner zwar sicher nicht so überraschend wie ein Güterzug, doch das sehr blutige Finale ist mit spürbar diabolischer Freude vorbereitet worden. „The Hateful 8“ und seine Figuren machen Spaß – auch wenn sich besonders während einer quälenden Szene den Zuschauern buchstäblich der Hals zuschnüren dürfte. Dieser Stoff hätte ebensogut auf einer Theaterbühne umgesetzt werden können, und in der Tat hatte dessen Schöpfer nach einer illegalen Veröffentlichung des Skripts im Internet die Filmpläne vorerst auf Eis gelegt und die Geschichte mit seinem Cast im United Artists Theater in Los Angeles öffentlich vorgetragen.
Glücklich über die nun entstandene Kinoumsetzung kann man schon allein deshalb sein, da Tarantino nicht nur ein Meister des geschriebenen Wortes und des Umgangs mit seinen stets sorgfältig ausgewählten Darstellern ist, sondern auch ein extrem sicheres Auge für die Kameraarbeit besitzt. Auch wenn der bei „Death Proof“ schon selbst als DP tätig gewordene Auteur das Zepter hier abermals Oscarpreisträger Robert Richardson („Hugo Cabret“) überlassen hat, trägt „The Hateful 8“ visuell unverkennbar seine Handschrift. Aber dieses Werk hält außerdem ein besonderes Schmankerl für Kinogourmets bereit: Abgedreht im überwältigenden Ultra-Panavision-70-Millimeter-Verfahren, serviert Tarantino nach anfänglichen, atemberaubenden Panoramaaufnahmen ein intimes Ereignis im breitesten Format. Es geht hier nicht um ein lautes oder flinkes Spektakel, sondern darum, dem brillanten Cast einen weiten Raum zu bieten, in dem er auch ohne hastige Schnitte gemeinsam interagieren kann. Da bleibt auch Zeit, Details am Bildrand oder im Hintergrund genauer zu studieren.
Ein weiteres Novum stellt der Originalsoundtrack aus der Feder der italienischen Legende Ennio Morricone (u.a. Sergio Leones Dollar-Trilogie) dar. Zwar hat Tarantino bereits bei „Kill Bill“ mit Wu Tang Clan-Mastermind RZA zusammengearbeitet, doch diese Kooperation verleiht dem Projekt einen echten Ritterschlag. Wer nun allerdings einen klassischen Westernscore erwartet, sieht – oder besser: hört – sich getäuscht. Die Klänge bleiben vermehrt Low Key und unterstreichen damit perfekt die angespannte Stimmung auf der Leinwand. Dazu gibt es noch den David Hess-Song „Now You’re All Alone“ aus Wes Cravens „Das letzte Haus links“ (1972) auf die Ohren. Selbstverständlich während einer nicht gerade harmonischen Szene.
Ich bin mir nicht sicher, welchen Platz „The Hateful 8“ eines Tages im beachtlichen Œuvre Quentin Tarantinos einnehmen wird. Ob er zukünftig gar als sein großes Meisterwerk gehandelt werden könnte. Mich zumindest haben die schleichende Spannung, die messerscharfen Dialoge, die liebevoll gestalteten Figuren und die präzise Inszenierung nachhaltig überzeugt. Ich freue mich bereits auf eine zweite Sichtung, die mit Sicherheit noch weitere Details offenbart.
(Bildmaterial: © Universum Film)
Wer übrigens die von den Machern favorisierte, analoge 70mm-Fassung auch hierzulande genießen möchte, kann dies nach Start in den folgenden Kinos tun:
• Zoo Palast, Berlin
• Savoy Filmtheater, Hamburg
• Lichtburg, Essen
• Schauburg, Karlsruhe
Die dort präsentierte Roadshow ist mit 187 Minuten länger und beinhaltet, ganz im Geiste großer Filmklassiker, eine Ouvertüre und eine Intermission.
Trailer
[…] Filmfutter – 4,5/5 […]