Chiisai ouchi, JP 2014 • 136 Min • Regie: Yôji Yamada • Mit: Satoshi Tsumabuki, Haru Kuroki, Chieko Baishô, Takako Matsu, Isao Hashizume • FSK: n. n. b. • Kinostart: n. n. b. • Japanische Website
„So ist Tante Taki also allein gestorben.“, bemerkt ein entfremdeter Verwandter über das stille Hausmädchen, dessen Geschichte Yôji Yamada in seinem melancholischen Zeitporträt entfaltet. Das einfühlsame Historien- und Sittengemälde beginnt mit Rauch, der aus einem Schornstein steigt. Es ist nicht der Kamin des titelgebenden Hauses, sondern eines Krematoriums. Hier endet Takis Geschichte und hier beginnt sie zugleich mit den Erinnerungen ihres Großneffen. Eine zärtliche, fast sentimentale Szenerie, wie der japanische Regisseur sie gern anwendet, um von schmerzlichen Wahrheiten zu erzählen. So einsam wie ihr Tod war das Leben der alten Frau (Chieko Baishô), die ermutigt von ihrem Großneffen Takeshi (Satoshi Tsumabuki) ihre Memoiren niederschreibt. Bereits vor vier Jahren setzte Yamada auf der Berlinale in seiner bittersüßen Familiengeschichte Ototo – About Her Brother dezente Zwischentöne, die auf eine unstatthafte Liebe hindeuteten. Mit ebenso viel Feingefühl zeichnet der Altmeister des japanischen Kinos das Porträt einer Familie, deren Zusammenhalt nicht durch konforme Beziehungsstrukturen, sondern geheime Zuneigung erhalten bleibt. Am stärksten und besonders im Fall der zurückgezogenen Hauptfigur auf tragische Weise unlösbar sind gerade die Bande, die gesellschaftlich verpönt sind.
Unter dem roten Giebeldach des kleinen Hauses befindet sich keineswegs das sentimentale Ideal, das die idyllische Lage und die behagliche Einrichtung zu repräsentieren scheinen. Im Gegenteil wird es in seiner unwirklichen Vollkommenheit zur Allegorie für die Dissonanzen, die hinter äußerem Einklang verborgen werden. Die optische Perfektion, von Yamada durch stilistische Zitate der großen Melodramen seines Landeskinos subtil überspitzt, entspringt zum Teil nur Takis Wunschdenken. Dies macht die einsame Dame, die so gesetzt und reell auftritt, zu einer unzuverlässigen Erzählerin. So muss man die eigenen Vorstellungen, die sich unwillkürlich an die hübsche Filmwelt knüpfen, genau wie Takeshi immer wieder mit der harschen historischen Realität abgleichen. Mitte der 30er kommt die junge Taki (Haru Kuroki) nach einem Dienstjahr bei einem lebenserfahrenen Schriftsteller (Isao Hashizume) vom Land nach Tokyo, um dort in der Vorstadt im „Kleinen Haus“ der Romanvorlage Kyoko Nakajimas zu arbeiten. Der Spielzeugfabrikant Mr. Hirai (Takataro Kataoka) und seine elegante Gattin Tokiko (Takako Matsu) empfangen das unbedarfte Hausmädchen warmherzig und behandeln sie bald fast wie ein Mitglied der Familie.
Allerdings ein stets dienstbares und unterwürfiges Mitglied, dem kein Weg zu weit und keine Last zu schwer ist für die Herrschaften. Dies zeigt Yamada bildhaft während der Zeit, die Taki Tokikos kranken Sohn Kyoichi tagtäglich zum weit entfernten Arzt trägt. Am innigsten gilt ihre Zuneigung der selbst noch jungen Hausherrin, die sie gleichermaßen mit ihrer Feinfühligkeit und Schönheit beeindruckt. Bezaubert ist auch der kultivierte Mr. Itakura (Hidetaka Yoshioka), der für Tokikos Ehemann arbeitet und ihr Interesse für Musik und Malerei teilt und rasch zum Freund der Familie und gerngesehenen Gast wird. Der heraufziehende Krieg und die Zwänge der Konvention werfen jedoch bald einen tragischen Schatten auf Takis vermeintlich sonniges Dienstbotendasein. In die Alltagspflichten, die sie bisher voll Hingabe erfüllt, schleicht sich unterdrückte Eifersucht: nicht auf ihre Herrin, sondern Mr. Itakura, der eine heimliche Liaison mit Takiko beginnt. Schien die Moderne, die von der gemessen am Standard der Zeit selbstbewussten und freigeistigen Takiko vertreten wird, eben nur einen Wimpernschlag entfernt, zeigt sich unter Repressalien, Rationierung und Patriotismus die reaktionäre Gesinnung der bürgerlichen Mittelschicht.
Die hochemotionalen Nuancen, mit denen Yamada die Rückblende akzentuiert, fungieren zugleich als Karikatur und Kritik eines verklärten Blicks auf die Vergangenheit, hinter dessen Nostalgie sich stumm verdrängter Schmerz verbirgt.
Fazit
Der feine satirische Unterton unterminiert die Sentimentalität der historischen Miniaturen wie aus einem Modellbaukasten von Mr. Hirais Spielzeugfirma. Zwischen Theatralik und Realismus schaffen zauberhafte Bilder eine bittersüße Hommage an Japans Kino-Ikone Ozu – und einen über so viele Beiträge herausragenden Abschlussfilm.
Japanischer Trailer
https://youtu.be/BqZyqxXnkY4
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