The Neon Demon, USA/F/DK 2016 • 117 Min • Regie: Nicolas Winding Refn • Drehbuch: Nicolas Winding Refn, Mary Laws, Polly Stenham • Mit: Elle Fanning, Karl Glusman, Jena Malone, Bella Heathcote, Abbey Lee, Keanu Reeves, Christina Hendricks, Desmond Harrington • Kamera: Natasha Braier • Musik: Cliff Martinez • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Koch Media • Kinostart: 23.06.2016 • Facebook-Seite
Eigentlich hat man es ja schon immer geahnt: Das Grauen in der Welt kommt aus den Modemagazinen. Und während Heidi Klum das hiesige Fernsehpublikum mit "Germany’s Next Topmodel" terrorisiert, schickt sich Nicolas Winding Refn mit seinem ersten Horrorfilm „The Neon Demon“ an, die Ängste vor zickigen Laufsteg-Häschen noch weiter zu provozieren. So wirklich aufgehen will dem „Drive“-Regisseur sein Projekt jedoch leider nicht. Glatt und oberflächlich sind nicht nur seine Pro- oder Antagonistinnen ausgearbeitet, auch die schicke Werbeästhetik ertränkt die wohl angedachte, schmerzende Milieu-Satire gnadenlos in klebrigem Glitzer und Flutlicht. Es mangelt an Biss, Energie und Aggression. Da schwadronieren die narzisstischen Charaktere im gefühlten Minutentakt über die Bedeutung von Schönheit und man fragt sich irgendwann: Haben diese Leute eigentlich noch andere Probleme? Beziehungsweise: Wen interessiert es überhaupt?
Ohne besonderes Talent und lediglich mit einem attraktiven Äußeren gesegnet – so betrachtet sich die blutjunge Jesse (blass: Elle Fanning), die den Einstieg in die Modelwelt von L.A. schaffen will, selbst. Bis sie schließlich die Makeup-Stylistin Ruby (Jena Malone) kennenlernt, die sie in die Szene einführt und mit ihrer Clique bekannt macht. Neid wird geschürt, denn während der Neuen der Start aus dem Sprung gelingt, zieht beispielsweise die verbitterte Sarah (Abbey Lee) beim Casting den Kürzeren. Gemäß dem Motto "Rache ist Blutwurst" werden solche Konflikte um die Schneewittchen-Frage nicht bei einer gemeinsamen Shopping-Tour gelöst, sondern gehen richtig ans Eingemachte. Außerdem gibt es da noch die Agentin Jan (Christina Hendricks), die mit Nachdruck darauf besteht, dass die minderjährige Newcomerin sich stets als Neunzehnjährige ausgibt, einen rumfummelnden Fotografen (verwegen: Desmond Harrington) sowie einen zwielichtigen Motel-Besitzer (unrasiert: Keanu Reeves) mit wenig Verständnis für seine Gäste. Die Lage für Jesse stellt sich im weiteren Verlauf als deutlich unkomfortabel heraus …
Es ist schon interessant zu beobachten, mit welcher Beharrlichkeit Nicolas Winding Refn sein Renomee, das er spätestens seit seinem Regie-Sieg in Cannes 2011 genießt, sabotiert: Auf den Kritiker-Liebling „Drive“ folgte mit dem bildstarken „Only God Forgives“ (2013) ein Werk, welches man wohlwollend als selbstverliebte, ultraprätentiöse Grütze bezeichnen konnte. Auch wenn sich diese Beschreibung bereits auf dessen, ähm, spezielles Wikinger-Abenteuer „Walhalla Rising“ (2009) anwenden ließ, scheint es der Däne inzwischen immer mehr zu genießen, sein Publikum mit allerhand kruden Ideen und einer sperrigen Montage absichtlich vor den Kopf zu stoßen. In Anbetracht von „The Neon Demon“ ist der Gedanke an eine unheilige Allianz von Neo-Exploitologen Eli Roth mit Skandal-Papst Lars von Trier nicht zu weit hergeholt. Das Resultat ist ein sich leider noch zu ernst nehmendes Stück Trash, das vermutlich von einigen als Kunst tituliert wird, nur weil die Gestaltung edler anmutet als die grenzwertigen Auswüchse eines Joe D’Amato („Buio Omega“).
Vampirismus, Kannibalismus, Nekrophilie und die Legende um die „Blutgräfin“ Elisabeth Báthory fährt Winding Refn auf, um am Ende der Gier nach ewiger körperlicher Jugend Ausdruck zu verleihen. Nur die Qualität der Hülle zählt. So auch beim Film selbst, der sich etwa eine Stunde lang in Style-over-Substance-Eskapaden mit unerträglichen Dialogen wälzt, um dann in der zweiten Hälfte (die Spielzeit ist eindeutig zu lang geraten) aus dem Ruder zu laufen und sich in morbiden Fantasien – nun ja – zu baden. Auch wenn sich der Regisseur und Co-Autor, wie beim Vorgänger, gelegentlich in elendig langen Einstellungen verliert und außer dem reichlich belanglosen Blick auf den Schönheitskult wenig bis nichts zu erzählen hat, ist „The Neon Demon“ ein unterhaltsameres Output als der äußerst zähe „Only God Forgives“ geworden. Wenn das Geheimnis letztlich jedoch gelüftet ist, werden sicherlich viele Zuschauer ernüchtert auf das Werk zurückblicken: Mehr als einen Sturm im Wasserglas, der sich obendrein grundlos mysteriös aufbauscht, bekommt man hier nämlich nicht geboten.
Hätte sich NWR (die Initialen Winding Refns werden beim wirklich eleganten Vorspann direkt als Branding abgebildet), abgesehen von zwei indiskutabel grotesken Szenen, mehr getraut, hätte aus „The Neon Demon“ zumindest eine wahrhaft wilde filmische Obskurität werden können. Zu zahm und sauber für echten Horror, zu pervers und hohl für anspruchsvolle Kinogänger, wird es diese enttäuschend wenig spannende oder involvierende Genrearbeit nicht gerade leicht an den Kassen haben. Aber auch das dürfte aktuell wohl zum (Anti-)Konzept des Regisseurs gehören.
Trailer
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