Nicolas Winding Refns ohne Zweifel bildgewaltige Horrorarbeit „The Neon Demon“ spaltete jüngst in Cannes und bei Pressevorführungen das Publikum: Große Filmkunst für die einen, stylischer Trash für die anderen (mich eingeschlossen). Da bei solch polarisierenden Werken die unterschiedlichen Lager auch gern in Streit ausbrechen, ob das Resultat überhaupt „korrekt“ rezipiert worden ist, möchte ich mich gern noch einmal in diesem Artikel mit dem Inhalt des Films auseinandersetzen und mir die Szenen vorknöpfen, die ich als Eckpunkte erachte. Selbstverständlich enthält dieser Text massive Spoiler, die nicht in die Kritik einfließen sollten, und lediglich meine persönliche Interpretation des Sinns (oder Unsinns) hinter den Bildern. Denn wie heisst es so schön: Objektiv gibt´s im Fotoladen. Es darf also diskutiert werden!
„The Neon Demon“ beginnt mit der anfangs reichlich schüchternen Jesse (Elle Fanning), die in der ersten Einstellung mit durchschnittener Kehle auf einer Couch liegt – ein Fotoshooting, wie sich schnell herausstellt. Aber eines, das zugleich einen Blick auf den Ausgang der Geschichte gewährt: Das Model wird sterben, in der Blüte ihrer jugendlichen Schönheit.
Die minderjährige Vollwaise residiert in einem heruntergekommenen Motel in L.A., welches von einem abstoßenden Manager (Keanu Reeves), der sich später als gewaltbereiter Triebtäter entpuppt, geführt wird. Diese Darstellung, wie auch beispielsweise die eines klebrigen Fotografen (Desmond Harrington) und einer unmoralischen Modelagentin (Christina Hendricks), zeichnet ein Bild von der Stadt der Engel, das einer Hölle gleicht. Das kennt man allerdings u.a. schon aus den David Lynch-Filmen „Mulholland Drive“ und „Inland Empire“ oder „Barton Fink“ von den Coens – in diesen Fällen ungleich bissiger und einprägsamer.
Wir haben also Jesse in der Unterwelt. Das Mädchen glaubt nicht daran, ein Talent zu besitzen, sondern muss sich anscheinend mit ihrem Äußeren – ihrem einzigen Kapital – durchschlagen. Ihr gelingt der Einstieg in die Branche aus dem Stand. Ganz zum Leidwesen ihrer neuen Freundin und Kollegin Sarah (Abbey Lee), die beim Casting eine böse Absage erhielt. „Schönheit ist alles“, das meint nicht nur ein hartherziger Mode-Designer (Alessandro Nivola) – auch die Clique um Sarah, Gigi (Bella Heathcote) und Ruby (Jena Malone) verehrt das Körperliche so sehr, dass sie letztlich das Blut und Fleisch vom Objekt der Begierde (Jesse) verspeist und dadurch die Macht der Schönheit in sich aufzunehmen versucht. Als ein Ausdruck der reinen Lust an attraktiven Hüllen (der Charakter zählt nicht) vergeht sich die lesbische Ruby im Verlauf gar sexuell an einer frischen Leiche.
Bevor Jesse ihr grausames Ende findet, macht sie (etwa in der Mitte des Films) eine Verwandlung durch: Während ihres ersten Auftritts schreitet sie auf einen in Neonfarben erleuchteten Spiegel zu, welchen sie zu liebkosen beginnt – oder besser: Ihr Spiegelbild. Etwas (nennen wir es Narziss oder den Neon Demon) ergreift scheinbar Besitz von ihr, so dass sie später in neuer Selbstherrlichkeit gar ihrem treuen Freund Dean (Karl Glusman) die harte Kante zeigt, nur weil dieser sich nicht dem allgemeinen Beauty-Wahn anschließen will.
Nun ist Jesse nicht nur wie alle anderen – sie ist besser und perfekter als alle anderen! Und sie nimmt sich selbst auch so wahr. Das erklärt zwar nicht, warum ihre verstorbene Mutter sie angeblich als „Gefahr“ bezeichnet hat (möglicherweise hat der Neon Demon schon immer in ihr geschlummert, doch woher hätte das ein Außenstehender wissen sollen?) oder weshalb eine Raubkatze ihr verkommenes Motelzimmer verwüstet (ein solches ausgestopftes Exemplar sieht man schließlich auch in Rubys Haus – vielleicht wollte Winding Refn hier nur „Katzenmenschen“ zitieren und/oder die biestigen Models mit diesen Tieren gleichsetzen), aber ihre in Wahrheit gar nicht freundlich gesinnten Freundinnen wollen nun das in sich tragen, was Jesse herausragen lässt. Nach der (Off-Screen-)Schlachtung wird Jesses Leib verspeist und in ihrem Blut buchstäblich gebadet (siehe „Blutgräfin“ Báthory). Dumm nur für die Mädels, dass der Dämon (oder was auch immer) scheinbar nicht jeden Körper akzeptiert und aus Ruby und Gigi von innen heraus Kleinholz macht. Lediglich Sarah wagt es in der Endszene, nachdem ihre Kannibalen-Crew bereits hinüber ist, ein ausgebrochenes Auge Jesses neben Gigis Leiche zu verschlingen.
Ob die auch mörderische Kraft sie als einzige verschont, lässt der Regisseur offen. Er schließt „The Neon Demon“ mit der Rückaufnahme einer jungen Frau (Jesse), die auf eine idyllische Wüstenlandschaft blickt – das Paradies erwartet sie nach der gezeigten Großstadthölle.
Ohne Zweifel hat Nicolas Winding Refns Horrorsatire auch einen gewissen Inhalt zu bieten. Ich behaupte trotzdem, dass diese sich nur geheimnisvoll gebende und in der ersten Hälfte weitgehend nichtssagende Arbeit ohne ihre sehr abgehackte Montage, weniger überschießenden Stil und mit mehr Mut zu den Exploitation-Wurzeln auch als weiterer „Geschichten aus der Gruft“-Spielfilm hätte durchgehen können (da wäre Potential für eine Mordsgaudi gewesen). Sie setzt die Oberflächlichkeit von Models mit Puppen und – im extremsten Fall – sogar mit toten Körpern gleich und führt das Etwas, das aus einer „gewöhnlichen“ Schönheit einen Star macht, als eine Art bösen Geist ein. Ist nett, aber sicher nicht sonderlich genial. Und die Moral, dass man sich nicht ungestraft alles einverleiben darf, was einem nicht gehört, hätte auch der Crypt Keeper zum Schluss verkünden können. Man ist halt nicht immer, was man isst …
Was sind eure Gedanken zu „The Neon Demon“?
Trailer
Titelbild © The Glitchway