The Visit, USA 2015 • 94 Min • Regie & Drehbuch: M. Night Shyamalan • Mit: Olivia DeJonge, Ed Oxenbould, Deanna Dunagan, Peter McRobbie, Kathryn Hahn • Kamera: Maryse Alberti • FSK: ab 12 Jahren • Verleih: Universal Pictures International • Kinostart: 24.09.2015 • Deutsche Website
M. Night Shyamalan, nach „The Sixth Sense“ kurzzeitig Hollywoods Wunderkind, hat einen neuen Film gemacht, doch alle rümpfen nur skeptisch die Nase. Grund für diese Haltung dürften vor allem die letzten Werke des Regisseurs ab dem überwiegend negativ rezensierten „The Happening“ von 2008 sein. Die Mischung aus 50er-B-Horror und 70er-Paranoiakino hat mich seinerzeit noch solide unterhalten (neben einer dichten Atmosphäre gab es Menschen, die vor gifttragenden Winden buchstäblich weggelaufen sind, und den wohl flachsten Hustensaftwitz aller Zeiten, vorgetragen von Hauptdarsteller Mark Wahlberg), doch den meisten Kinogängern ist die bewusst trashige Arbeit einfach zu lächerlich gewesen – von unlogisch ganz zu schweigen. Zwischen den folgenden Projekten „Die Legende von Aang“ (2010) und „After Earth“ (2013) hat der Regisseur infolge des wachsenden Spotts gar überlegt, seinen Job gänzlich an den Nagel zu hängen und ins Produktionsfach zu wechseln. So ist schließlich John Erick Dowdles nettes Genreoutput „Devil“ entstanden. Jetzt möchte uns Shyamalan mit seiner Mockumentary „The Visit“ doch nochmal höchstpersönlich das Fürchten lehren. Aber ob ihm das gelingt?
Zwei Handkameras, zwei Kinderdarsteller, ein älteres Schauspielerpaar und sein eigenes Landhaus in Pennsylvania benötigt der Regisseur als Zutaten für seine kleine und gemeine Geschichte: Die Geschwister Becca (Olivia DeJonge) und Tyler (Ed Oxenbould) werden von ihrer Mom (Kathryn Hahn) in den Zug gesetzt, um endlich die Großeltern zu treffen. Becca plant eine Dokumentation über die noch unbekannten Familienmitglieder, die nach einem heftigen Streit die Beziehung zu ihrer Tochter abgebrochen haben. Bei der Ankunft entpuppen sich Omi (Deanna Dunagan) und Opi (Peter McRobbie) als vielleicht etwas zerzauste, aber dennoch liebenswerte Gestalten. Schleckereien gibt es reichlich, aber auch gewisse Regeln müssen in dem abgelegenen Anwesen eingehalten werden. Nicht nach 21:30 Uhr das Zimmer zu verlassen, zum Beispiel. Recht früh bemerken die aufgeweckten Kids, dass zumindest bei Nana gewaltig eine Schraube locker zu sein scheint, wandelt diese doch nachts nackt durchs Haus und kratzt an Türen. Auch Pop Pop benimmt sich inzwischen etwas seltsam; tauscht finstere Blicke, leckt am Lauf seines Gewehres und schlägt auf der Straße wildfremde Leute zusammen. Die Großeltern seien eben alt, gibt Mama per Skypechat aus dem Urlaub zu bedenken. Aber wieso starrt Omi immer so trostlos in den Brunnen und welches schmutzige Geheimnis versteckt Opi im Schuppen? Die seltsamen Vorfälle häufen sich, und die Kinder beschließen, der Sache per Videoüberwachung auf den Grund zu gehen …
Analog zu der Frage, ob das Glas halbvoll oder halbleer sei, darf man sich nach der Sichtung von „The Visit“ (der ursprünglich den mild plotspoilernden Titel „Sundowning“ tragen sollte) fragen, ob das Werk nun halb gut oder halb schlecht ist. Als triumphales Comeback Shyamalans kann man die Arbeit ganz sicher nicht bezeichnen, dennoch fällt die Entscheidung für mich letztlich eher im positiven Sinne aus: Sieht man über den inzwischen arg nervigen Dokumentationscharakter mit Metaebene und zahllose, verbale Zitate hinweg, ist „The Visit“ ein Film, der sicher keine tiefen Spuren hinterlassen wird, aber auf seine extrem eigentümliche Weise Spaß macht. Shyamalan schlägt mehr als nur die Schock- oder Gruseltaste an und überzieht seinen Schrecken außerdem mit einer dicken Glasur galligen Humors. Vorbei ist die Zeit der langen, bedeutungsschwangeren Blicke und geflüsterten Worte, die bis „Das Mädchen aus dem Wasser“ (2006) ein Markenzeichen des Regisseurs gewesen sind. Hier kommt eine flotte und auf den ersten Blick konventionelle Genrenummer, die aber im Verlauf genüsslich aus der Bahn fliegt und manchem Zuschauer böse vor den Kopf stoßen könnte. Wirklich cool in „The Visit“ ist lediglich der rappende Tyler, von dem man sich gar ein Spin Off wünschen würde. „Tyler geht zur Schule“? Ich wäre dabei, wenn der Racker seine Lehrerin mit Namen von Popsängerinnen anstelle von Fluchwörtern beleidigt. Der Rest des Werkes ist ebenfalls nicht uninteressant, aber eher als gaga, schräg oder stellenweise völlig krank zu werten. Zum Beispiel eine deftige Abreibung mit Fäkalien gefällig? Dann kommen und staunen Sie doch bitte!
Bevor das hier jemand in den falschen Hals bekommt: „The Visit“ ist kein guter Film, aber er unterhält und versteht es, bei seinem Publikum an den passenden Stellen spezifische Reaktionen hervorzurufen. Und zwar nicht durch laute oder spektakuläre Effekte, sondern durch puren erzählerischen Wahnwitz. Die Performances sind durch die Bank gelungen, das Timing passt und der obligatorische Twist am Ende sitzt: Eltern werden sich nach „The Visit“ zweimal überlegen, ob sie ihre Kinder nochmal selbstständig zu Oma und Opa fahren lassen …
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