Thor: Love and Thunder, USA 2022 • 119 Min • Regie: Taika Waititi • Mit: Chris Hemsworth, Natalie Portman, Christian Bale, Tessa Thompson, Taika Waititi, Russell Crowe, Chris Pratt, Karen Gillan, Pom Klementieff, Dave Bautista • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 6.07.2022 • Deutsche Website
Handlung
Donnergott Thor Odinson (Chris Hemsworth) hat alles verloren: seine Eltern, seinen Bruder, seine große Liebe, seine Heimat und sogar seinen stählernen Adoniskörper. Immerhin letzteren hat er nach einem rigorosen Workout wiederhergestellt. Nach dem Sieg über Thanos hält Thor nichts mehr auf der Erde und auf der Suche nach seinem Platz auf dieser Welt schließt er sich gemeinsam mit seinem neuen Kumpel Korg (Taika Waititi) den Asgardians Guardians of the Galaxy an, um mit ihnen Abenteuer im Weltall zu bestreiten und anderen Völkern in Not zu helfen. Leider liegt ihm Teamwork auch nach Jahren bei den Avengers nicht und so trennen sich ihre Wege, als Thor den Hilferuf seiner ehemaligen Kampfgefährtin Lady Sif (Jaimie Alexander) vernimmt.
Er findet sie schwerverletzt neben der riesigen Leiche eines ermordeten Gottes (in einer Szene, die haargenau den Comic-Panels entnommen wurde). Von Sif erfährt Thor, dass ein skrupelloser Schurke namens Gorr (Christian Bale), bewaffnet mit dem mythischen Nekroschwert, eine blutige Fehde gegen alle Götter des Universums führt und sein nächstes Ziel New Asgard ist, das in Thors Abwesenheit zu einem Touristenparadies wurde. Thor kehrt gerade noch rechtzeitig auf die Erde zurück, um sich im Kampf Gorr und seinen Schattenmonstern zu stellen. Dabei erlebt er den Schock seines Lebens, als er auf dem Schlachtfeld seiner Ex-Freundin Jane Foster (Natalie Portman) begegnet, die als The Mighty Thor aus unerklärlichen Gründen seinen alten und eigentlich zertrümmerten Hammer Mjölnir schwingt und ähnliche Kräfte besitzt wie er selbst. Doch für Beziehungstalk gibt es erst einmal keine Zeit. Zusammen mit Valkyrie (Tessa Thompson) können Thor und Jane Gorr knapp abwehren, aber nicht bevor er asgardische Kinder entführt. Das Trio nimmt gemeinsam mit Korg die Verfolgung auf und erfährt von Gorrs wahrem Ziel, das die Existenz aller Götter im Universum bedroht.
Kritik
Avengers: Endgame war in vielerlei Hinsicht das Ende einer Ära im Marvel Cinematic Universe. Nicht nur brachte uns der Film den Abschluss der Infinity Saga und den finalen Triumph gegen Thanos, der jahrelang als zentraler Antagonist des MCU vorbereitet wurde, der Film führte auch die Charakterbögen von zwei der sechs Original-Avengers konsequent und befriedigend zu Ende. Robert Downey Jr. wandelte sich als Tony Stark/Iron Man vom einst gewissenslosen Waffenhersteller und egozentrischen Playboy zum Familienmenschen, der am Ende das ultimative selbstlose Opfer bringt, während Captain America Steve Rogers (Chris Evans) nach vielen Umwegen endlich mit seiner großen Liebe wiedervereint wird und den versprochenen Tanz einlöst. Auch wenn viele Fans die beiden Helden sicher vermissen, war die Auflösung ihrer jeweiligen Geschichten so zufriedenstellend, dass jeder weitere Auftritt der Darsteller in den Rollen die emotionale Kraft des bittersüßen Abschieds mindern würde.
Während Iron Man und Captain America drei Solo-Auftritte im Kino gebraucht haben, um am Ziel ihrer Entwicklung anzukommen, Scarlett Johansson erst nach dem Tod ihrer Figur endlich einen Black-Widow-Film als Prequel erhalten hat und sowohl Hulk als auch Hawkeye zu den Serien wechseln, schreibt ihr asgardischer Mitstreiter Thor jetzt Geschichte als erster MCU-Held, der einen vierten eigenen Film bekommt. Dieser ist auch wohlverdient, denn Thors Sinnkrise war am Ende von Endgame noch nicht überwunden und seine Geschichte noch lange nicht abgeschlossen. Nachdem Taika Waititi mit Thor – Tag der Entscheidung den Titelhelden komplett demontiert und frischen Wind ins Franchise gebracht hat, das nach dem zweiten Teil schon etwas ächzte, bleibt der oscarprämierte neuseeländische Regisseur und diesmal auch Co-Autor mit Thor: Love and Thunder seiner Linie treu und folgt Thor durch die Midlife-Crisis, an dessen Ende er ein anderer Mensch, äh, Gott ist.
Tag der Entscheidung ist vermutlich der polarisierendste unter allen MCU-Filmen. Während sich Kritiker mit Lobeshymnen überschlugen und reguläre Kinogänger die Leichtigkeit und Absurdität des Films genossen, empfanden viele eingefleischte Thor- und Marvel-Fans die etwas alberne Darstellung ihres Helden als Affront. Zu naiv und dümmlich, nicht genug Badass-Coolness, zu viel Humor und zu wenig Ernsthaftigkeit waren häufig vorgebrachte Vorwürfe. Tja, wer mit Waititis respektlosem Humor, sprudelnder Kreativität und unaufhaltsamer Over-the-Top-Energie des Vorgängers wenig anfangen konnte, wird auch mit Love and Thunder nicht glücklich werden. Alle anderen dürfen sich auf eine stilistisch wie inhaltlich sehr stimmige Fortsetzung freuen, in der sich durchgeknallte Einfälle und Schenkelklopfer mit packender Action – häufig zu den Hits der Guns N' Roses – atemberaubenden Effekten und leiseren Augenblicken von Selbstreflexion abwechseln.
Zugegeben, Waititis hochenergische Inszenierung mit ihren unbestrittenen Albernheiten, von denen manche mehr (schreiende Ziegen!) und andere weniger (Sturmbrechers Eifersucht auf Mjönir) funktionieren, wirkt nicht mehr ganz so überraschend und neu wie beim ersten Mal. Es wäre wohl auch zu viel, das zu erwarten. Dafür hat Love and Thunder einen etwas ernsteren und vor allem emotionaleren Unterbau als der dritte Thor-Film, ohne Waititis typische Markenzeichen dabei einzubüßen. Es wäre nämlich trotz seiner irrwitzigen und abgedrehten Ideen ein Trugschluss zu glauben, Waititi würde seine Figuren, ihre Gefühle und Probleme nicht ernst nehmen. Wie er es u. a. bei seinem oscarprämierten Geniestreich Jojo Rabbit gezeigt hat, ist der Filmemacher ein Meister darin, sehr ernste und tragische Themen unter einem humorvollen Gewand zu verbergen.
In Thor: Love and Thunder ist es neben Thors Selbstfindung auch die Geschichte seiner Ex-Freundin Dr. Jane Foster, gespielt von Franchise-Rückkehrerin Natalie Portman. Nachdem Portman die Rolle zuletzt sichtlich desinteressiert in Thor – The Dark Kingdom vor neun Jahren verkörpert hat, in dem sie sich abermals von ihrem übermächtigen Freund retten lassen musste, wird Love and Thunder dem dramatischen wie komödiantischen Talent der Oscarpreisträgerin endlich gerecht, indem der Film die Storyline aus den Comics adaptiert, in der die krebskranke Jane den Hammer Mjölnir selbst aufnimmt und als The Mighty Thor – und nicht Lady Thor, wie Jane in einer Szene des Films sehr eindeutig auf den Punkt bringt! – selbst auf dem Schlachtfeld kämpft. Das hat aber seinen Preis, denn jedes Mal, wenn sie zu Mjölnir greift, machen ihre neu gewonnenen Superkräfte ihre Krebsbehandlung zunichte.
Portman, die im Fitnessstudio fleißig Gewichte stemmte, um als The Mighty Thor eine gute Figur zu machen, hat sichtlich Spaß an der Rolle und diesen werden auch die Zuschauer an ihrer Performance mehr denn je haben. Es ist leicht nachvollziehbar, wie Waititis es geschafft hat, sie zum Franchise zurückzulocken, nachdem sie diesem desillusioniert den Rücken gekehrt hatte. Jane ist endlich nicht auf die Rolle des Love Interests oder der "Jungfrau in Nöten" reduziert, sondern darf auch kämpfen, alberne Sprüche klopfen und Witze reißen, um ihre eigentlich schlimme Situation zu verbergen. Nachdem das Offscreen-Ende von Thors und Janes Beziehung zuvor mit einem Satz lieblos abgehandelt wurde, wird es in Love and Thunder mit Flashbacks gebührend aufgearbeitet und so wird eine erzählerische Lücke im Franchise endlich zufriedenstellend gefüllt.
Als Powerfrauen-Duo hat sie mit Tessa Thompsons Valkyrie (wieder ultracool) außerdem sogar noch bessere Chemie als mit Hemsworth. Krebs ist natürlich ein sehr ernstes Thema, das auf den ersten Blick vielleicht nicht zu Waititis hellem Wahnsinn passt, in dem Film aber nicht zu kurz kommt und mit jedem nötigen Respekt und Sensibilität behandelt wird.
Das gilt auch für Christian Bales Figur Gorr der Götterschlächter. Die besten Bösewichte sind häufig diejenigen, deren Motivation man nachvollziehen und mit denen man sogar mitfühlen kann. Deswegen gehören Michael B. Jordans Kilmonger, Daniel Brühls Zemo und sogar Josh Brolins Thanos zu den interessantesten Schurken des MCU und nach Love and Thunder wird Gorr seinen Platz an ihrer Seite einnehmen. Waititi verschwendet keine Zeit, den neuen Bösewicht einzuführen und seine Beweggründe zu verdeutlichen. In der allerersten Szene des Films, die als Cold Open noch vor dem Marvel-Logo zu sehen ist, erfahren die Zuschauer, weshalb Gorr einen Groll gegen alle Götter hegt und man kann es ihm schwer verübeln. Seine Antipathie findet in einer späteren Szene weitere Berechtigung, als Götteranführer Zeus, wundervoll theatralisch gespielt von Russell Crowe, die Selbstsucht der Götter und die Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid der anderen unberührt zur Schau stellt.
Gorr ist verbittert, wütend und hasserfüllt, und Bale spielt die Rolle mit vollster Hingabe, die man vom wandlungsfähigen Method Actor erwarten würde. Er macht keine halben Sachen, ob er nun Batman verkörpert oder einen intergalaktischen Bösewicht, der wie eine Kreuzung aus Onkel Fester, Voldemort und dem Tod aus Bill & Ted aussieht. Sein ausgezehrter, sehniger, mit Narben übersäter Körper zeugt von den Spuren, die der Besitz des Nekroschwerts auf ihm hinterlassen hat. Die Waffe vergiftet seine Seele und seinen Körper, sodass er bei seinem Kreuzzug gegen die Götter ohne Rücksicht auf Kollateralschäden vorgeht und mit seinen Opfern gerne sadistische Spielchen treibt. Dabei ergibt sich eine interessante Parallele zu Janes Nutzung des Mjölnir, denn beide magische Waffen verleihen ihren Trägern Superkräfte, während sie sie langsam auch zugrunde richten. Große Macht fordert ihren Tribut.
Gorrs Kräfte, die es ihm ermöglichen, unheimliche Monster aus Schatten zu erschaffen und die nahezu schwarzweiße Schattenwelt, in die er Asgards Kinder entführt, gehören zu den visuellen Highlights des Films und stehen im starken Kontrast zu ansonsten sehr bunten Welten, die Waititi auf der Leinwand entwirft.
Last, but not least ist Thor: Love and Thunder aber natürlich auch die Fortsetzung von Thors Reise zur Selbsterkenntnis, wobei sich seine ersten Szenen in dem Film, in denen er sich neben den Guardians übermütig, unbedacht und ohne Rücksicht auf Verluste in den Kampf stürzt, fast schon wie ein Rückschritt für den Charakter anfühlen. Doch Thor Wiedersehen mit seiner Ex, die Konfrontation mit seinen schlummernden Gefühlen, die Angst, sie wieder zu verlieren und die augenöffnende Begegnung mit Zeus und den anderen Göttern lassen Thor weiter wachsen und reifen. Hemsworth hat die selbstironische, gänzlich uneitle Darstellung des Charakters inzwischen perfektioniert und man merkt, dass er den Part seit Tag der Entscheidung mit mehr Elan und Freude spielt.
Waititi packt viel, vielleicht sogar zu viel, in die nach Blockbuster- und Marvel-Maßstäben sehr knackige 119-minütige Laufzeit des Films, schafft es aber dennoch, zwischen den atemlosen Action- und Humorsequenzen Atempausen für seine Hauptfiguren und ihre Entwicklung zu finden. Das gelingt, indem er den Fokus ganz auf die Charaktere der Thor-Reihe hält, ohne jegliche Multiversum-Spielereien oder besondere Anknüpfungen an das erweitere Marvel-Kino- und Serienuniversums, abgesehen von den Gastauftritten der Guardians im ersten Akt. Im Gegensatz zu seinem MCU-Vorgänger Doctor Strange in the Multiverse of Madness, dessen Genuss essentiell von der Vertrautheit mit der Disney+-Serie "WandaVision" abhängt, setzt Thor: Love and Thunder lediglich Kenntnisse der bisherigen Thor-Filme voraus und sogar diese werden von Korg, im Original wieder großartig von Waititi selbst gesprochen, clever rekapituliert. Es ist erfrischend zu sehen, dass sogar in einem so komplexen und verwobenen Universum wie dem MCU ein Franchise auch mit seinem vierten Film weitgehend separat und ohne Ballast existieren kann.
Love and Thunder ist vermutlich immer noch nicht das letzte Kapitel von Thors Weg im Marvel-Universum, doch bis zum Ende des Films macht er den bis dato größten Sprung in seiner Weiterentwicklung. Sollte es entgegen den Erwartungen der letzte Thor-Film werden, wäre es tatsächlich auch ein befriedigender Abschluss, doch eine Abspannszene deutet darauf hin, dass wir noch mehr vom Space Wikinger zu sehen bekommen werden. Man darf gespannt sein, was Marvel und hoffentlich wieder Waititi für ihn noch im Sinn haben.
Fazit
Wer Thor – Tag der Entscheidung mochte, wird bei Thor: Love and Thunder voll auf seine Kosten kommen. Der vierte Alleingang des Donnergottes knüpft tonal nahtlos an seinen Vorgänger an und lässt Taika Waititis bewährtem Wahnsinn freien Lauf, ohne jedoch die ernsten Themen und Probleme seiner Figuren zu vernachlässigen. Während die schrägen Einwürfe Waititis nicht mehr ganz so frisch wirken wie beim ersten Mal, punktet der Film mit einem emotional dichteren Kern. Natalie Portman feiert eine fulminante Rückkehr zum Franchise und kann als taffe Kämpferin, die aus ihren neu gewonnenen Superkräften und abgedroschenen One-Linern eine Schutzmauer um ihre Gefühle für Thor und ihre tragische Situation aufbaut, endlich ihr gesamtes Potenzial ausschöpfen. Ein weiteres Highlight ist Christian Bale, dessen facettenreiche, intensive, schmerzvolle und stellenweise furchteinflößende Performance ihn unter die besten Schurken des MCU hebt. Anfangs überschattet von diesen beiden schauspielerischen Kraftpaketen, findet in der zweiten Filmhälfte auch Chris Hemsworth als Thor seinen Stand und führt die Entwicklung seines Charakters konsequent fort.
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