Victoria, D 2015 • 140 Min. • Regie: Sebastian Schipper • Mit: Laia Costa, Frederick Lau, Franz Rogowski, Max Mauff, Burak Yiğit, André Hennicke • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 11.06.2015 • Deutsche Website
„Das wahre Berlin findet auf der Straße statt“ und ist vor allem nachts geprägt durch Alkohol, Zigaretten und krumme Dinger – zumindest wenn es nach der rebellischen Gruppe Jungs in Victoria geht. Laut und mit epileptisch flackernden Bildern führt uns Regisseur Sebastian Schipper (Absolute Giganten), alias "Tatort"-Kriminalhauptkommissar Katz, in das dreckige, aber trotzdem irgendwie liebenswerte Berliner-Nachtleben ein. Dort trifft Victoria (Laia Costa) in einem Untergrund-Club auf Sonne (Frederick Lau), Boxer (Franz Rogowski), Blinker (Burak Yiğit) und Fuss (Max Mauff), die die junge Spanierin überreden, sich ihnen anzuschließen. Zusammen begeben sie sich auf eine vorerst ziellose Sauftour durch Berlin.
Die erste Hälfte des Films konzentriert sich dabei nur auf die fünfköpfige Gruppe und die langsam entstehenden Beziehungen. Eingefangen in einer 140 Minuten währenden Aufnahme ohne Schnitte setzt man dabei vor allem auf eins: Authentizität. Die grandiose Besetzung fügt sich mühelos in das nächtliche Großstadt-Setting ein und lässt den Film echte Berliner Nachtluft atmen. Zu all dem tragen die beiden Hauptdarsteller Laia Costa und Frederick Lau bei, wobei sich letzterer mit seinen herrlich dussligen Impro-Sprüchen in schlechtem Englisch als facettenreicher Sympathieträger entpuppt. Und auch sonst passt in den ersten 50-60 Minuten sehr viel. Neben der nicht genug zu lobenden Cast-Chemie, trägt auch die angeworbene Besonderheit noch verhältnismäßig viel zum Gesamtpaket bei. Die nie absetzende Kamera fixiert sich durchgehend auf Victoria und lässt den Zuschauer so als stillen Beobachter in ihre Perspektive abtauchen.
Man muss den riesigen Aufwand zwar mit großem Respekt honorieren, wirklich nötig wäre er aber nicht gewesen. Denn all das hätte auch ein guter Cutter bewirken können. Kameramann Sturla Brandth Grovlen geht zu unkreativ mit seinen Möglichkeiten um, und hält meist einfach nur drauf. Dadurch bleibt der Kein-Schnitt-Effekt weitestgehend unsichtbar und dürfte im Endeffekt lediglich für einen verschwitzten Kameramann und Tonmänner mit Tennisarmen gesorgt haben. Schade vor allem für Victoria, dass sein One-Take-Prinzip nach Birdman nun nichts Ungesehenes mehr ist und mit dem Oscar ausgezeichnete Kameramann Emmanuel Lubezki um einiges bessere Arbeit abgeliefert hat. So bleibt Victoria in technischer Hinsicht zwar interessant, ist aber auch nicht wirklich beeindruckend.
Auch erzählerisch schafft der Film es nicht mehr zu sein, als eine ganz unterhaltsame Darstellung der jugendlichen Feierkultur. Ist die erste Hälfte nämlich einmal rum, und Schipper bewegt sich handlungstechnisch weiter, zerschellt die Authentizität von Victoria plötzlich an den unerreichbaren Klippen der Nachvollziehbarkeit und an der Verbissenheit, mehr erzählen zu wollen. Im zweiten Akt möchte man unbedingt einen deutlich düstereren Ton anschlagen, der nur leider so gar nicht zum aufgebauten Tenor passen will. Nicht nur wirkt die angestrebte Ernsthaftigkeit durch den drastischen Bruch leicht übertrieben und schwerfällig, eingeführte Nebencharaktere sollen der Situation einen bedrohlichen Touch verleihen, belegen mit ihren Performances aber lediglich das unschöne Vorurteil über die Fähigkeiten deutscher Schauspieler. Auf der anderen Seite merkt man in diesen Momenten wie gut wenigstens der Haupt-Cast ist. Doch auch dessen Schauspiel-Etat wirkt nach über zwei Stunden sichtlich erschöpft und so leidet leider auch deren Leistung unter der One-Take-Devise.
Die Entwicklung der emotionalen Komponente steht sinnbildlich für den Verlauf des Films. Am Anfang noch subtil und sanft induziert, wird diese in einem irgendwann einfach nicht mehr enden wollenden Film schmerzhaft ausgereizt. Ab Minute 100 fühlt man sich dann glatt wie bei Der Herr der Ringe – Die Rückkehr des Königs mit seinen zig Enden.
Fazit
Tolle Schauspieler und eine stimmige Atmosphäre sorgen in der ersten Hälfte für die größte Stärke von Victoria: Authentizität. Was zu Beginn noch perfekt klappt, wird beim Anschlagen eines gewollt düstereren Tons jedoch großzügig verworfen und lässt („)Victoria(“) eskalativ, aber ganz langsam und ohne Schnitt in Richtung „meh“ taumeln. Schade.
[…] Filmfutter 2,5/5 […]