Liebe Filmfutter-LeserInnen,
heute startet ein Film in den Kinos, wie Ihr ihn sonst dieses Jahr bestimmt nicht finden werdet. Sebastian Schippers Victoria, kürzlich für sieben Deutsche Filmpreise nominiert und als Favorit ganz groß im Rennen, zeigt, wozu das deutsche Kino doch gelegentlich in der Lage ist und nimmt den Zuschauer auf eine wilde Nacht in Berlin mit.
Diesen Kinostart nahmen wir wieder als Anlass für ein kleines Bloggerspecial mit dem Thema "Unser Lieblings-Berlin-Film". Vor Victoria gab es einen Film mit/über/von Berlin, der es schaffte, das Lebensgefühl und die Lebenslage des Protagonisten zu spiegeln. Irgendwie schafft es diese Stadt immer wieder, sowohl im zentralen Fokus, als auch als untermalende Bühne für krasse Geschichten herzuhalten. Die Rede ist von Oh Boy (2012) mit Tom Schilling als Endzwanziger Niko, der an einem Tag und in einer Nacht ziellos durch die Straßen Berlins streift. Dem in Schwarz & Weiß gedrehten Debütfilm von Jan-Ole Gerster gelingt es, beinah poetische Verbindungen zwischen seinen zum Teil stückelhaften Strukturen, seinen pointierten Dialogen, wirklich brauchbarer (ja, sowas gibt es!) Jazz-Musik als Soundtrack und definierenden Stimmungsbildern einer pulsierenden Großstadt im Gegenzug zu den gegensätzlichen, menschlichen Konfrontationen von Distanziertheit, Respektlosigkeit bis hin zu Gewalt des Hauptprotagonisten herzustellen. Der Blick lastet immer auf Studienabbrecher Niko, der seine Fahrrinne gar nicht mehr so recht zu suchen scheint und somit zeigt Regisseur Gerster passgenau die dreckigen und trashigen Insider-Tipps (wenn überhaupt) dieser schönen Stadt.
Bei dem Film One-Shot-Hit Victoria ist der zeitliche Rahmen ebenfalls begrenzt. Ein Film. Ein Take. Eine Nacht. Ohne Schnitte wird in Echtzeit die kurze, intensive Geschichte der Begegnung von Spanierin Victoria (Laia Costa; spielt wahnsinnig gut) und einer Truppe Berliner Jungs, angeführt von Sonne (Frederick Lau; Experte für labile Charaktere, top). Es wird geflirtet, es wird getanzt, es ergeben sich Risse in der Realität ihres Alltags. So wie eine Knaller-Nacht sein sollte, bis sich nach und nach auch Risse und Einblicke in das Innerste der Protagonisten zeigt. Hier beginnen ein krimineller, spontaner Lauf und eine Hetzjagd durch das nächtliche und morgendliche Berlin auf der Straße. Victoria wird von dem Sog des Momentes, der wabernden Elektrizität der Stadt und der unkalkulierbaren Gefahr mitgerissen. Unbedingt sehenswert!
Oh Boy triumphierte vor drei Jahren bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises mit sechs Auszeichnungen. Hoffen wir, dass auch Victoria ein ähnlicher Erfolg beschert sein wird.