Wind River, GB/CAN/USA 2017 • 107 Min • Regie & Drehbuch: Taylor Sheridan • Mit: Jeremy Renner, Elizabeth Olsen, Graham Greene, Gil Birmingham, Kelsey Asbille, Jon Bernthal • Kamera: Ben Richardson • Musik: Nick Cave, Warren Ellis • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Wild Bunch • Kinostart: 8.02.2018 • Facebook
Eine junge Frau läuft im kalten Mondlicht durch eine karge Schneelandschaft. Sie ist barfuß, blutet und wimmert. Doch auch ohne einen erkennbaren Zufluchtsort gibt sie nicht auf. Mit dieser erbarmungslosen Szene eröffnet „Sons of Anarchy“-Star und Drehbuchautor Taylor Sheridan („Sicario“, „Hell or High Water“) sein Regiedebüt „Wind River“. Der mit atmosphärischen Landschaftsbildern und einem undefinierbaren Gefühl der Bedrohung operierende Thriller hat seinem Schöpfer auf dem Cannes Filmfestival in der Sektion „Un Certain Regard“ den Preis für die „Beste Regie“ eingebracht – zu Recht. Wie die großen Meister des Spannungsfachs versteht auch Sheridan, dass ein gutes Genrewerk nicht durch den Dauereinsatz von Kunstblut und Pyrotechnik aus dem Einheitsbrei herausragt, sondern vor allem von einer packenden Story mit sorgfältig ausgearbeiteten Figuren getragen werden sollte. Sein Film erfindet das Rad ganz sicher nicht neu, doch mit seinem konzentrierten Fokus und der enorm dichten Inszenierung hinterlässt „Wind River“ einen bleibenden Eindruck.
Im Wind-River-Indianerreservat entdeckt der Wildhüter Cory Lambert (Jeremy Renner) in der eisigen Einöde eine Frauenleiche. Wie er sofort erkennt, handelt es sich bei der Toten um die 18-jährige Ureinwohnerin Natalie Hanson (Kelsey Asbille), die Zeichen eines stumpfen Traumas und sexueller Gewalt aufweist. Wie dies bei einem Mord üblich wäre, wird das FBI für weitere Ermittlungen hinzugezogen. Die Autopsie bestätigt einen Angriff auf die Teenagerin, doch die tatsächliche Todesursache wird auf die Einwirkungen der extremen Kälte zurückgeführt. Obwohl die zuständige Agentin Jane Banner (Elizabeth Olsen) unter diesen Umständen nicht auf weitere Unterstützung durch ihrer Behörde hoffen kann, zeigt sie sich von dem Fall erschüttert und beschließt, zusammen mit Lambert und der örtlichen Polizei dem Täter auf die Spur zu kommen. Während der Nachforschungen wird klar, dass Lambert mit der Aufklärung des grausamen Verbrechens nicht nur Gerechtigkeit für das Opfer schaffen, sondern zugleich mit seiner eigenen Vergangenheit aufräumen will …
Wer an die USA denkt, wird vermutlich zuerst die gängigen Urlaubsziele vor Augen haben – New York, Los Angeles, San Francisco und Co. Dass zu dem Land auch so raue und wenig einladende Gebiete wie in „Wind River“ gehören, mögen die meisten Touristen einfach ausblenden. Mehr als andere Produktionen rückt der Autor und Regisseur hier die Ursprungsgeschichte der Vereinigten Staaten ins Zentrum eines Mystery-Stoffes, der auf sehr eigenwillige Weise auch Elemente des Noir- und Western-Kinos in sich aufnimmt. So schildert der auf einer wahren Begebenheit basierende Film (eine Texttafel informiert uns zu Beginn über dieses Detail) nicht bloß die Prozeduren der Ermittlung, sondern wirft außerdem einen interessanten Blick auf einen isolierten Fleck des Landes, der noch nicht völlig von der Industrie aufgesaugt wurde und einer Reise zu den bitteren Anfängen gleichkommt. Wenn am Ende ein indianischer Protagonist Kriegsbemalung auflegt und einer anderen Figur klagend mitteilt, dass bald niemand mehr diese Tradition weitervermitteln kann, wird jedoch deutlich, dass auch hier das langsame Aussterben eines Volkes stattfindet.
Im Gegensatz zu vielen aktuellen Thrillern verweigert sich „Wind River“ auch in der Zeichnung seiner Charaktere den üblichen Klischees. Es wäre leicht gewesen, dem erfahrenen Lambert reichlich plump das Greenhorn Banner unterzuordnen und so eine eindeutige Hierarchie herzustellen. Doch die Performances von sowohl Jeremy Renner („Tödliches Kommando – The Hurt Locker“) als auch Elizabeth Olsen („Martha Marcy May Marlene“) sind derart nuanciert ausgefallen, dass vor allem die intimen Momente des Films nachhaltig imponieren: In einer Szene äußert sich der Jäger unvermutet offen zu einem tragischen Lebensereignis, das einerseits seine persönliche Bindung an den Fall illustriert und andererseits das emotionale Band zwischen ihm und der idealistischen Agentin verstärkt. Ohne Kitsch oder Pathos bleiben die Gesten zwischen ihnen subtil aber dennoch glasklar. Die herausragenden Leistungen der Schauspieler bis in die Nebenrollen (hier sei auch der nur kurz auftauchende Jon Bernthal hervorgehoben) sind das, was sich nach dem Kinobesuch am mächtigsten in das Gedächtnis der Zuschauer einbrennen wird.
Mit einem mystischen Soundtrack von Nick Cave und Warren Ellis unterlegt, endet Taylor Sheridans beeindruckender und durchweg fesselnder Regie-Einstand nach einer plötzlichen Gewalteruption mit einer trostlosen und melancholischen Note. Das Verbrechen ist aufgeklärt, der Gerechtigkeit Genüge getan – doch die Schwachen werden in diesem gnadenlosen Umfeld weiterhin die Opfer bleiben.
[…] filmfutter: “Eine junge Frau läuft im kalten Mondlicht durch eine karge Schneelandschaft. Sie ist barfuß, blutet und wimmert. Doch auch ohne einen erkennbaren Zufluchtsort gibt sie nicht auf. Mit dieser erbarmungslosen Sze…” – Vollständiger Artikel […]
[…] filmfutter: “Eine junge Frau läuft im kalten Mondlicht durch eine karge Schneelandschaft. Sie ist barfuß, blutet und wimmert. Doch auch ohne einen erkennbaren Zufluchtsort gibt sie nicht auf. Mit dieser erbarmungslosen Sze…” – Vollständiger Artikel […]