Wrong, USA/F 2012 • 94 Min • Regie: Quentin Dupieux • Mit: William Fichtner, Alexis Dziena, Eric Judor, Jack Plotnik • FSK: ab 12 Jahren • DVD-Start: 7.11.2013 • Facebook
Wecker sind Barometer der kosmischen Ordnung. Ist sie während man friedlich schlummerte aus den Fugen geraten, verrät das am Morgen ein Blick zum Radiowecker. Spielt er wie am Vortag „I got You, Babe“ von Sonny und Cher, ist man wahrscheinlich in einer Zeitschleife gefangen, wie Phil Connors in „Und täglich grüsst das Murmeltier“. Dolph steckt ebenfalls in einer logischen Inversion, die den unscheinbaren Hauptcharakter von Quentin Dupieuxs Kopfkino vor ein universelles Rätsel stellt. Warum passiert das alles mir? Die Antwort ist die gleiche wie in Dupieuxs Autoreifen-Horror „Rubber“: ohne Grund.
„Rubber“ beginnt einen kleinen Vortrag über die Irrationalität des Kinos: „Alle großartigen Filme, ohne Ausnahme, enthalten ein wichtiges Element dieses „ohne Grund“. Und wissen Sie warum?“ Dolph Spring (Jack Plotnick) tut das nicht, obwohl er am Ende des grotesken Dreiakters aus der Welt weißer Lattenzäune und Fertighäuser der Lösung ein Stück näher gekommen scheint. „Weil das Leben selbst ohne Grund ist.“ Wem die Einführung in die absurde Alternativrealität des französischen Filme- und Musikmachers fehlt, den warnt die apologetische Eröffnungsszene, so wie kurz darauf Dolph die Anzeige seines Weckers. 7:60. Das Ziffernblatt ist an diesem Morgen Dolphs geringste Sorge. Die große Sorge ist Paul. Der ist weder im akkuraten Vorgarten, noch in seinem Hundebett. Darin liegt bloß sein Lieblingsspielzeug, das Privatdetektiv Ronnie (Steve Little) später zu Ermittlungszwecken fotografiert. Pauls Quietschtier ist Flat Eric, das Maskottchen des „Flat Beat“ der 90er (Hey, das Video mit dem nickenden gelben Stoffcharakter?). Den kreierte Mr. Oizo, der den Soundtrack zu „Wrong“ schuf, und im realen Leben – wenn es das gibt – Quentin Dupieux heißt. Kritische Anhaltspunkt verbirgt sein Plot in Marginalien. Was einen Scheißdreck interessiert oder buchstäblich ein Scheißdreck ist, widmen Dupieux und seine Figuren ihr Hauptaugenmerk.
Warum zeigt das Logo des Pizzaservice-Flyers, den Dolph nach Pauls Verschwinden im Briefkasten hat, einen Hasen auf einem Moped? Der Hase steht für Schnelligkeit, aber was spielt die für eine Rolle, wenn er doch Moped fährt? Warum fragt Dolph die Telefonistin (Alexis Dziena) des Lieferservice all das, obwohl er nie was bestellen wollte? Genau wie der Polizist (Mark Burnham), der Dolph an einem Unfallschauplatz klar macht, dass er nur so tat, als würde er einen Kollegen befragen und nie vor hatte, Dolph Auskunft zu geben? Ohne Grund. Aber womöglich bedeutet diese Schlussfolgerung schon, ein entscheidendes Detail zu übersehen: den Filmtitel. „Wrong“ prangt zu Beginn über der Unfallstelle, an der Dolph dem Cop begegnet. Etwas ist falsch in der beschaulichen Szenerie, wo das reaktionäre Ideal aller Vorstadt-Spießer verwirklicht scheint. Dolphs Gärtner Victor (Eric Judor) ist als Hispanic in der satirischen Werbeästhetik selbstredend ein Angestellter und die Anwohner nennen einander beim Vornamen. Gegenüber wohnt Mike (Regan Burns), der am selben Morgen wie Paul verschwindet. Während den Hund ein Wagen geholt hat, steigt Mike freiwillig ins Auto. Denn „Das hier“, weiß er, „ist viel zu deprimierend.“
„Der Mensch gewöhnt sich schnell an alles.“, philosophiert Master Chang (William Fichtner), der es sich zur Aufgabe gesetzt hat, Dolphs Bewusstsein zu erweitern. Das Austauschbare wird zum Abstrusen, die Grenze zwischen Banalität und Bizarrerie verwischt bis beide verschmelzen. Wie bei David Lynch und Bunuel scheint gerade die Monotonie das Irreguläre als Ausgleich zu erzwingen. Die Palme in Dolphs Garten ist plötzlich ein Tannenbaum. In der Reiseagentur, in der Dolph arbeitet, regnet es. Unbekannte streichen unaufgefordert fremde Fahrzeug. Alles ohne Grund.
Fazit:
Die irrationalen Episoden provozieren statt des kafkaesken Horrors der Vorbilder jedoch höchstens leicht unbehagliche Komik. Trotz seiner bissigen Pointen ist „Wrong“ letztlich nur eine selbstgenügsame Hommage an jenes „ohne Grund“, das „Rubber“ das „mächtigstes aller Stilmittel“ nennt. Die Untiefen des Surrealismus ergründet dafür vielleicht Dupieuxs anstehendes Werk: „Wrong Cops“.