X-Men: Apocalypse, USA 2016 • 143 Min • Regie: Bryan Singer • Mit: Jennifer Lawrence, James McAvoy, Michael Fassbender, Nicholas Hoult, Oscar Isaac, Olivia Munn, Sophie Turner, Evan Peters, Tye Sheridan, Alexandra Shipp • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 19.05.2016 • Deutsche Website
Handlung
En Sabah Nur (Oscar Isaac), der allererste und möglicherweise mächtigste Mutant, der je gelebt hat, erwacht 1983 nach 5600 Jahren Schlaf und findet eine sehr veränderte Welt vor. Mutanten werden nicht mehr als Götter verehrt, sondern leben am Rande der Gesellschaft, während Weltmächte sich im Kalten Krieg befinden und sich gegenseitig mit Atomwaffen in Schach halten. Vom Status Quo angewidert, schart En Sabah Nur alias Apocalypse vier mächtige Mutanten (Michael Fassbender, Alexandra Shipp, Ben Hardy, Olivia Munn) um sich und setzt einen Plan in Gang, um die Welt für immer zu verändern und seinen Vorstellungen entsprechend zu gestalten. Derweil gilt Mystique (Jennifer Lawrence) seit ihrem Einsatz zur Rettung des US-Präsidenten vor zehn Jahren als Ikone unter Mutanten und kämpft als Einzelgängerin für die Freiheit ihrer unterdrückten Brüder und Schwestern. Charles Xavier (James McAvoy) hat unterdessen endlich seinen Traum verwirklicht und leitet eine gut besuchte Schule, in der er gemeinsam mit seinem einstigen Schüler Hank McCoy (Nicholas Hoult) besonders begabte Jugendliche lehrt, ihre Kräfte zu kontrollieren. Eine Tragödie im Leben eines alten Bekannten bringt Mystique und Charles wieder zusammen und macht sie auf die Aktivitäten von Apocalypse aufmerksam. Kräftemäßig hoffnungslos unterlegen, sind sie und eine junge Generation von Mutanten die letzte Chance der Menschheit auf Überleben.
Kritik
"Zumindest können wir uns darauf einigen, dass der dritte in der Regel der schlechteste ist", beteuert die junge Jean Grey (Sophie Turner aus "Game of Thrones"), nachdem sie gemeinsam mit anderen jungen Mutanten Die Rückkehr der Jedi-Ritter gesehen hat. Mit Sicherheit als Bryan Singers und Simon Kinbergs (gerechtfertigte) Stichelei gegen Brett Ratners X-Men – Der letzte Widerstand gedacht, entbehrt dieser Satz nicht einer bitteren Ironie. Es wird nicht die erste, nicht einmal die zehnte Filmkritik sein, die mit diesem Zitat beginnen wird, doch wenn der Film eine solche Meta-Steilvorlage bildet, die sogar Deadpool anerkennend nicken lassen würde, wie kann man da widerstehen? Auch X-Men: Apocalypse ist der dritte Film einer neuen Trilogie und wird den hohen Maßstäben seiner beiden Vorgänger ebenfalls nicht gerecht. Mit dem erfrischend lockeren, stylischen und dennoch sehr auf seine Charaktere bedachten X-Men: Erste Entscheidung wurde das Franchise vor fünf Jahren aus der Asche von X-Men – Der letzte Widerstand und X-Men Origins: Wolverine wiedergeboren. Mit dem ambitionierten und zwei Zeitebenen umspannenden X-Men – Zukunft ist Vergangenheit feierte Bryan Singer seine furiose Rückkehr zur Reihe und verknüpfte die neuen Filme mit der alten Trilogie. Doch X-Men: Apocalypse schafft es trotz seines unbestreitbaren Unterhaltungswerts und seiner Ehrerbietung gegenüber den Comicvorlagen nicht, dieser neuen Trilogie einen krönenden Abschluss zu verpassen. Man kann es Marvels Fluch der dritten Teile nennen, befiel er doch zuvor neben Der letzte Widerstand auch Spider-Man 3 und Blade: Trinity. Lediglich das Marvel Cinematic Universe scheint dagegen (noch) immun zu sein.
Das soll aber keineswegs bedeuten, dass X-Men: Apocalypse jemals so tief fällt wie Der letzte Widerstand oder so inkohärent erzählt ist wie Batman v Superman, auch wenn manche hastig zusammengesponnene Erzählstränge durchaus Vergleiche zulassen. Bryan Singer zeigt immer noch großes Verständnis für seine Figuren und deren Welt, doch in seiner vierten Regiearbeit im X-Men-Universum hat er trotz 140 Minuten Laufzeit nicht mehr viel Neues zu sagen. Viele Szenen sind lediglich Wiederholungen von glorreichen Momenten aus vergangenen Filmen und man kann nur so viele verschiedene Variationen des schwermütigen Dialogs zwischen Charles und Erik hören, bei dem die Hoffnung und der Optimismus des einen der Desillusion und Verbitterung des anderen gegenüber stehen, bevor sich ein starkes Déjà-Vu-Gefühl einschleicht.
Neben einigen Ähnlichkeiten zu Der letzte Widerstand ist X-Men: Apocalypse hauptsächlich ein Spiegelbild von Erste Entscheidung, eine Tatsache, die Bryan Singer mit so vielen Flashbacks zu einigen großartigen Szenen aus dem Film unterstreicht, dass man sich fragt, wieso es nicht einfach zu Beginn eine "Was bisher geschah"-Montage gibt, um vergesslichen Zuschauern den Einsteg zu erleichtern. Der gesamte Aufbau findet sich hier in leicht abgewandelter Form wieder. Charles ist immer noch der naive Idealist, der fest an das Gute in seinem alten Freund und in der Menschheit glaubt. Fassbenders Erik schreibt das Drehbuch einen weiteren Schicksalsschlag vor, der ihn wieder mit Wut und Rachegelüsten erfüllt und Mystique zweifelt wieder einmal an ihrem Platz und ihrer Rolle in dieser Welt. Junge, unerfahrene Mutanten müssen in den Kampf gegen einen übermächtigen Mutanten ziehen. Dieser handelt ohne klar erkennbare Motivation, hat lediglich das Ziel, die Welt in Schutt und Asche zu legen, ohne sich die „Und was dann?“-Frage zu stellen, und in seinem Plan spielen Nuklearwaffen eine Rolle. Man muss nicht tief in die Analyse gehen, um die Ähnlichkeiten in der Konstellation zu finden. Darüber hinaus flammen wieder die romantischen Gefühle zwischen Charles und Rose Byrnes CIA-Agentin Moira MacTaggert auf, die das Geheimnis der ewigen Jugend gefunden zu haben scheint und 20 Jahre nach den Ereignissen auf Kuba kein bisschen gealtert ist (eine Tatsache, die das Drehbuch immerhin mit einer Bemerkung anerkennt). Dies sorgt für einige amüsante Momente zwischen McAvoy, Hoult und Byrne, insbesondere da sich Moira dank Charles’ Gedankenmanipulation an ihre gemeinsamen Abenteuer aus den Sechzigern nicht erinnern kann. Doch wie auch die halbherzig aufgegriffene Beast/Mystique-Romanze, verläuft diese Geschichte ins Nichts. Abgesehen vom coolen Einsteig ihrer Figur, ist Byrnes resolute Agentin im neuen Film leider deutlich zahmer geworden, doch ein Wiedersehen ist dennoch sehr willkommen.
Eine weitere Schwäche des Films liegt in seinem Bösewicht. Dass Oscar Isaac (Ex Machina) ein sehr wandlungsfähiger Schauspieler ist, hat er in den letzten fünf Jahren zu Genüge bewiesen, doch vergraben unter dem Ivan-Ooze-Makeup kann auch er nichts gegen ein Drehbuch ausrichten, das ihn pathetische, aber letztlich leere Reden schwingen lässt. Natürlich waren weder Kevin Bacons Sebastian Shaw noch Peter Dinklages Bolivar Trask besonders interessante oder gut entwickelte Bösewichte, doch wenn der Schurke Teil des Filmtitels ist, dann erwartet man etwas mehr als nur einen weiteren Größenwahnsinnigen, der die Welt einfach nur vernichten will, weil….warum eigentlich nicht? Immerhin stattet ihn der Film mit beeindruckenden Kräften aus, die es ihm erlauben, seine Widersacher kreativ und äußerst brutal, fast schon mit sadistischer Freude, zu erledigen. Wenn Köpfe Rollen und Menschen buchstäblich zusammengefaltet werden, wundert man sich fast, dass der Film einer höheren Altersfreigabe entgehen konnte. Zugleich lässt die Allmacht des Charakters seine vier Reiter (vielleicht mit der Ausnahme von Magneto) überflüssig erscheinen, insbesondere nachdem er viel Zeit in der ersten Filmhälfte, sie zu finden und auf seine Seite zu ziehen.
Wenn sich der Text bislang auch überwiegend negativ liest, so liegt es hauptsächlich an der hohen Messlatte, die Bryan Singer mit den vier Filmen, an denen er als Regisseur oder zumindest Produzent maßgeblich beteiligt war, vorgelegt hat, denn auch hier gibt es wieder viel zu loben. War sie in seinem allerersten X-Men noch etwas holprig, beherrscht Singer die Inszenierung der Actionszenen mittlerweile meisterhaft. Alle Rädchen im Film drehen sich hauptsächlich, um auf den größten Showdown der X-Men-Filmgeschichte hinzuarbeiten. Dieses Versprechen wird auch eingehalten. Trotz des üblichen CGI-Overkills, den man bei solchen Kämpfen erwarten würde, gibt es viele visuell großartige Einfälle im finalen Endkampf, die viele Comicfans jubeln lasen werden, wenn einige ihrer Lieblingsfiguren ihre Kräfte voll entfalten. Eine bestimmte Szene wird sicherlich nicht nur bei mir für echte Gänsehaut gesorgt haben. Leider ist das Finale nicht so emotionsgeladen wie in Erste Entscheidung oder Zukunft ist Vergangenheit, macht dies aber durch puren Leinwandspektakel etwas wett. X-Men: Apocalypse ist auf jeden Fall ein Film, der auf die große Leinwand gehört (auch wenn das 3D wieder einmal verzichtbar gewesen wäre).
Schauspielerisch macht sich die neue "alte" Garde am besten und zeigt wieder einmal, was für ein Besetzungscoup Matthew Vaughn mit Erste Entscheidung gelungen war. Wie schon bei seinem ersten Auftritt in der Rolle, ragt Michael Fassbender aus dem großen Ensemble heraus. Er spielt den Part in jeder seiner Szenen so voller Hingabe und lässt den Schmerz, die Wut und die Zerrissenheit von Magneto so spürbar werden, dass er über die dramaturgischen Schwächen seiner Charakterentwicklung, die sich seit Erste Entscheidung in Kreisen zu drehen scheint, leicht hinwegsehen lässt. Als sei sein Leid noch nicht deutlich genug für die Zuschauer, erinnert uns der Film auf eine leicht fragwürdige, aber dennoch effektive Weise an den Tod seiner Mutter im Konzentrationslager. McAvoy und Lawrence ziehen sich ihre Rollen wieder wie eine zweite Haut über, wobei der Status von Lawrence als größter Name in der Besetzung auch dazu geführt hat, dass sie ihre bislang größte Rolle übernehmen darf und diese über weite Strecken auch ohne blaues Makeup spielt.
Etwas gemischter sieht es bei den Franchise-Newcomern aus. Kodi Smit-McPhee ist perfekt als Nightcrawler und bringt die ansonsten eher rar gesäten Humor und Leichtigkeit in den Film. Tye Sheridan und Sophie Turner bleiben als Cyclops und Jean Grey dafür eher blass und verdrängen die alte Besetzung der Rollen nicht so schnell aus dem Gedächtnis, wie es Fassbender, Lawrence und McAvoy einst mit ihren Charakteren gelungen ist. Gerade Turner scheint trotz optischer Passung von der interessant angelegten Rolle etwas überfordert zu sein. Derweil sind die drei Neulinge in den Rängen der Bösen nichts weiter als eindimensionale Handlanger, Mittel zum Zweck für spektakuläre Kampfeinlagen, und bekommen keinerlei Entwicklung oder Hintergründe. Immerhin macht Olivia Munn als Psylocke eine in jeder Hinsicht imposante Figur und sieht in jeder Szene aus, als sei sie gerade den Comicseiten entsprungen. Hier bleibt zu hoffen, dass sie im unvermeidlichen nächsten Film einen interessanteren Part haben wird als Badass-Ninja ohne Überzeugungen oder Motivationen.
Es liegt aber wieder an Evan Peters’ Quicksilver, in die Geschehnisse hineinzurasen und allen prompt die Show zu stehlen. Nachdem seine Küchenszene in X-Men – Zukunft ist Vergangenheit auf Anhieb zu einem ikonischen Franchise-Moment wurde, wird diese im Nachfolger selbstverständlich kopiert, jedoch in einer deutlich erhöhten Größenordnung. Und dennoch – es funktioniert wieder! Wenn Quicksilver (diesmal großartig unterlegt von Eurytmics’ Sweet Dreams) sein Ding durchzog, grinste ich nur breit von einem Ohr zum anderen. Obwohl es natürlich nicht mehr den gleichen Überraschungseffekt hat wie beim ersten Mal, machen der schiere Einfallsreichtum der Macher und der Spaß, mit dem Peters die Rolle spielt (der im Film mit einer kleinen Nebenhandlung belastet wird, die wieder einmal nirgendwohin führt), seine Szene wieder zum Höhepunkt des gesamten Films. Nicht weit dahinter liegt jedoch der Gastauftritt von Wolverine (den bereits der letzte Trailer verraten hat). Mehr als nur ein Cameo à la Erste Entscheidung, werden besonders Fans der Figur aus den Comics ihren Spaß an seiner Szene haben. Jackman wurde wirklich geboren, um diese Rolle zu spielen und 16 Jahre nach seinem ersten Einsatz sieht er der Vorlage ähnlicher denn je.
Jeder bisherige X-Men-Film ließ zwar Türen für Fortsetzungen offen, war jedoch in sich sehr rund und abgeschlossen. Bei X-Men: Apocalypse hatte ich erstmals das Gefühl, dass die Macher mehr damit beschäftigt waren, den Grundstein für ein größeres Universum anzulegen, als einen eigenständigen Film abzuliefern. Vielleicht ist das die Reaktion auf die Befürchtung, dass das Franchise einige seiner Hauptdarsteller wie Jennifer Lawrence oder Michael Fassbender verlieren könnte, oder Fox macht einfach Bestrebungen, das MCU-Schema nachzumachen, doch auf jeden Fall werden hier genug Samen für mehr als einen weiteren Film gesät. Comicfans wird die Aussicht auf einige hochinteressante Storylines und Charaktere freuen, doch diese Herangehensweise lässt den Film trotz seiner Massenzerstörung auf globaler Ebene und eines Kampfes, bei dem Milliarden Menschenleben auf dem Spiel stehen, im Rahmen der Gesamtreihe recht unbedeutend erscheinen.
X-Men: Apocalypse ist solides Superheldenspektakel, das mit guter Action und vielen Comic-Referenzen den meisten Fans genau das bietet, was sie sehen wollen, doch solide ist nicht ausreichend, um auf dem Niveau von vier seiner fünf Vorgänger mitzuspielen. Das Fundament für eine bessere Fortsetzung ist jedoch gelegt und vielleicht ist es wieder Zeit, dass Bryan Singer eine kurze Auszeit vom Franchise nimmt. Es war schließlich auch Matthew Vaughn, der vor fünf Jahren der Reihe die nötige Adrenalinspritze verpasste.
Fazit
Große Tragödien, komplizierte Liebesgeschichten, düstere Vorahnungen und das drohende Ende der Welt sind die richtigen Zutaten für großes Kino. Doch unter all dem visuellen Bombast, den Easter Eggs, den Cameos und dem hingebungsvoll agierenden, aber meist unterforderten Cast, fühlt sich X-Men: Apocalypse, ebenso wie sein allmächtiger titelgebender Bösewicht, im großen Schema der Dinge belanglos an und legt hauptsächlich das Fundament für bessere und interessantere Geschichten in der Zukunft. Auf eins ist jedoch wieder Verlass: Quicksilver stiehlt allen die Show.
[…] Filmfutter 3,5/5 […]